Wie fühlt es sich an, zu sterben? Laut mehreren Überlebenden kam der Tod für die Opfer, die im Gebiet von Tête Blanche (VS) vom Sturm überrascht wurden, in Form eiskalter Betäubung. Der Bergsteiger Beck Weathers, der 1996 am Mount Everest von einem Sturm eingeschlossen wurde, meint:
«Der Berg ist weder gerecht noch ungerecht. Er ist gefährlich», sagt Reinhold Messner. Der legendäre transalpine Bergsteiger meinte häufig, dass «die schizophrenste Aktivität das extreme Bergsteigen» sei. Seiner Meinung nach ist der Tod durch Erfrieren aber ein schöner Tod.
Doch wenn die Unterkühlung über einen hereinbricht, ist das Gefühl schwer zu verdauen, wie diejenigen berichten, die das Gefühl des hypothermischen Komas durchlebt haben.
Die Schweizer Bergsteigerin Evelyne Binsack, die 1986 am Westgrat des Salbitschijen in den Urner Alpen in einen heftigen Sturm geriet, gab im Interview mit der NZZ zu, «eine schreckliche Nacht» erlebt zu haben.
Urs Hefti, der Chefarzt der Swiss Sportclinic in Bern, erklärt, dass sich die Unterkühlung auf das Gehirn auswirkt: «Mit fortschreitender Unterkühlung kommt es zu neurologischen Veränderungen.» Der Kampf gegen die Kälte führt zu einer «paradoxen Entkleidung». Das Opfer denkt dabei, es sei warm. Die extreme Kälte wird nicht mehr empfunden und der Körper beginnt, herunterzufahren.
Danach werde es jedoch immer einfacher. Das zeigt der Erlebnisbericht von Beck Weathers, der im Frühjahr 1996 in einen Sturm geriet und sich mit purer Willenskraft zurückkämpfte. Seine Erfahrung erzählt er in seinem Buch – Left for Dead. Später wurde seine Erzählung mit Everest (2016) von Baltasar Kormakur verfilmt.
Der amerikanische Bergsteiger sagt der Zeitung Le Monde, er habe sich buchstäblich «zu Tode gefroren». Und weiter:
Nach über 22 Stunden im Sturm habe er seine Nahtoderfahrung gehabt. Danach kehrte er zu einem Zustand absoluter Verwirrung zurück. Er habe einfach überlebt, völlig offline.
Nigel Vardy, der 1999 am Mount McKinley in Alaska von einem Sturm eingeschlossen wurde, berichtete ähnlich von seinen Erlebnissen. Er erlebte ein Martyrium bei Temperaturen von -60 Grad, wie er dem Guardian berichtete: «Steve (Red.: Ball, sein Seilgefährte) war blass, zitterte und seine Gedanken wanderten umher. Unterkühlung ist ein wirklich deprimierender Anblick.»
Bereits 2018 geriet eine Skitourengruppe auf der Haute Route von Chamonix nach Zermatt in tödliche Gefahr. Der SRF-Dok «Todesfalle Haute Route» erzählt die Geschichte von damals aus der Sicht der Bergsteiger nach. Dabei spricht Teilnehmer Luciano Cattori ebenfalls vom Erfrieren:
«Ich träumte von surrealen Landschaften mit Blumen und sich drehenden Girlanden. Ich erinnere mich an alles sehr gut. Und dann nichts. Nacht. Bis zum Spital am nächsten Nachmittag», so der Mann aus Locarno weiter.
Die extremen Temperaturen treffen die Opfer mit voller Wucht, sie verändern das Aufmerksamkeitsniveau, die Koordination lässt nach und riskante Verhaltensweisen nehmen zu. Schliesslich kommt es zu einer Bewusstlosigkeit, die durch Herzstillstand und zu langen Sauerstoffmangel im Gehirn tödlich enden kann.
In einem letzten Versuch, am Leben zu bleiben, unterbrechen unsere internen Kontrollmechanismen den warmen Blutfluss zu den Extremitäten, wie unseren Händen und Füssen. Die Körperwärme wird für die lebenswichtigen Organe reserviert.
Diese Geschichten finden so nur auf Hochgebirgsexpeditionen statt. Und der Everest ist der Ort, an dem die verrücktesten Geschichten geschrieben werden. Da gibt es die von Donald Cash, einem amerikanischen Softwareverkäufer, der sich auf die Suche nach den höchsten Gipfeln aller Kontinente machte. Kurz nachdem er sein Ziel erreicht hatte, brach er beim Abstieg zusammen, von der Anstrengung völlig ausgelaugt.
Er ist jedoch nicht der Einzige, der auf dem Berg geblieben ist. Mehr als 200 Leichen sollen sich noch auf dem höchsten Punkt des Himalaya befinden. Es wurden bereits mehrere Videos veröffentlicht. Nate Douglas, ein amerikanischer Bergsteiger, hat die kalte Realität des Bergsteigermilieus mit eiskalten Bildern während seines Aufstiegs zum Dach der Welt dargestellt.
Eine Rückführung der Leichen ist nahezu unmöglich. Diejenigen, die zurückbleiben, werden sogar zu visuellen Orientierungspunkten, wie «Green Boots», ein nicht identifizierter Leichnam, der auf 8500 Metern liegt. So ist der höchste Gipfel der Welt zu einem Friedhof unter freiem Himmel geworden.
Beim Bergsteigen gibt es so viele Dinge die schieflaufen und tödliche Folgen haben können, dass es geradezu fahrlässig wäre, sie zu ignorieren.
Ich selbst bin zwar kein Bergsteiger, sondern ehemaliger Sporttaucher, aber ich glaube, dass das Risikobewusstsein bei beiden Sportarten ähnlich vorhanden sein muss.
Und jetzt weiss ich auch, warum einer plötzlich seine Jacke ausgezogen hat und so tat, als wäre hochsommer. Danke Watson!