Schweiz
Winter

Schweizer Skigebiete könnten ohne Kunstschnee kaum mehr funktionieren

Snowboarder und Schneekanone, aufgenommen bei der Eroeffnung der Skisaison, am Samstag, 19. November 2022, auf Parsenn in Davos. (KEYSTONE/Gian Ehrenzeller)
Längst haben wir uns an Schneekanonen auf den Pisten gewöhnt.Bild: keystone

Der Kampf der Skigebiete mit dem Kunstschnee

Die Tage um Weihnachten und Neujahr gehören in der ganzen Wintersaison zu den wichtigsten für Schweizer Skigebiete. Doch die Temperaturen steigen wieder an. Ohne Kunstschnee geht nicht mehr viel. Diese Punkte zeigen die aktuelle Lage auf.
21.12.2022, 16:3609.01.2023, 13:12
Reto Fehr
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Die Temperaturen steigen vor den Weihnachtsfeiertagen wieder. Im Flachland kann das Quecksilber an Weihnachten auf über 15 Grad klettern, auf dem Crap Sogn Gion in Laax (2264 m) werden Temperaturen um den (oder auch über dem) Gefrierpunkt vorausgesagt. Aber genau jetzt folgen die wichtigen Tage für die Schneesportgebiete. Die Skipisten müssen also bereit sein.

Da bisher allgemein wenig Schnee in den Bergen fiel, mussten viele Skigebiete mit Kunstschnee (technischem Schnee) dafür sorgen, dass sie Weihnachten und Neujahr ein gutes Angebot für Gäste bieten. Sowieso ist Kunstschnee längst nicht mehr aus Schweizer Skigebieten wegzudenken. Seilbahnen Schweiz, der Verband der Schweizer Seilbahnbranche, welchem rund 350 der 500 Seilbahnunternehmungen aus allen Regionen der Schweiz angehören, schreibt:

«Allein mit natürlichem Schnee kann heute weder das Angebot noch die Qualität der Pisten garantiert werden. Und dazu braucht es technischen Schnee, dessen Dichte um ein Mehrfaches höher liegt als beim natürlichen Schnee.»

Oder anders ausgedrückt: Früher war Kunstschnee als Ergänzung zum Naturschnee gedacht. Heute ist es eher umgekehrt.

Marc Lagger, Mediensprecher der Zermatt Bergbahnen AG, sagt auf Anfrage wohl stellvertretend für die Branche: «Der Verzicht auf Beschneiungsanlagen würde vielerorts zur Verunmöglichung vom Skibetrieb führen. Gerade für saisonale Destinationen wäre dies einschneidend. Zum Teil geht es hier um die Existenz von Tourismusbetrieben, denn in etwa jeder fünfte Franken im Berggebiet wird direkt oder indirekt durch den Tourismus generiert.»

Der Trend von wärmeren Wintern und weniger Schnee wird sich in den nächsten Jahren fortsetzen. Diese Punkte zeigen, wie die Skigebiete bereits heute mit Kunstschnee arbeiten.

Erstmals vor 70 Jahren hergestellt

Erstmals wurde Kunstschnee in Nordamerika in den 50er-Jahren produziert. Es dauerte bis zum Anfang der 1960er-Jahre, bis sich Schneekanonen dort verbreitet durchsetzten.

Anfang der 1970er-Jahre war dies dann auch in Europa der Fall. In der Schweiz war beispielsweise Savognin 1978 eines der ersten Skigebiete, welches Schneekanonen einsetzte.

2017 gab es eine Änderung der Berechnungsmethode, weshalb die Zahlen davor nur beschränkt vergleichbar sind.

Der «Siegeszug» von Kunstschnee begann bei uns nach der Jahrtausendwende. Lag der Anteil der beschneiten Pisten im Jahr 2000 noch bei rund 7 Prozent, stieg er bis 2007 auf 30 Prozent. Heute werden gemäss Seilbahnen Schweiz von den 22'000 Hektaren Pistenfläche rund 11'600 beschneit, was 53 Prozent entspricht.

Auf Anfrage bei einzelnen Skigebieten variieren diese Angaben natürlich. Zermatt kann rund 80 Prozent der Pisten beschneien, in Adelboden (nur Gebiet der Bergbahnen Adelboden AG) sind es rund 60 Prozent und in Laax bis zu 37 Prozent – natürlich immer je nach Schneesituation.

Schneelanzen Beschneiung
Beschneiung mit Schneelanzen. Bild: Shutterstock

Eingesetzt werden dafür in Zermatt 150 Schneekanonen und 1150 Schneelanzen, in Laax sind es 430 Beschneiungsanlagen (ca. 50 Prozent Lanzen) und in Adelboden (nur Gebiet der Bergbahnen Adelboden AG) 70 Schneekanonen und 230 Lanzen.

Wie viel wird im Alpenraum beschneit?

Mit 53 Prozent beschneit die Schweiz ungefähr gleich viel Pistenfläche wie der Durchschnitt der Länder im Alpenraum. Spitzenreiter ist hier Italien, wo 90 Prozent der Pisten beschneit werden, auch in Österreich und Slowenien liegt die Quote deutlich höher als bei uns:

Was sich überall zeigt: Die Zunahme in den letzten rund 20 Jahren ist eindrücklich. In der Schweiz werden mittlerweile in einem Winter rund 60 Gigawattstunden Strom zur Beschneiung verwendet.

Kunstschnee oder technischer Schnee
Kunstschnee und technischer Schnee bezeichnen das Gleiche. Im Volksmund ist die Bezeichnung Kunstschnee verbreitet, Experten sprechen von technischem Schnee. Denn am Schnee ist nach der Umwandlung von Wasser zu Schneekristallen nichts künstlich, nur die Produktion ist es. Kunstschnee ist kompakter, luftundurchlässiger und weniger wärmedämmend als Naturschnee.

Anteil am Stromverbrauch im Skigebiet

60 Gigawattstunden werden zur Beschneiung in der Schweiz benötigt. Damit macht die Herstellung von Kunstschnee bei den rund 350 Mitgliedern von Seilbahnen Schweiz 35 Prozent des gesamten Stromverbrauchs im Winter aus.

In Adelboden beispielsweise wurden in der letzten Saison insgesamt 4,5 Gigawattstunden für die Seilbahnen benötigt. 30 Prozent davon betrafen die Beschneiung, 60 Prozent die Seilbahnen und 10 Prozent den Rest.

Seilbahnen Schweiz nimmt unter dem Punkt «Seilbahnen» keine Abgrenzung zu Gastrobetrieben, Heizung etc. vor.

Deutlich zeigt sich auch, dass der Stromverbrauch aller Mitglieder im Winter deutlich höher liegt:

In diesen Monaten wird am meisten beschneit

Um das so wichtige Geschäft rund um Weihnachten und Neujahr am Leben zu erhalten, wird kein Aufwand gescheut.

Von den 60 Gigawattstunden, die pro Winter für technischen Schnee draufgehen, wurden in der letzten Saison 46 in den Monaten November und Dezember verbraucht.

In dieser Phase wird die Grundlage für die Saisoneröffnung und die Festtage gelegt. Mit dem weniger werdenden Schneefall könnten ohne Kunstschnee der Saisonstart und das Weihnachtsgeschäft nicht garantiert werden.

Die Herstellung von Kunstschnee wirkt sich natürlich auch auf den allgemeinen Stromverbrauch aus. So sind die Monate November und Dezember hier deutlich am höchsten, obwohl Januar bis März als typische Wintersportmonate gelten:

Nur 0,1 % des Gesamtverbrauchs

Auch wenn der Stromverbrauch für die Beschneiung einen beachtlichen Teil des Gesamtverbrauchs in den Skigebieten ausmacht, so beträgt der Anteil am gesamtschweizerischen Verbrauch nur 0,1 Prozent:

Dabei hat sich gemäss einem Bericht von Seilbahnen Schweiz die Effizienz der Beschneiungsanlagen in den letzten 13 Jahren verdoppelt.

Das Institut für öffentliche Dienstleistungen und Tourismus der Universität St.Gallen errechnete im März 2009 einen durchschnittlichen Energieverbrauch von 31'500 kWh pro Jahr pro beschneitem Pistenkilometer. Dieser hat sich in den letzten Jahren bis auf ca. 17'000 kWh reduziert und damit mehr oder weniger halbiert.

Sehr effizient arbeiten auch die Schneelanzen. In den letzten 18 Jahren hat sich der spezifische Druckluftverbrauch pro Lanze um den Faktor 10 reduziert.

Stromrechnung steigt deutlich

Und was kostet das alles? Das lässt sich nicht generell sagen. Je nach natürlichem Schneefall und Temperatur braucht es mehr oder weniger Kunstschnee und ändert sich die Effizienz. Zudem variiert der Strompreis.

ADELBODEN - Skifahrer waehrend Carving von hinten.

Copyright by Tourismus Adelboden - Lenk - Kandersteg By-line: swiss-image.ch/Roger Gruetter
Die Bergbahnen Adelboden rechnen in dieser Saison mit deutlich höheren Stromkosten.Bild: Tourismus Adelboden - Lenk - Kandersteg, swiss-image.ch/Roger Gruettere.ch

Die aktuelle Energiesituation wird die Kosten in die Höhe treiben. Bei den Bergbahnen Adelboden wurden in der letzten Saison 1,16 Millionen Franken für Energie und Verbrauchstoffe aufgewendet.

In diesem Jahr sagt Mediensprecherin Stefanie Inniger: «Die Kosten für elektrische Energie haben sich alleine bei der Bergbahnen Adelboden AG rund vervierfacht. Das führt im Geschäftsjahr 2022/23 zu Mehrkosten von rund einer Million Franken.»

Wie viel Wasser braucht es eigentlich?

Neben der Energie benötigt die Herstellung von Kunstschnee vor allem auch Wasser. Wie Seilbahnen Schweiz im Faktenblatt Beschneiung schreibt, werden für die 11'600 Hektaren ungefähr 13 Millionen Kubikmeter Wasser benötigt. Allerdings kann diese Zahl je nach Temperatur sehr stark variieren.

Bei tiefen Temperaturen und tiefer Luftfeuchtigkeit wird weniger Wasser benötigt als bei wärmeren und feuchteren Verhältnissen. Als Faustregel gilt: Mit einem Kubikmeter Wasser können bei guten Bedingungen bis zu 2,3 Kubikmeter Schnee produziert werden.

wildhaus Speichersee
Speichersee bei Wildhaus.Bild: Shutterstock

Und was passiert mit dem Wasser?

Das Wasser wird aber nicht wie der Strom verbraucht, sondern wird «geliehen», wie Seilbahnen Schweiz schreibt. Es bleibt auf guter Höhenlage gespeichert und kommt mit der Schneeschmelze in den natürlichen Kreislauf zurück.

Zermatt Ski
In Zermatt können rund 80 Prozent der Pisten beschneit werden. Bild: Shutterstock

Teilweise wird dieses auch direkt wieder in Speicherseen gepumpt. In Zermatt stammt das Wasser beispielsweise aus den Anlagen der Grand Dixence. Mediensprecher Marc Lagger sagt auf Anfrage: «Bei der Schneeschmelze fliesst es zum grossen Teil in diese Anlagen zurück. Weiter ist festzuhalten, dass die Wasserbezugsorte für die technische Beschneiung auf einer Höhenlage von bis zu 3'000 Metern über Meer liegen. Dies bedeutet, dass viele Beschneiungseinrichtungen im Gebiet von Zermatt nach dem Prinzip der Gravität ohne Pumpenenergie betrieben werden können.»

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115 Kommentare
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EinBisschenSenfDazu
21.12.2022 16:43registriert September 2022
Eines kann ich direkt so sagen: Wenn die Pisten nur noch mit Kunstschnee erhalten bleiben, dann gebe ich lieber das Skifahren auf. Irgendwo hat Wahnsinn auch seine Grenzen, zumindest bei mir.
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Herbert Gönnmereine
21.12.2022 17:28registriert Oktober 2019
Ich betreibe eine Schneebar in einem Skigebiet ohne künstliche Beschneiung. Über Weihnachten und Neujahr werden wir aller Voraussicht nach keinen Skibetrieb haben.
Und trotzdem bin ich froh, dass unser Skigebiet auf Naturschnee setzt und bei diesem Wahnsinn nicht mitmacht. Wir können dies, da wir das Sommergeschäft frühzeitig aufgebaut haben und mittlerweile damit mehr Umsatz generieren als wie im Winter. Ich denke, dass langfristig der Sommer die Lösung ist, nicht immer noch neuere und effizientere Schneekanonen
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Hösch
21.12.2022 16:59registriert März 2022
In den Tourismusgebieten haben sie Fachkräftemangel.
Die Pisten werden mit viel Energie beschneit.
In Europa herrscht Energiekrise.

Was läuft hier falsch?
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