Es ist einer jener Firmennamen, der sofort mit einem Bild assoziiert wird: Selecta – das sind die rot-weissen Snackautomaten, wie man sie von Bahnhöfen und Firmenbüros kennt. 120'000 Stück davon stehen in ganz Europa. Die Firma mit Sitz in Cham ZG ist seit Jahren Marktführer. Mit Abstand.
Doch der grossen Bekanntheit zum Trotz hat der Konzern, der sein Geschäft mit Spitzbuben, Cola-Flaschen und Kondomen macht, gewaltige Probleme. In den vergangenen Jahren hat er einen Schuldenberg von 1.7 Milliarden Franken angehäuft.
Nun soll alles besser werden, und anders. So will es die US-Inhaberin, die Beteiligungsfirma KKR, und auch der neue Selecta-Chef Christian Schmitz. Der 40-Jährige führte zuvor neun Monate lang den Gitarrenkonzern Gibson in Nashville, der ebenfalls ins Trudeln geraten war. Und wie Selecta gehörte auch Gibson der Private-Equity-Gesellschaft KKR. Die Firma sei heute 80 Prozent kleiner, dafür profitabler, sagt Schmitz.
Doch wie konnte es bei Selecta derart falsch laufen? «Selecta hatte die falsche Strategie», sagt der Norddeutsche ohne Umschweife im Gespräch in der neuen, modernen Hauptzentrale. «Es wurde nur an die Steigerung des Betriebsgewinn gedacht.» Gelitten hätten der Kundenfokus und die Innovation. Und eben auch die Bilanz. Laut der «Finanz & Wirtschaft» existiert Selecta heute nur noch, weil KKR 175 Millionen Euro eingeschossen hat.
Schmitz strahlt enorme Zuversicht aus. Zwangsläufig. Doch er greift auch tatsächlich durch. Kurz nach Stellenantritt gaben er und sein Verwaltungsratspräsident, der US-Amerikaner Joe Plumeri, den Abbau von 3000 der rund 10'000 Stellen in 16 Ländern bekannt. «Dieser schmerzhafte Schritt wäre schon viel früher nötig gewesen», sagt Schmitz.
Seine Vorgänger hätten den Abbau aber aus finanziellen Gründen gemieden. Insofern habe die Corona-Krise geholfen, da die Notlage plötzlich allen noch bewusster wurde. Kostenpunkt der Redimensionierung: Rund 25 Millionen Franken. «Doch das wird sich auf Dauer auszahlen», sagt Schmitz, der einst für das Beratungsunternehmen McKinsey arbeitete.
Schmitz spricht voller Tatendrang, fast ohne Pause. Mit dem forschen Vorgehen scheinen nicht alle klarzukommen. Allein in Frankreich hat Selecta den vierten Länderchef seit Schmitz’ Amtsantritt im Mai 2020, wie die «Handelszeitung» berichtete.
Schmitz nimmt gewisse Frustrationen bewusst in Kauf: «Wir befinden uns in einem riesigen Transformationsprozess und dazu gehört auch ein Kulturwandel, mit dem nicht alle klarkommen.» Er wolle jene Angestellten an Bord behalten, die am selben Strick ziehen. Früher habe Selecta 16 Königreiche gehabt. «Jeder machte etwas eigenes.» Nun steht eine Vereinheitlichung an.
Zu Schmitz’ Strategie gehört auch, dass die «Panzerschränke», wie er die Snack-Automaten an Bahnhöfen nennt, künftig an Bedeutung verlieren. Aktuell machen sie rund 25 Prozent des Gesamtumsatzes aus, mittelfristig dürften es laut Schmitz noch 15 Prozent sein, langfristig höchstens 10. Die Rentabilität schwankt je nach Standort, manche Automaten kommen bloss auf einen Tagesumsatz von wenigen Franken.
Den Löwenanteil des Umsatzes steuern die Kaffee- und Tee-Automaten in Firmen und Logistikzentren bei. Vermehrt handelt es sich dabei um Starbucks-Kaffee-Ecken, wie zum Beispiel an Tankstellen. Die Rechte dafür liegen bei Nestlé. «Diesen Vertrag konnten wir kürzlich um fünf Jahre verlängern», sagt Schmitz mit Stolz angesichts der kritischen Finanzlage seiner Firma.
Wichtiger werden Selbstbedienungs-Regale in Büros mit diversen Snacks. Selecta nennt sie «Foodies Micromarkets». Um diese attraktiver zu machen, setzt der wirblige Jung-Manager auf so genannte «Smart Fridges» - auf intelligente Kühlschränke mit frischeren Produkten. Quinoa-Salate und Smoothies statt Vogelnestli und Kartoffelchips quasi. Geöffnet werden sie per Kreditkarte und Sensoren registrieren automatisch, welcher Artikel entnommen wurde.
«Aktuell haben wir bereits 200 solcher Smart Fridges in Europa im Einsatz, unter anderem bei der UBS und anderen bekannten Schweizer Grosskonzernen», sagt Schmitz. Das Sortiment werde dabei den Bedürfnissen der Kundschaft angepasst. In der Finanzbranche sei die internationale, etwas teurere Küche wie zum Beispiel mit Sushi stärker gefragt.
Die Smart Fridges sind oftmals Teil einer ganzen Food-Wand, mit Getränken, Snacks und einem Steamer, der vorgefertigte Mahlzeiten aus dem Kühlschrank innert 30 Sekunden aufwärmt. «Bei allen Firmen, mit denen wir sprechen, gibt es derzeit Überlegungen, künftig das Kantinenangebot aufzugeben oder zumindest einzuschränken, weil die Mehrheit nicht mehr täglich und zu regelmässigen Zeiten im Büro sein wird», sagt Schmitz. Nicht zuletzt wegen Corona und dem Home-Office-Regime hat sich der Firmenumsatz denn auch auf eine Milliarde Franken halbiert.
Bei einem bekannten US-Konzern befände man sich zurzeit in der letzten Ausschreibungsrunde, um mehrere Standorte in Europa mit den modernen Kühlschränken auszurüsten. «Das wäre ein echter Game-Changer.»
Eine weitere Wachstumschance sieht Schmitz mit den «Micromarkets» und intelligenten Kühlschränken zudem an Flughäfen. Gemäss EU-Regel müssen die Airlines Passagieren eine Verpflegung anbieten, wenn sich ihr Flug um mehr als zwei Stunden verspätet.
«Heute ist dieser Prozess relativ kompliziert», sagt Schmitz. «Die Fluggesellschaft verteilt Gutscheine, die an Flughafen-Restaurants eingelöst werden können, und diese müssen dann den Betrag wieder von den Airlines einfordern.»
Schmitz’ Idee: «Man könnte den Passagieren auch einfach einen Bar-Code für einen unserer Smart-Fridges abgeben, die wir im Terminal aufstellen könnten. Das wäre deutlich einfacher.» Gespräche mit den Flughäfen Frankfurt und Zürich seien am Laufen.
Und schliesslich könnten, so glaubt Schmitz, die neuen Konzepte zum Teil auch den klassischen Selecta-Automaten im öffentlichen Bereich ablösen - und sogar andere Gastro-Anbieter. «Zurzeit läuft ein Test mit einem Micromarket an einem Bahnhof in London, mit Smart Fridge und Kaffeemaschine.» Zuvor sei auf dieser Fläche ein bedientes Café gestanden. Habe das Projekt Erfolg, seien schon bald rund 100 weitere Standorte europaweit möglich, sagt Schmitz.
Die grosse Frage: Wie verhält es sich mit Vandalismus und Diebstahl? Noch hat Schmitz keine Antwort darauf. Fakt ist aber, dass die klassischen Selecta-Automaten regelmässig Opfer von Sachbeschädigung werden.
«Da bildet auch die Schweiz keine Ausnahme.» Deshalb müsse der Smart Fridge an stark frequentierten Orten stehen, «nicht irgendwo in einer dunklen Ecke hinten auf dem Perron.»
Nur: Erst kürzlich kündigte der Kiosk-Konzern Valora an, ebenfalls ins Geschäft mit Snackautomaten einsteigen zu wollen (CH Media berichtete). Der Kampf um die besten Plätze wird nicht einfacher.