Die Inflation lässt schnell nach, viel schneller, als viele Beobachter erwartet hatten. In der Schweiz ist sie mehr als zweimal kleiner als auf dem Höhepunkt, in der Eurozone mehr als viermal. Und noch überraschender: Die Inflation hat nachgelassen, ohne dass es einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit gegeben hätte.
Bis zur aktuellen Inflation war das in der Regel anders. Die Zentralbanken erhöhten ihre Leitzinsen, bis am Arbeitsmarkt etwas in die Brüche ging, die Unternehmen ihre Produkte schlechter verkauften und darum ihre Preise weniger stark heraufsetzten. Das Fazit: Die Inflation war am Boden, Arbeitsmarkt leider auch.
Für das Jahr 2023 hatten darum viele Experten eine schwere Rezession und hohe Arbeitslosigkeit vorhergesagt. Für die USA beispielsweise sagte Larry Summers, früherer US-Finanzminister, um die Inflation in den Griff zu kriegen, müsse das Land fünf Jahre lang mit einer Arbeitslosenquote von über 5 Prozent leben. Eine Schreckensvision.
Doch davon ist bisher nichts zu sehen. Im Gegenteil: Die USA erleben gerade den besten Arbeitsmarkt seit über fünf Jahrzehnten. Auch in der Eurozone haben mehr Menschen als je zuvor einen Arbeitsplatz oder sind auf der Suche nach einem solchen. Die Schweiz hat die tiefste Arbeitslosenquote seit Jahrzehnten.
Damit scheint es die Chance auf eine sanfte Landung zu geben, auf einen Sieg über die Inflation, ohne Rezession, ohne Abwürgen des Arbeitsmarktes. Kann das wirklich gelingen? Kann dieses Mal gelingen, was sonst in den letzten sieben Jahrzehnten so gut wie nie gelang?
Die Antwort, welche etwa der US-Ökonom Paul Krugman gibt, lautet kurz so: Eine Rezession ist nicht nötig – aber möglich.
Nicht nötig ist eine Rezession, weil dieses Mal alles anders ist. Die aktuelle Inflation ist massgeblich die Folge der Pandemie, wie einige Studien zeigen und wie einige wenige Ökonominnen früh sagten. Lieferketten gerieten durcheinander, zig Produkte oder Dienstleistungen wurden knapp, die Preise stiegen.
Verschlimmert wurde die Inflation durch extreme Verschiebungen in der Nachfrage. Als die Menschen mehr zu Hause blieben, kauften sie Heimkinos und Fitnessgeräte; als sie wieder raus konnten, wollten sie auf Reisen oder in Restaurants.
Mit der Zeit bekamen die Unternehmen ihre Lieferketten wieder in den Griff; der Sturm auf Reisen und Restaurants liess nach – und die Inflation verschwindet fast genauso schnell, wie sie gekommen ist. Auch ohne eine Rezession und ohne hohe Arbeitslosigkeit.
Darum ist eine Rezession dieses Mal nicht nötig, um die Inflation zu besiegen. Dennoch ist eine Rezession möglich, sagt Krugman. Denn: «Die Frage ist nun, ob die US-Zentralbank Fed eine unnötige Rezession herbeiführt.» Gleiches gilt wohl für die Zentralbanken in der Schweiz und in der Eurozone.
Bisher ging an den Arbeitsmärkten nichts in die Brüche. Doch wenn die Zentralbanken nicht bald ihre Leitzinsen wieder senken, kracht es womöglich doch noch. Es würde eine Rezession geben, die es gar nicht gebraucht hätte.
Oder es werden durch die hohen Zinsen sonst irgendwo in der Wirtschaft weitere Bomben gezündet. Bisher flogen in den USA mehrere Banken in die Luft, in der Schweiz die Credit Suisse - und nun in der Schweiz, Österreich und Deutschland das Immobilien-Imperium von René Benko.
Es ist ein Rätsel, warum es nicht noch öfter knallte. Eine mögliche Erklärung kommt von Mark Zandi, Chefökonom von Moody's Analytics. In den USA hätten die Firmen sich noch zu Zeiten rekordtiefer Zinsen langfristig verschulden können - und seien darum heute widerstandsfähig gegen die hohen Zinsen. Ihre Zinskosten seien so tief wie seit Jahrzehnten nicht.
Die Frage ist dann, ob es dabei bleibt, falls die Zinsen länger hoch bleiben sollten. Zandi glaubt: Einige Firmen würden tatsächlich Probleme bekommen, wenn sie nächstes Jahr zu höheren Zinsen neue Schulden aufnehmen müssten. Immerhin: Es seien nicht genug an der Zahl, als dass dies zu einem Problem für die gesamte Wirtschaft werden könnte.
Als Kandidat für weitere Pleiten gilt der Markt für Büro- und Verkaufsflächen in den USA. «Völlig überschuldet» sei diese Branche, sagt Kenneth Rogoff, früher Chefökonom des Internationalen Währungsfonds. Alles klammere sich bloss an die Hoffnung, irgendwie bis 2025 zu überleben, bis die Zinsen dann hoffentlich wieder sinken und dies «die Flut roter Tinte eindämmt, die ihre Unternehmen zu ertränken droht».
Es steht also einiges auf dem Spiel. Eine Rezession würde höhere Arbeitslosigkeit bedeuten, langsameres Lohnwachstum und mehr Konkurse. Es wäre auch schlechter für die Bewertungen von Aktien, was dann auch die Pensionskassen zu spüren bekämen.
Ist die Rezession erst da, würden die Zentralbanken umso schneller heruntergehen müssen mit den Leitzinsen. Das hätte dann die für Immobilienbesitzer erfreuliche Folge, dass die Hypothekarzinsen nach unten gezogen werden. Und damit wiederum sollte auch der hypothekarische Referenzzinssatz wieder sinken, der die Mieten beeinflusst. (aargauerzeitung.ch)