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Weshalb SVP-Bundesrat Maurer mehr Zuwanderung aus Drittstaaten will

«Spitzenfachkräfte»: Weshalb SVP-Bundesrat Maurer mehr Zuwanderung aus Drittstaaten will

Finanzminister Ueli Maurer schlägt mehr Zuwanderung aus Staaten ausserhalb der EU vor, um Lücken in der Forschung und Informatik zu schliessen. Doch trotz Fachkräftemangel zeichnet sich kurzfristig noch keine Erhöhung der Kontingente ab.
04.07.2022, 13:02
Kari Kälin / ch media
Mehr «Schweiz»

Die Aussage, die Finanzminister Ueli Maurer an der Pressekonferenz zur Umsetzung der OECD-Mindestbesteuerung für grosse Unternehmen gemacht hat, wurde kaum wahrgenommen. Dabei hat ausgerechnet der SVP-Bundesrat brisante Pläne verkündet: Mehr Zuwanderung zwecks Steigerung der Standortattraktivität, damit die Firmen genügend «absolute Spitzenfachkräfte» erhalten. «Ich denke, dass wir die Drittstaatenkontingente leicht erhöhen müssen, spezifisch für Firmen im Bereich der Forschung und Informatik.» Wann der Bundesrat die Kontingente allenfalls nach oben anpasst, ist noch offen.

Swiss Federal Councillor Ueli Maurer looks on during the 51st annual meeting of the World Economic Forum, WEF, in Davos, Switzerland, on Monday, May 23, 2022. The forum has been postponed due to the C ...
Finanzminister Ueli Maurer im Mai am WEF in Bern.Bild: keystone

Für dieses Jahr stehen 8500 Kontingente bereit. Bevor Firmen Arbeitskräfte aus Drittstaaten engagieren, müssen sie nachweisen, dass sie die offene Stelle nicht mit Bewerbern aus der Schweiz oder dem EU/Efta-Raum besetzen können. Wie stark Maurer die Kontingente hochschrauben will, lässt er offen. Diese und andere Fragen würden im Verlauf des parlamentarischen Prozesses diskutiert, richtet seine Kommunikationsabteilung aus.

Arbeitgeberverband: Akademiker aus Drittstaaten sollen nach Studienabschluss hier bleiben dürfen

Für Simon Wey, Chefökonom des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes, kommt der Ruf nach höheren Kontingenten nicht überraschend. Er sagt: «Kurzfristig müssen die Unternehmen im oftmals ausgetrockneten Arbeitsmarkt auch die Möglichkeit haben, vermehrt aus Drittstaaten Personal zu rekrutieren.»

Simon Wey ist Fachspezialist für Arbeitsmarktökonomie beim Schweizerischen Arbeitgeberverband.
Simon Wey, Chefökonom beim Schweizerischen Arbeitgeberverband.

Konkrete Zahlen mag auch Wey keine nennen. Der Arbeitgeberverband fordert aber, dass Unternehmen mit Standorten in der Schweiz und in Drittstaaten ihr Personal flexibler verschieben können. Und dass Akademiker aus Drittstaaten nach Studienabschluss ohne bürokratische Hürden in der Schweiz bleiben dürfen.

Die Zürcher Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh (FDP) unterstützt diese Forderung: «Dies würde den Spielraum der Kantone bei den gesuchten Fachkräften kurzfristig erhöhen.» Sie erblickt in höheren Kontingenten eine Möglichkeit, «den sich zuspitzenden Fachkräftemangel im Bereich der hoch qualifizierten Arbeitskräfte zu entschärfen».

Sogar Franz Grüter, SVP-Stabschef und Luzerner Nationalrat, zeigt sich offen für mehr Zuwanderung aus Drittstaaten. Als ehemaliger Geschäftsführer und aktueller Verwaltungsratspräsident des IT-Unternehmens Green kennt er die Nöte beim Rekrutierungsprozess aus eigener Erfahrung. Seine Firma habe «Handstände» gemacht, bis sie endlich Spezialisten aus den USA habe einstellen können.

Franz Grueter, Nationalrat SVP-LU, spricht waehrend der Diskussion um das E-ID Gesetz, waehrend der Delegiertenversammlung der SVP, am Samstag, 30. Januar 2021 in Oensingen. Die DV findet online via V ...
SVP-Stabschef Franz Grüter zeigt sich offen für mehr Zuwanderung aus Drittstaaten.Bild: keystone

Es müsse einfacher werden, Topshots aus Indien, den USA oder China zu verpflichten, denn: «In der Schweiz und in der EU gibt es – trotz Personenfreizügigkeit – Engpässe bei hoch spezialisierten Fachkräften.» Grundsätzlich weicht Grüter aber nicht von der Parteilinie ab: Die Zuwanderung gelte es zu drosseln. Die Personenfreizügigkeit schaffe grosse Probleme, weil sie keine Kriterien für die Zuwanderung setze.

Historisch: Mehr offene Stellen als Arbeitslose

Dass sich in der Schweiz ein Fachkräftemangel abzeichnet, ist unbestritten. Gemäss einer Studie der UBS fehlen bis in zehn Jahren bis 500’000 Arbeitskräfte. Die Lage am Arbeitsmarkt präsentiert sich aktuell historisch: Es gibt mehr offene Stellen als Arbeitslose. «Eine solche Situation ist in diesem Jahrhundert praktisch einmalig», sagt Michael Siegenthaler von der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich. Ob IT, Gesundheitswesen, Schulen oder Baugewerbe: Branchenübergreifend sind Tausende Stellen offen.

Gemäss Bundesamt für Statistik bekundete im ersten Quartal dieses Jahres jedes dritte Unternehmen Mühe, geeignete Arbeitskräfte zu rekrutieren. Gegenüber der NZZ sagte Boris Zürcher, Leiter der Direktion Arbeit beim Staatssekretariat für Wirtschaft: «Der Mangel an Arbeitskräften hat sich so stark akzentuiert wie noch nie.»

Auch wenn Arbeitgeber händeringend nach Fachkräften suchen, zeichnet sich kurzfristig noch keine Erhöhung der Drittstaatenkontingente ab. «Die meisten Kantone melden, dass 8500 auch im kommenden Jahr genügen», sagt der Urner Regierungsrat Urban Camenzind (Mitte). Er präsidiert derzeit die Konferenz der kantonalen Volkswirtschaftsdirektoren.

Mehr Zuwanderung löst Problem nur partiell

Der Bund legt die Zahlen jeweils im Herbst fest. Am meisten Kontingente beanspruchte in den letzten Jahren die Informatik-Branche, gefolgt von der Unternehmensberatung sowie der Chemie- und Pharmaindustrie. Kontingente benötigen etwa auch Fussballer aus dem Nicht-EU/Efta-Raum – oder der japanische Sushi-Koch. In welchem Ausmass die Geflüchteten aus der Ukraine den Fachkräftemangel lindern, bleibt abzuwarten. Bis jetzt haben 2000 von 32’000 Personen im erwerbsfähigen Alter einen Job gefunden.

Klar ist: Mehr Zuwanderung löst das Problem des ausgetrockneten Arbeitsmarkts nur partiell – zumal die Zuwanderung politisch ein heisses Eisen ist. Mittelfristig die grösste Wirkung im Kampf gegen die Personalnot verspricht sich Ökonom Simon Wey von Massnahmen, die einen Anreiz schaffen, damit Arbeitskräftepotenzial im Inland besser ausgeschöpft wird. Als vielversprechend taxiert er etwa die Einführung der Individualbesteuerung oder günstigere Kita-Tarife. Wey weist darauf hin, dass zum Beispiel 15.4 Prozent der Mütter ihr Teilzeitpensum gerne aufstocken würden. (aargauerzeitung.ch)

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57 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Nordkantonler
04.07.2022 13:34registriert September 2020
Kann das bitte jemand quer durch die Schweiz plakatieren?

"Mehr Ausländer für Spitzenpositionen.
SVP - Schweizer Qualität"
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_kokolorix
04.07.2022 13:48registriert Januar 2015
Das kommt ja alles soo überraschend. Wer hätte auch geglaubt, dass die Spinner, welche vor 25 Jahren einen Arbeitskräftemangel vorausgesagt haben, recht haben könnten...

Statt in Aus- und Weiterbildung zu investieren, haben viele Unternehmen ihre Lehrlingsabteilungen verkleinert oder gar geschlossen, weil diese in den Quartelsabschlüssen nur als bonihemmender Kostenfaktor auftauchten...

Jeder vernünftige Mensch kann sehen, dass es Probleme gibt, wenn mehr Leute pensioniert werden als ihre Ausbildung abschliessen. Aber die BWLer wollten lieber fertig ausgebildete aus dem Ausland...
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Rick Astley (der/die/das)
04.07.2022 14:20registriert April 2016
Wie wäre es wenn wir zuerst das Problem mit den Ü50 Arbeitnehmer regeln?
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