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Die Schweiz kommt gut durch die Zinswende – bislang

Zinsen, inflation
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Die Schweiz kommt gut durch die Zinswende – bislang

Die Schweiz ist bisher gut durch die Zinswende gekommen, doch es ist noch nicht vorbei – und was passieren kann, zeigt Deutschland.
11.05.2024, 10:4011.05.2024, 10:40
Niklaus Vontobel / ch media
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Zurzeit sieht es gut aus. Die Inflation ist zurück unter 2 Prozent, wo sie die Schweizerische Nationalbank (SNB) haben will. Die Finanzmärkte gehen fest von zwei weiteren Leitzinssenkungen aus. Die Zinsen auf mehrjährige Festhypotheken sind seit einem Zwischenhoch im Jahr 2022 deutlich gefallen. Inflation besiegt, Zinswende ausgestanden. Scheinbar.

Allzu viel ging bisher nicht in die Brüche. Der Schweizer Immobilienmarkt hat standgehalten, dieser Megamarkt mit Hypotheken von weit über 1000 Milliarden Franken. Die nationalen Eigenheimpreise crashten nicht, gingen noch nicht einmal zurück – sie stiegen weiter an.

Es gab keine Bankenkrise, keine grosse Firmenpleite und keine Dramatik wie in den 1990er-Jahren. Damals appellierte der Hauseigentümerverband an SNB und Banken, die aktuellen Hypothekarzinsen seien nicht zu verkraften und «eine weitere Erhöhung mit allen Mitteln zu verhindern».

Doch die Gefahr ist nicht gebannt, und vielleicht ist die Schweiz näher an einer Krise, als es den Anschein macht. Märkte wirken oft so lange stabil, bis sie es auf einmal nicht mehr sind. Negativspiralen können schnell in Gang kommen – oder eben nicht. Dass es bisher nicht so weit kam, lag vielleicht an Glück und sicherlich an der SNB.

Sie bekämpfte die Inflation nicht allein mit Leitzinserhöhungen. Gleichzeitig stärkte sie den Franken durch massive Eingriffe am Devisenmarkt. Dieses Vorgehen hat SNB-Vizepräsident Martin Schlegel in einer Rede öffentlich gemacht und dabei festgehalten: «Ohne den Einsatz von Devisenverkäufen hätte die SNB den Leitzins stärker anheben müssen.»

Die Nationalbank hätte die Zinsen viel stärker erhöhen müssen

Als die Inflation abhob, hatte die SNB einen Richtungswechsel vollzogen. Über ein Jahrzehnt lang hatte sie den Franken geschwächt; nun stärkte sie ihn.

Zunächst stemmte sie sich nicht länger gegen eine Frankenaufwertung: Sie verkaufte keine Franken mehr, kaufte keine Fremdwährungen. Der starke Franken schützte die Schweiz gegen die steigenden Preise im Ausland, insbesondere von Energie. Im Herbst 2022 reichte dies nicht mehr.

Die SNB stärkte nun die Landeswährung aktiv: Sie kaufte Franken und verkaufte Fremdwährungen. 2022 gab sie so umgerechnet 22 Milliarden Franken aus, im Jahr 2023 dann 133 Milliarden Franken. Insgesamt also 155 Milliarden, was ungefähr 20 Prozent der jährlichen Schweizer Wirtschaftsleistung entspricht. Viel Geld.

Die SNB wollte damit die Inflation bekämpfen, wie es die Verfassung vorgibt. Gleichzeitig half sie damit jedoch dem Immobilienmarkt. Hätte sie den Franken nicht gestärkt, hätte sie die Leitzinsen mehr erhöhen müssen. Die Banken hätten ihrerseits mit den Hypothekarzinsen nachgezogen. Die Immobilienpreise wären erheblich mehr unter Druck geraten.

Schlegel sagte in seiner Rede nicht, um wie viel mehr die SNB ohne Frankenkäufe ihre Leitzinsen hätte erhöhen müssen. Doch einer Studie von SNB-Ökonomen lässt sich entnehmen, was die Grössenordnung gewesen sein könnte: bis zu einem vollen Prozentpunkt. Die SNB hätte ihren Leitzins von minus 0,75 nicht nur auf 1,75 Prozent angehoben – sondern bis auf 2,75 Prozent.

In der SNB-Studie werden die 2010er-Jahre angeschaut. Damals waren die Vorzeichen umgekehrt: Es gab nicht zu viel Inflation, sondern zu wenig und gar eine Deflation. Die SNB senkte also ihren Leitzins und schwächte zugleich den Franken. Hätte sie nur ihre Leitzinsen senken können – sie hätte noch weit tiefer unter die Nullgrenze gehen müssen. Minus 0,75 Prozent hätten nicht genügt, es hätte zeitweise ein Prozentpunkt tiefer sein müssen – minus 1,75 Prozent.

Die Zentralbanker warten womöglich zu lange mit den Zinssenkungen

In der aktuellen Zinswende lässt sich über die 155 Milliarden so viel mit Bestimmtheit sagen: Sie haben die Zinswende sicherlich erheblich abgedämpft und es damit den Privathaushalten leichter gemacht, den höheren Zinsen zu entgehen.

Sie flüchteten etwa zeitweise in Saron-Hypotheken, weil dort der Zinsanstieg weniger gross war als bei Festhypotheken. Es war eine Wette darauf, dass die Zinsen nicht noch viel stärker steigen würden. Andere Wohneigentümer rettete der Zufall: Ihre Hypotheken liefen noch weiter.

Wieder andere Immobilienbesitzer verschoben ihre Verkaufspläne lieber, in der Hoffnung auf bessere Zeiten. Laut Zahlen des Immobilienberaters Wüest Partner gab es national im 4. Quartal 2023 rund 15 Prozent weniger Verkäufe als noch zwei Jahre zuvor. Im Kanton Zürich gab es bei Einfamilienhäusern so wenige Verkäufe wie in über 10 Jahren nicht.

Dieses Aussitzen der Zinswende ist ein internationales Phänomen, wie der Länderverein OECD schreibt. Die Zahl der Verkäufe sei in den meisten Ländern stark zurückgegangen: etwa in Spanien und Frankreich um über 20 Prozent, in den USA um über 30. «Dies deutet darauf hin, dass ein erneuter Preisrückgang möglich ist, wenn mehr Eigentümer verkaufen müssen.»

Die Zinswende ist wohl erst ausgestanden, wenn die Notenbanken der USA (Fed) und der Eurozone (EZB) ihre Leitzinsen deutlich gesenkt haben. Ein Alleingang der SNB könnte den Franken zu sehr schwächen und die Inflation wieder aufleben lassen.

Daher ist es auch für die Schweiz kein gutes Zeichen, wenn eine Fed-Vertreterin sagt, man müsse die Leitzinsen «länger als gedacht» auf dem höchsten Stand seit zwei Jahrzehnten belassen. Oder wenn ein EZB-Offizieller meint, es mache ihm Sorgen, was mit dem Euro passiere, wenn die EZB ihre Leitzinsen senkt, die Fed ihre jedoch nicht. Es sei zu früh, sich auf Senkungen festzulegen.

Diese Notenbanker könnten recht haben. Oder sie zögern zu lange und bemerken ihren Irrtum erst dann, wenn irgendwo etwas in die Brüche gegangen ist: Die Arbeitslosigkeit stark steigt oder irgendein Markt einbricht.

Die Chance, dass es noch schiefgeht, scheint gering. Der Schaden wäre jedoch gross. UBS-Ökonom Mathias Holzhey sagt, dass man in Deutschland sieht, was passieren kann. Vor der Zinswende sei dort vieles ähnlich gewesen wie in der Schweiz: knappes Wohnungsangebot, gut laufende Wirtschaft. Doch dann gingen die Zinsen viel stärker hoch.

Deutschland erlebte bei Eigenheimen gemäss dem Wirtschaftsinstitut Kiel den «grössten je erfassten Preisrückgang»; bei Büros und Verkaufsflächen laut der Nachrichtenagentur Bloomberg den «freien Fall». Holzhey sagt: «Wären bei uns die Zinsen genauso hochgegangen, wären die Preise zwar nicht im gleichen Ausmass gefallen – hätten aber doch deutlich nach unten korrigiert.»

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9 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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sjmj7
11.05.2024 13:44registriert März 2016
Ich finde die SNB macht alles in allem einen Top Job!
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9
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