Was zwischen Bern und Washington läuft – und auch innerhalb von Bern, zwischen den Departementen – erinnere an «House of Cards». So formuliert es ein hochrangiger Beamter, der in die Zoll-Causa involviert ist. Für ihn jedenfalls war schnell klar: Die Zitate aus dem Telefonat, die CH Media publik gemacht hat, würden zu einer Gegenreaktion führen.
Das mag übertrieben sein; in der Netflix-Serie kommt es zu Mord und Totschlag. Der Zoll-Krimi ist zum Glück bloss ein Kampf um Erzählungen und Deutungen. Und doch hat er einen sehr ernsthaften Hintergrund: Der 39-Prozent-Strafzoll gefährdet Tausende Stellen in der Schweiz und könnte dazu führen, dass die Schweiz in eine Rezession abrutscht.
Wäre der Zoll-Krimi eine Serie, hätte diese bislang vier Folgen:
Folge 1: Das Telefonat. Am Nationalfeiertag, dem 1. August, erfährt die Schweiz, dass ein Telefonat zwischen Trump und Keller-Sutter zu keiner Einigung im Zollstreit geführt hat – und der US-Präsident der Schweiz den europaweit höchsten Zoll aufbrummt: 39 Prozent auf Exporte nach Amerika. Und das, obwohl eine Absichtserklärung, welche die US-Regierung mit den Schweizer Behörden ausgearbeitet hatte, auf einen Zoll von 10 Prozent hoffen liess.
Folge 2: Sündenbock Keller-Sutter. In einzelnen Schweizer Medien ist zu lesen, die Bundespräsidentin sei schuld am Fiasko. Gemäss gut unterrichteten US-Kreisen habe sie Trump belehrt. Einige Tage später äussert sich Trump selbst. Er behauptet, die «Lady» habe ihm «nicht zugehört». Von «Belehren» spricht er nicht.
Folge 3: Enthüllung des Telefonats. CH Media und in Teilen auch der «SonntagsBlick» berichten aus einem Gesprächsprotokoll des Telefonats. Daraus geht hervor, dass Trump – und nicht Keller-Sutter – diejenige Person war, die belehrte und nicht zuhörte. Trump wollte vom ersten Moment des Telefonats an keinen Deal. Über seine eigenen Unterhändler machte er sich lustig. Als er die Namen seiner Handelsbeauftragten hörte, sagte er: «I don’t care about them» («Die sind mir egal»). Diese hatten die Absichtserklärung – 10 Prozent Zoll – ausgearbeitet und wurden im Telefonat von Trump desavouiert. Dass Keller-Sutter von 150 bis 200 Milliarden Investitionen von Schweizer Firmen in den USA sprach, half nichts.
Folge 4: Die Rache. Dass Informationen aus dem Telefonat durchsickerten, passt Trumps Beratern nicht. Sie versuchen, die Erzählung aus Folge 2 wieder zu etablieren – und spitzen diese noch zu. Via «SonntagsBlick» lassen sie verlauten: «Einzig der Anruf der Bundespräsidentin und nichts anderes führte zum Fiasko.» Keller-Sutter habe nicht nur belehrt, sondern Trump sogar «gedemütigt». Die Retourkutsche fährt mit Superlativen daher: «Noch nie liess sich ein US-Präsident über eine halbe Stunde so behandeln.» Es gebe kein «Länderproblem», sondern ein «Persönlichkeitsproblem».
Wie es in Folge 5 weitergeht, zeichnet sich bereits ab. Sie könnte den Titel tragen: «Das Blame-Game». Es geht um gegenseitige Schuldzuweisungen. Die zentrale Frage lautet: Wer hat ein Interesse daran, Keller-Sutter als Schuldige hinzustellen?
Dass sich Trump eine halbe Stunde lang «demütigen» lässt, daran glaubt wohl niemand. Auch nicht an den Vergleich eines US-Informanten: Bill Clinton hätte schon nach zehn Minuten aufgelegt. Was passiert, wenn sich Trump gedemütigt fühlt, sah die ganze Welt beim Treffen mit Selenski Ende Februar. Wenig glaubwürdig ist auch, dass Trump ein Grundsatzproblem mit der Person Keller-Sutter haben soll. Das erste Telefonat im April verlief sehr gut. Und nach dem zweiten, verhängnisvollen Gespräch sagte Trump zwar, die «Premierministerin» habe nicht zugehört, aber auch, dass sie «nice» (nett) sei.
Warum also das PR-Sperrfeuer gegen Keller-Sutter? Darüber kursieren in Kreisen der Politik und Wirtschaft, die in das Zoll-Dossier involviert sind, drei Thesen.
Die «Anti-KKS-Kampagne» (KKS steht für Keller-Sutter) werde aus Teilen des Wirtschaftsdepartements (WBF) von Guy Parmelin orchestriert. Nicht von diesem selber: Parmelin spiele eine «absolut saubere» Rolle und arbeite sehr gut mit Keller-Sutter zusammen. Das wird aus ihrem Umfeld bestätigt. Aber: Unter Parmelin gebe es Kräfte, die ein Interesse daran hätten, die Finanzministerin zu destabilisieren. Ihnen sei Keller-Sutter zu stark geworden, man müsse sie «zurückstutzen».
Es fällt dabei der Name von Staatssekretärin Helene Budliger Artieda. Die Seco-Direktorin habe intern unverhohlen über Keller-Sutters «Einmischung» ins Zolldossier geschimpft und auch Vorbehalte angemeldet, ob Keller-Sutter als Person bei Trump gut ankomme. Was dieser These Auftrieb gibt: Budliger gilt angeblich als gut bekannt mit Ex-Botschafter Thomas Borer, der sich mehrfach kritisch zum Zollstreit äusserte.
Ein Sprecher des WBF weist die Vorwürfe kategorisch zurück: Es sei eine «absurde Lüge», dass aus dem Departement Parmelin Stimmung gegen Keller-Sutter gemacht werde. Budliger mache einen hervorragenden Job und sei loyal. Mit Thomas Borer gebe es keine privaten Kontakte, sie würden sich nur aus geschäftlichem Kontext kennen. «Es gibt einen Verräter, das ist klar, aber nicht bei uns.»
Mit der UBS hat sich Keller-Sutter eine mächtige Gegnerin geschaffen. Die Finanzministerin kämpft für eine strenge Regulierung. 25 Milliarden Franken mehr Kapital müsste die UBS bereitstellen, sollten Keller-Sutters Pläne durchs Parlament kommen. Diese bekämpft die UBS. Schon kurz nach dem Zoll-Hammer berichtete die Londoner «Financial Times», die UBS könnte davon profitieren. Es bestehe die Chance, dass die Regulierung abgemildert werden.
In Bern vermuten darum einige, die UBS mit ihren engen Beziehungen zur US-Regierung stecke hinter der Kampagne. Keller-Sutter habe sich bei der UBS viele Feinde gemacht. Diese würden nun die Gelegenheit nutzen, die Freisinnige zu schwächen. Es fällt gar der Name eines UBS-Verwaltungsrats, der auch Verwaltungsrat bei Ringier ist, der den «SonntagsBlick» herausgibt – Lukas Gähwiler.
Diese These mag plausibel klingen. Gemäss Recherchen von CH Media lässt sie sich aber nicht stützen. Aus gut informierten Finanzkreisen mit Kontakten zur UBS-Spitze hört man Folgendes: Parmelins Wirtschaftsdepartement hat die UBS um Unterstützung im Zollstreit angefragt. Sowohl CEO Sergio Ermotti wie Verwaltungsratspräsident Colm Kelleher sind sehr gut vernetzt. Die UBS beschäftigt in den USA 20’000 Mitarbeitende.
Tatsächlich hat die UBS ihre Kontakte in den vergangenen Tagen bereits spielen lassen – auch direkt ins engste Trump-Umfeld. Die UBS sehe das als «patriotische Pflicht», wie es jemand nicht ohne Pathos ausdrückt. Kommuniziert habe man dieses «Engagement» nicht, weil zuletzt oft der Vorwurf aus den Medien gekommen sei, die UBS lobbyiere zu sehr. An einer Schwächung von Keller-Sutter habe man «null Interesse»: Vorrang habe das Interesse des Wirtschaftsstandorts Schweiz, von dem auch das Gedeihen der UBS abhänge. Ausserdem wird befürchtet, eine durch das Zoll-Fiasko geschwächte Finanzministerin könnte dafür bei der Regulierung erst recht Stärke demonstrieren.
Verlierer des Telefonats vom 31. Juli sind nicht nur Keller-Sutter und die Schweiz, sondern auch Trumps oberste Handelsbeauftragte Greer, Bessent und Lutnick. Ihre Vorarbeiten wurden von Trump vom Tisch gewischt: «I don’t care about them.» Sie haben ein Interesse daran, die Schuld einzig und allein auf das Telefonat zu schieben – nach dem Motto: «Eigentlich war alles bereit für einen Deal, wenn nicht Keller-Sutter sich am Telefon so unmöglich verhalten hätte.»
Dieses Narrativ war durch das Gesprächsprotokoll infrage gestellt und soll jetzt wieder dominant werden. «Jeder Schweizer Medienbericht und auch das Interview von TeleZüri mit Keller-Sutter werden innerhalb von zwei Stunden in die USA übermittelt, via US-Botschaft, und Trumps Orbit erfährt davon.» Deshalb sei entscheidend, welche Erzählung in der Schweiz dominiere, um die Glaubwürdigkeit von Trumps Gefolgsleuten beim US-Präsidenten zu schützen.
Um das gewünschte «Narrativ» zu verbreiten, dafür soll der ehemalige US-Botschafter in Bern, Ed McMullen, eine wichtige Rolle spielen. Auch er wurde blamiert durch den 39-Prozent-Strafzoll. Denn er hatte in den Wochen davor in mehreren Schweizer Medien seine guten Beziehungen zu Trump hervorgehoben und angedeutet, er sei daran, auf eine für die Schweiz vorteilhafte Lösung hinzuwirken.
Für CH Media war McMullen am Montag nicht erreichbar. Am 8. August, nach Inkrafttreten des Strafzolls, hatte er auf eine Interviewanfrage geantwortet: «Ich bin optimistisch, dass eine Einigung erzielt wird, weil ich den Wert kenne, den beide Nationen unserer wichtigen bilateralen Handelspolitik beimessen. Sobald eine Einigung vorliegt, werde ich mich gerne weiter dazu äussern.» (aargauerzeitung.ch)
Aber ja, das wird nicht passieren. :)
Dafür sollte der Handel mit der EU stärker gefördert werden und gleichzeitig eine Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen zu China (ggf. auch Indien) stattfinden.
Genug ist genug, die USA sollen für ihre Überheblichkeit und Arroganz langfristige Konsequenzen spüren.
Was wenn Donald Trump beim Gespräch einfach schlecht gelaunt war, und heute gar nicht mehr weiss, wann er warum zu wem was gesagt hat?