Der Patient ist ziemlich angeschlagen, aber es geht ihm blendend. Ungefähr diese Botschaft verbreiteten die Verantwortlichen von Schweiz Tourismus und der Verband der Schweizer Seilbahnen am Montag an einem Mediengespräch. Thema war der Klimawandel und der Einfluss auf die Skigebiete. Die düstere Botschaft überbrachte in dieser Runde Klimaforscher Reto Knutti: Bis 2050 werde die Nullgradgrenze um weitere 300 Meter ansteigen. Knutti: «Unter 1500 Höhenmetern wird es für die Skigebiete schwierig.»
Er betonte, dass es dabei um natürlichen Schneefall gehe. Mit künstlicher Beschneiung könne da allenfalls schon weiter gefahren werden. Allerdings würden auch die Anzahl Frosttage in tiefer Höhe deutlich abnehmen. Die durchschnittliche Höhe der Bergstation in den Schweizer Skigebieten liegt bei rund 1600 Höhenmeter. Knutti hat im Auftrag der Touristiker gerechnet und ging dabei von einem Temperaturanstieg von 1 Grad bis in 26 Jahren aus. Das ist eine eingemittete Schätzung. Das liegt unter den ehrgeizigen Zielen vieler Länder, es gibt aber auch deutlich pessimistischere Prognosen.
Das bedeute aber keineswegs, dass nun reihenweise Skigebiete die Lifte abstellen müssen, bemühte sich Berno Stoffel, Direktor von Seilbahnen Schweiz, zu sagen. Jedes Skigebiet sei anders. Neben der gemitteten Nullgradgrenze gebe es auch noch lokale Begebenheiten und etwa, ob es ein Sonnen- oder Schatthang sei. Und er betonte auch, dass «viele Destinationen deutlich oberhalb der kritischen Grenze sind. Da kann auch weiterhin bei guten Bedingungen Ski gefahren werden.»
Martin Nydegger, Direktor Schweiz Tourismus, warnte vor Alarmismus. «Wir wollen Fakten schaffen», sagte er. Das Bild mit der kunstbeschneiten Talabfahrt inmitten von grünen Wiesen verzehre die Realität. Das «Gespenst Klimawandel» wirke zuweilen etwas schrecklicher, als es tatsächlich sei. Was Nydegger auch sagt: Knapp 50 Prozent des Umsatzes würden die Bergbahnen in den Wintermonaten erwirtschaften. Was er nicht sagt: Das Gespenst droht bei vielen tiefergelegten Skigebieten ein kräftiges Loch in die Kasse zu schlagen.
Aber eben: «Die Branche ist positiv, resilient und innovativ unterwegs», heisst es als Fazit zu einer Umfrage unter den Skigebieten. Diese würden ganz unterschiedlich auf die künftigen klimatischen Bedingungen reagieren. Mal mit mehr Beschneiung, mal mit mehr Fokus auf den Sommertourismus, mal mit einer breiteren Angebotspalette im Winter.
Die Lust auf Wintersport sei ungebrochen, versicherten Nydegger und Stoffel. Die Zahlen seien konstant. Keines der befragten Gebiete wolle sich kurzfristig vom Skifahren verabschieden, sagt Stoffel. Gesteigerter Realismus sei aber dann notwendig, wenn es um die Erneuerung von Anlagen geht. Ein Sessellift hat eine geschätzte Lebensdauer von 25 bis 30 Jahren. Steht der Lift auf unter 1500 Meter über Meer, ergebe ein Ersatz unter Umständen auch ökonomisch keinen Sinn mehr. Vor solchen Fragen stehen in den nächsten Jahren einige Gebiete.
Für Stoffel wäre dafür ein Ausbau der Kapazitäten an anderer Stelle denkbar. Da, wo es darum geht, die Besucherinnen und Besucher «über die kritische Grenze» zu bringen. Also die Einstiegsstellen in die Skigebiete, das erste Bähnli oder der erste Sessellift, der all die Wintersportler auf über 1500 Meter bringt. Gerade am Morgen gibt es da zuweilen lange Schlangen, während sich all die Skifahrer und Snowboarderinnen danach über das gesamte Gebiet gut verteilen.
Eine Prognose, wie viele Skigebiete in den nächsten Jahren ihren Betrieb einstellen müssen, will Stoffel nicht machen. Bereits vor zwanzig Jahren habe man den tiefstgelegenen Skidestinationen den raschen Tod prophezeit. «Und die allermeisten leben immer noch», sagt Stoffel. Viele von denen hätten sich den neuen Bedingungen erfolgreich angepasst.
Bei der künstlichen Beschneiung sei im Moment «wahnsinnig viel Innovation» drin. Dabei geht es auch um den Temperaturbereich, in denen diese einsatzfähig sind. Während die natürliche Schneegrenze ansteigt, kann künstlicher Schnee heute bereits bei höheren Temperaturen erzeugt werden. Der Trend zu noch mehr zusätzlich beschneiten Pisten werde weitergehen, sagt Stoffel.
Trotzdem werden wohl bereits kurzfristig immer weniger Skigebiete durchgehend schneesicher sein. Führt das dann zu einer Verteuerung der Preise in jenen Skigebieten, die deutlich über der kritischen Höhe liegen? Stoffel winkt ab. Noch sei der Markt in der Schweiz absolut genügend gross. Die Preissteigerungen, die in den letzten Jahren beobachtet werden können, seien alle auf höheren Kosten (etwa Energie und Personal) zurückzuführen und nicht «angebotsgetrieben.»
All die Schockszenarien, dass Skipässe bald mehrere hundert Franken kosten, hält er für übertrieben. «Am Ende entscheidet immer der Gast», so Stoffel. Werde ein Skigebiet zu teuer, würden die Schneefans auf ein anderes Gebiet ausweichen. Der Markt spiele in der Schweiz noch gut.
Weniger Schnee in den Bergen heisst auch: Viel weniger Schnee im Flachland. Wie erinnert man die Schweizerinnen und Schweizer bei einer Nullgradgrenze auf 1500 daran, dass in den Bergen ja Ski gefahren werden könnte? «Gerade am Anfang des Winters ist das manchmal tatsächlich schwierig», sagt Stoffel. Aber auch hier punkte die Schweiz mit ihrer Kleinräumigkeit: «An den allermeisten Orten sieht man die schneebedeckten Berge ganz gut. Das weckt rasch die Lust», so der oberste Bergbähnler der Schweiz.
Vieles ist für die Branchenverbände also immer noch gut oder zumindest nicht schlecht. Aber wie sieht es eigentlich für die Jahre nach 2050 aus? Der Klimawandel hört ja dann kaum auf, oder Reto Knutti? Der Klimaforscher sagt: «Nein, natürlich nicht. Der geht weiter.» Am Ende sei es an der Politik und an uns selbst, wie fest die Erwärmung weiter steige. Klar sei, wenn es in diesem Tempo weitergehe, liege die kritische Grenze bald noch höher. Etwas deutlicher formuliert: Es bleibt kritisch. (aargauerzeitung.ch/lyn)
Braucht wohl noch einige Zeit, bis es bei den profitorientierten, schönfärbenden Werbern angekommen ist.