Damit hatte kaum jemand gerechnet: Am Donnerstag kündigten die 13 grössten Krankenversicherer der Schweiz die Gründung eines neuen Branchenverbands an. Er soll die zerstrittenen Verbände Santésuisse und Curafutura ablösen und Anfang 2025 den Betrieb aufnehmen. Dabei gibt es bislang weder einen Namen noch eine Geschäftsstelle.
Für die NZZ ist es eine «Hauruckübung». Unverständlich ist sie nicht. Curafutura war 2013 von den vier grossen Krankenkassen CSS, Helsana, KPT und Sanitas gegründet worden. Sie hatten sich vom bisherigen Dachverband Santésuisse, der die Interessen der grossen und vieler kleiner Versicherer vereinigt, nicht mehr ausreichend repräsentiert gefühlt.
Seither sind die konkurrenzierenden Verbände vor allem durch Streitereien aufgefallen. Das aktuellste Beispiel ist der Ärztetarif Tardoc, der den veralteten Tarmed ablösen soll. Santésuisse stellt sich vereinfacht gesagt auf die Seite der Spitäler, während Curafutura sich für die Anliegen der Ärzteschaft einsetzte. Das verzögert die notwendige Reform.
Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider (SP) platzte deshalb der Kragen. Am Mittwoch hat sie sich grundsätzlich für den Tardoc ausgesprochen und die Tarifpartner aufgefordert, sich bis zum 1. November auf das neue System zu einigen. Andernfalls werde der Bundesrat den neuen Tarif per 2026 von sich aus einführen und die Regeln festlegen.
Man könnte den neuen Verband deshalb als Rückkehr zur Vernunft bezeichnen. Dabei dürfte ein weiteres Motiv eine wichtige Rolle spielen, über das seltsamerweise bislang so gut wie niemand spricht: Die Krankenversicherer fürchten sich vor einer Einheitskasse. Sie würde ihr Geschäftsmodell beseitigen und letztlich die ganze Branche «ausradieren».
Die Angst ist nicht unbegründet. Vor zehn Jahren wurde der bislang letzte Anlauf, eine Einheitskasse per Volksinitiative einzuführen, mit 62 Prozent Nein deutlich abgelehnt. Doch seither hat der Leidensdruck durch den stetigen Anstieg der Krankenkassenprämien erheblich zugenommen. Das wirkt sich auf die Zustimmung zur Einheitskasse aus.
In einer watson-Umfrage vom letzten Jahr sagten 79 Prozent sicher oder eher Ja. Eine aktuelle Deloitte-Umfrage kommt mit 65 Prozent auf einen tieferen Wert, doch offensichtlich herrscht ein grosser Unmut über die vielen Krankenkassen und ihre oft üppig bezahlten Manager. Ein radikaler Systemwechsel ist damit nicht mehr illusorisch.
Die SP, die mit ihrer 10-Prozent-Initiative am 9. Juni Schiffbruch erlitten hat, will auf den Zug aufspringen und eine neue Initiative lancieren. Dieses Mal ist von einer «öffentlichen Krankenkasse» die Rede – das tönt weniger nach Einheitsbrei. Tiefere Prämien darf man sich kaum erhoffen, doch die Krankenkassen bieten sich als Blitzableiter an.
Zu oft hat man das Gefühl, dass sie sich kaum für ihre Versicherten einsetzen und ihre Aufgabe primär darin sehen, alle Rechnungen zu bezahlen. Im Zweifelsfall stehen sie auf der Seite der Akteure, die möglichst viel Geld aus dem Gesundheitssystem «abzügeln» wollen. Von einem Schweigekartell sprach Ex-Gesundheitsminister Alain Berset.
Der neue Branchenverband könnte eine Chance sein, dieses Image zu korrigieren. Dazu müssten die Kassen aber bereit sein, bei den überrissenen CEO-Löhnen anzusetzen. Ob der Wille vorhanden ist, darf man bezweifeln. Vorerst müssen die Versicherer mit dem Verdacht leben, dass sie vor allem Kosmetik betreiben, um die Einheitskasse zu verhindern.
Es wird Zeit, dass die Selbstbedienungsmentalität im Gesundheitswesen ein Ende findet und das geht nur, wenn man den privaten Akteuren endlich die Zügel aus der Hand reisst.
Von wegen keine Einheitsbürger. Leute mit speziellen Krankheiten müssen ja immer für ihr Recht auf eine Behandlung kämpfen wenns nicht gleich dem abgedeckten Bereich entspricht. Was ist daran individuell.
Und alle sind Krank geworden….