Es würde überraschen, wenn Thomas Jordan, 61, bei seinem letzten öffentlichen Auftritt als Nationalbank-Chef Emotionen zeigen würde. Das Wort «Preisstabilität» wird unzählige Male über seine Lippen rollen. Er wird in vertrauter Trockenheit erläutern, warum die Nationalbank die Zinsen (mutmasslich) senken wird. Und mit professoralem Gestus wird er dann die geldpolitischen Entscheide in einen weltwirtschaftlichen Kontext stellen.
Nüchternheit ist Jordans Markenzeichen, war es von Anbeginn, und inzwischen wirkt es fast so, als würde er damit kokettieren. Jedenfalls zuckt manchmal ein Lächeln in seinen Mundwinkeln, wenn Journalisten an Pressekonferenzen nachbohren, in der vergeblichen Hoffnung, er lasse sich zu einer pointierten Aussage hinreissen. Jordan bleibt stoisch: Zweimal, dreimal und wenn nötig auch viermal äussert er dieselbe unspektakuläre Antwort, jeweils minim umformuliert. Bis er zufrieden feststellt, dass keine Frage mehr kommt.
Diese Nüchternheit war karrierefördernd. 2012 hievte ihn der Bundesrat auf den Chefposten der ehrwürdigen Institution, in die er bereits 1997 eingetreten war. Man wollte einen Gegenentwurf zu Philipp Hildebrand, seinem schillernden Vorgänger, der nach einem Skandal um private Devisengeschäfte seiner Frau zurückgetreten war. Hildebrand war charismatisch, mondän, er formulierte geschliffen und wirkte wie ein französischer Staatspräsident oder ein amerikanischer Aussenminister.
Auf Brillanz folgte Solidität. Und diese erwies sich als die richtige Eigenschaft zur richtigen Zeit. Thomas Jordan, von eindrücklicher Statur, war ein Fels in der Brandung, und das gleich in fünf grossen Krisen.
Zum Amtsende ist die CS in die UBS integriert, und der Steuerzahler, den die Behörden mit der sagenhaften Summe von 259 Milliarden Franken ins Risiko gingen liessen, hat mit der Aktion kein Geld verloren. Und auch die Inflation ist wieder unter Kontrolle.
Der Ökonom Klaus Wellershoff zieht ein positives Fazit: «Thomas Jordan hat insbesondere seinen Hauptauftrag, die Preisstabilität zu gewährleisten, hervorragend gemeistert.» Doch Wellershoff, früher Chefökonom der UBS, sieht einen Tolggen im Reinheft, und zwar einen grossen: «Thomas Jordan hinterlässt eine aufgeblähte Bilanz, die Risiken birgt. Sie könnte der Nationalbank noch um die Ohren fliegen.» Zwischenzeitlich stieg die Bilanzsumme auf astronomische 1 Billion Franken, mehr als die Wertschöpfung der Schweizer Wirtschaft in einem Jahr (BIP).
Allerdings kann man sich fragen: Hätte es eine Alternative gegeben, um eine übermässige Erstarkung des Frankens zu verhindern, welche die Exportfirmen und den Tourismus an die Wand gefahren hätte? Jordan hätte den Euro-Mindestkurs länger halten können, aber dann hätten sich die Zinsen langfristig Richtung Eurozone bewegt, und eine eigenständige Geldpolitik wäre definitiv zur Illusion geworden.
Als Krisenmanager war Jordan also erfolgreich. Wie aber fällt seine persönliche Bilanz aus? Seine Amtszeit war frei von Eskapaden und Skandalen. Sein Rücktritt erfolgte, anders als bei Hildebrand, freiwillig. An seiner Integrität kamen nie Zweifel auf.
Gerade deshalb irritierte es auch Weggefährten, dass Jordan 2018 seinen Wohnsitz vom steuergünstigen Küsnacht ZH ins noch steuergünstigere Zug verlegte. Kaum ein Notenbanker weltweit verdient so viel wie der Schweizer Nationalbank-Chef, nämlich rund 1 Million Franken im Jahr. Bliebe da nicht auch ohne Steueroptimierung mehr als genug?, fragte man sich.
Es wollte nicht so recht zum bodenständigen Jordan passen, diesem Anti-Hildebrand. Oder vielleicht doch? Es gibt in seinem Umfeld Leute, die sagen, Jordan habe im Lauf seiner Amtszeit die Bodenhaftung verloren und sei leicht abgehoben. Ein Makel beim Musterschweizer, der Folgen hatte.
Denn auf Kritik reagierte Jordan in den letzten Jahren zunehmend empfindlich. Selbst gegenüber Bundesräten war er bisweilen kurz angebunden. Als der damalige Finanzminister Ueli Maurer die SNB-Bilanz als «an der Grenze des Erträglichen» bezeichnete, erzürnte das den Nationalbank-Chef.
Intern hat er linientreue Gefolgsleute befördert. Wer zwar loyal war, aber anders tickte als Jordan, hatte wenig Chancen. «Eine gefährliche One-Man-Show», titelte die «Schweiz am Wochenende» im Frühling 2023 und bezeichnete Jordan als «König». Die Entourage, die ihn zu Treffen in Bern oder auch zu Notenbanker-Gipfeltreffen in Basel oder in den USA begleitete, wurde in all den Jahren grösser.
Jordans Wasserverdrängung bekam Andréa Maechler zu spüren, die erste Frau im dreiköpfigen SNB-Direktorium. Obwohl Maechler seit 2015 im Direktorium der SNB sass und zumindest auf dem Papier als natürliche Nachfolgerin von Vizepräsident Fritz Zurbrügg galt, wurde sie nach dessen Pensionierung übergangen.
Stattdessen wurde Martin Schlegel, ein enger Vertrauter von Jordan, zum Vizepräsidenten ernannt. Dies widersprach der Tradition, dass interne Mitglieder aufrücken, während Neuzugänge sich hinten einreihen. Der Rest der Geschichte ist bekannt: Maechler verliess die Nationalbank, und Schlegel wird ab 1. Oktober das Präsidium von Jordan übernehmen.
Es war der letzte Schachzug des nüchternen Machtmenschen Jordan. Der König regelte seine Nachfolge, und niemand hinderte ihn daran, auch nicht der Bankrat – gewissermassen der Verwaltungsrat der SNB.
Das Aufsichtsgremium trat in den Jordan-Jahren kaum je in Erscheinung, schien gegenüber dem exekutiven Chef in ehrfürchtiger, wenn nicht devoter Stellung zu verharren. Von Bankratspräsidentin Barbara Janom Steiner hat man kaum je etwas gehört. Sie war Bündner BDP-Regierungsrätin, und die anderen Mandate, die sie innehat, zeigen, wo sie ihre Schwerpunkte setzt: Sie hält Verwaltungsratsmandate bei drei Bündner Bergbahnen und einem Hotel.
Jordan schaltete und waltete, wie er wollte. In der vielleicht wichtigsten Position eines Notenbankers, in der Abwehr, spielte er sehr erfolgreich. Jordan wehrte volkswirtschaftliche Krisen ebenso ab wie Angriffe aus der Politik auf die Unabhängigkeit der SNB. Das ist eine beachtliche Leistung. Nach vorn spielte Jordan kaum je. Reformen, die diesen Namen verdienen, stiess er in den letzten zwölf Jahren nicht an.
Aber vielleicht sind Fussball-Metaphern auch gar nicht passend. Jordan spielte einst in der obersten Liga Wasserball. Da ist die Grundvoraussetzung, erst mal nicht unterzugehen. Diese Sportart passt zum Geschäft der Notenbanken, die in einer Volkswirtschaft die Retter in letzter Not sind. In dieser Disziplin hat sich Jordan bis zum Abpfiff keine Blösse gegeben. (aargauerzeitung.ch)
Es mag manchen Politiker und dem ein oder anderen Otto-Normalsteuerzahler bis heute nicht in den Kopf, weswegen Die SNB-Gewinne eben nicht dazu da sind, AHV etc. zu sanieren.
Dem trotzte Jordan und sein Team. Sie haben zur Bewältigung der Euro/Frankenschwäche oder der jüngsten Inflation einen Top Job gemacht. Danke Thomas Jordan.
Vielen Dank und alles gute und das aller wichtigste gute Gesundheit Herr Jordan.