Frau Tuor, gestern Abend hat die SDA-Redaktion einen unbefristeten Streik beschlossen. Wie haben Sie geschlafen?
Tina Tuor: Die Nacht war kurz, die Redaktionsversammlung hat bis 23 Uhr gedauert. Aber danach konnte ich glücklicherweise gut schlafen.
Die Redaktion sprach sich mit 124 zu 8 Stimmen bei 6 Enthaltungen für einen Streik aus. Wie verlief die Diskussion?
Ich und meine Kollegen von der Redaktionskommission legten der Gesamtredaktion unsere Argumente für einen unbefristeten Streik dar. Danach wurde intensiv und sorgfältig über die Konsequenzen eines solchen Schrittes diskutiert. Es war deutlich spürbar, dass wir in dieser schwierigen Zeit zusammenstehen wollen.
Welche Bedenken führten jene an, die gegen den Streik gestimmt haben?
Wir diskutierten, ob der Streik den Sozialplan für die entlassenen Kollegen gefährden könnte – von denen viele mit über 60 Jahren die Kündigung erhielten. Aber die Situation ist dermassen blockiert, dass wir schlicht und einfach keinen anderen Ausweg gesehen haben. Das Vertrauen in den CEO und die Geschäftsleitung ist zerstört.
Wie lange haben Sie vor, zu streiken?
Wir haben uns keine Limite gesetzt. Wir fordern, dass sich jetzt der Verwaltungsrat mit uns an einen Tisch setzt. Wir haben ihn für heute Nachmittag um 13 Uhr um ein Treffen gebeten. Danach sehen wir weiter.
Ganz konkret: Was ist das Ziel des Streiks?
Erstens geht es um die Einzelschicksale der entlassenen Kollegen. Für sie wollen wir Verbesserungen im Sozialplan erreichen und Entlassungen verhindern. Zweitens geht es um die Zukunft der SDA: Wir identifizieren uns alle sehr stark mit dieser Nachrichtenagentur. Wir haben Angst, dass die Sparpläne die Zukunft der SDA gefährden. Wird sie dermassen zurückgebaut, braucht es sie irgendwann nicht mehr – weil sie nicht mehr die nötigen Leistungen erbringen kann und sich so überflüssig macht.
Seit Dienstag letzter Woche wurde bereits ein Grossteil der von der Geschäftsleitung geplanten 36 Kündigungen ausgesprochen. Kommt der Streik nicht zu spät?
Nein. Es ist immer noch möglich, die Kündigungsfristen zu verlängern, bis wenigstens ein Sozialplan verhandelt wurde. Bisher gab es bloss unverbindliche Gespräche darüber, aber noch keine eigentlichen Verhandlungen.
Warum wenden Sie sich an den Verwaltungsrat? Für personelle Fragen sind Geschäftsleitung und CEO zuständig.
Wir haben immer Gesprächsbereitschaft gezeigt und wollen unseren Teil zu den Sparbemühungen beitragen. Von der Geschäftsleitung wurden uns jedoch Verhandlungen auf Augenhöhe von Anfang an verweigert. CEO Markus Schwab hat mit seinen Äusserungen in der NZZ am Sonntag das letzte Vertrauen der Mitarbeiter verspielt.
Schwab sagte: «Die SDA ist nur ihren Aktionären etwas schuldig. Jede andere Anspruchshaltung verstehen wir nicht.»
Mit diesem Interview hat er sehr viel Geschirr zerschlagen. Aber wenn sich der Verwaltungsrat bereit erklärt, mit uns an einen Tisch zu setzen, dann sind Verhandlungen noch möglich. Der Verwaltungsrat steht jetzt in der Pflicht, die Situation zu deeskalieren. Wir wollen von ihm zuerst wissen, welche Zukunftsstrategie er für die SDA hat, bevor Leute auf Vorrat entlassen werden.
Wie ist die Stimmung heute am ersten Streiktag?
Wir haben uns im Hotel National in Bern versammelt. Einige waren heute morgen vor der SDA-Redaktion, um die Kollegen über den Streik zu informieren, die gestern nicht an der Versammlung teilnehmen konnten. Die Stimmung ist gut und kämpferisch. Das vorherrschende Gefühl: «Wir müssen jetzt verhindern, dass sich die SDA selber zerstört!»
Ein unbefristeter Streik ist ein äusserst seltenes Ereignis in der Schweizer Mediengeschichte. Welche Reaktionen haben Sie aus der Branche erhalten?
Die Solidarität ist beeindruckend. Ich freue mich sehr, wie viel Verständnis Kollegen aus anderen Redaktionen für unsere Aktion aufbringen. An dieser Stelle möchte ich deshalb sagen: Es tut uns leid, dass der Streik die Arbeit der Kollegen in anderen Redaktionen erschwert. Wir wünschten, er wäre nicht nötig gewesen.
Im Tages-Anzeiger wurden die SDA-Redaktoren als Exoten in einer ansonsten eitlen Branche bezeichnet, deren Arbeit stets nur unter dem anonymen Kürzel SDA erscheint. Plötzlich stehen Sie im Mittelpunkt. Wie fühlt sich das an?
Es ist schön, wie viel Zuspruch ich auch aus meinem privaten Umfeld erfahre. Ausserhalb der Medienbranche müssen wir häufig erklären, was die SDA überhaupt ist und was wir machen. Jetzt merken wir, wie sehr unsere Arbeit von vielen Leuten geschätzt wird. Das ist ein ermutigendes Gefühl.