Schweiz
Wirtschaft

Die Redaktion der SDA streikt – Redaktorin Tina Tuor erklärt im Interview wieso.

Journalistinnen und Journalisten der Schweizerischen Depeschenagentur SDA sowie Gewerkschaftsvertreter demonstrieren gegen den geplanten Stellenabbau, am Dienstag, 30. Januar 2018, in Bern. Die SDA wi ...
Die Versammlung der streikenden SDA-Redaktoren im Hotel National in Bern.Bild: KEYSTONE
Interview

«Der CEO hat das letzte Vertrauen verspielt» – eine SDA-Redaktorin erklärt den Streik

Seit 6.30 Uhr befindet sich die Redaktion der Schweizerischen Depeschenagentur im unbefristeten Streik. SDA-Wirtschaftsredaktorin Tina Tuor erklärt, warum die Mitarbeiter der grössten Nachrichtenagentur des Landes die Arbeit niederlegen – und was es braucht, damit sie den Streik beenden.
30.01.2018, 11:0231.01.2018, 08:29
Mehr «Schweiz»

Frau Tuor, gestern Abend hat die SDA-Redaktion einen unbefristeten Streik beschlossen. Wie haben Sie geschlafen?
Tina Tuor:
Die Nacht war kurz, die Redaktionsversammlung hat bis 23 Uhr gedauert. Aber danach konnte ich glücklicherweise gut schlafen.

Die Redaktion sprach sich mit 124 zu 8 Stimmen bei 6 Enthaltungen für einen Streik aus. Wie verlief die Diskussion?
Ich und meine Kollegen von der Redaktionskommission legten der Gesamtredaktion unsere Argumente für einen unbefristeten Streik dar. Danach wurde intensiv und sorgfältig über die Konsequenzen eines solchen Schrittes diskutiert. Es war deutlich spürbar, dass wir in dieser schwierigen Zeit zusammenstehen wollen.

So kam es zum Streik
Am 8. Januar hat die Geschäftsleitung der SDA eine umfassende Reorganisation angekündigt. Geplant ist ein Abbau von 36 der rund 150 Redaktions-Vollzeitstellen. Am 23. Januar reagierte die SDA-Redaktion mit einen dreistündigen Warnstreik, da die Geschäftsleitung nicht auf Verhandlungen über den angekündigten Stellenabbau eingegangen sei. In einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» sagte CEO Markus Schwab im Hinblick auf den Widerstand aus der Redaktion: «In dieser Situation sollte niemand rote Linien ziehen. Wer das macht, der wird beruflich nicht alt um mich herum». Schwab widersprach dem aktuellen Leitbild der SDA, wonach diese grundsätzlich keine Gewinnzwecke verfolgt: «Die SDA ist nur ihren Aktionären etwas schuldig.» Seit Dienstagmorgen um 6 Uhr 30 befindet sich die Redaktion der SDA in einem unbefristeten Streik. (cbe)

Welche Bedenken führten jene an, die gegen den Streik gestimmt haben?
Wir diskutierten, ob der Streik den Sozialplan für die entlassenen Kollegen gefährden könnte – von denen viele mit über 60 Jahren die Kündigung erhielten. Aber die Situation ist dermassen blockiert, dass wir schlicht und einfach keinen anderen Ausweg gesehen haben. Das Vertrauen in den CEO und die Geschäftsleitung ist zerstört.

Wie lange haben Sie vor, zu streiken?
Wir haben uns keine Limite gesetzt. Wir fordern, dass sich jetzt der Verwaltungsrat mit uns an einen Tisch setzt. Wir haben ihn für heute Nachmittag um 13 Uhr um ein Treffen gebeten. Danach sehen wir weiter.

Ganz konkret: Was ist das Ziel des Streiks?
Erstens geht es um die Einzelschicksale der entlassenen Kollegen. Für sie wollen wir Verbesserungen im Sozialplan erreichen und Entlassungen verhindern. Zweitens geht es um die Zukunft der SDA: Wir identifizieren uns alle sehr stark mit dieser Nachrichtenagentur. Wir haben Angst, dass die Sparpläne die Zukunft der SDA gefährden. Wird sie dermassen zurückgebaut, braucht es sie irgendwann nicht mehr – weil sie nicht mehr die nötigen Leistungen erbringen kann und sich so überflüssig macht.

«Die Stimmung ist gut und kämpferisch. Das vorherrschende Gefühl: ‹Wir müssen jetzt verhindern, dass sich die SDA selber zerstört!›»

Seit Dienstag letzter Woche wurde bereits ein Grossteil der von der Geschäftsleitung geplanten 36 Kündigungen ausgesprochen. Kommt der Streik nicht zu spät?
Nein. Es ist immer noch möglich, die Kündigungsfristen zu verlängern, bis wenigstens ein Sozialplan verhandelt wurde. Bisher gab es bloss unverbindliche Gespräche darüber, aber noch keine eigentlichen Verhandlungen.

Warum wenden Sie sich an den Verwaltungsrat? Für personelle Fragen sind Geschäftsleitung und CEO zuständig.
Wir haben immer Gesprächsbereitschaft gezeigt und wollen unseren Teil zu den Sparbemühungen beitragen. Von der Geschäftsleitung wurden uns jedoch Verhandlungen auf Augenhöhe von Anfang an verweigert. CEO Markus Schwab hat mit seinen Äusserungen in der NZZ am Sonntag das letzte Vertrauen der Mitarbeiter verspielt.

Schwab sagte: «Die SDA ist nur ihren Aktionären etwas schuldig. Jede andere Anspruchshaltung verstehen wir nicht.»
Mit diesem Interview hat er sehr viel Geschirr zerschlagen. Aber wenn sich der Verwaltungsrat bereit erklärt, mit uns an einen Tisch zu setzen, dann sind Verhandlungen noch möglich. Der Verwaltungsrat steht jetzt in der Pflicht, die Situation zu deeskalieren. Wir wollen von ihm zuerst wissen, welche Zukunftsstrategie er für die SDA hat, bevor Leute auf Vorrat entlassen werden.

Wie ist die Stimmung heute am ersten Streiktag?
Wir haben uns im Hotel National in Bern versammelt. Einige waren heute morgen vor der SDA-Redaktion, um die Kollegen über den Streik zu informieren, die gestern nicht an der Versammlung teilnehmen konnten. Die Stimmung ist gut und kämpferisch. Das vorherrschende Gefühl: «Wir müssen jetzt verhindern, dass sich die SDA selber zerstört!»

«Es tut uns leid, dass der Streik die Arbeit der Kollegen in anderen Redaktionen erschwert. Wir wünschten, er wäre nicht nötig gewesen.»

Ein unbefristeter Streik ist ein äusserst seltenes Ereignis in der Schweizer Mediengeschichte. Welche Reaktionen haben Sie aus der Branche erhalten?
Die Solidarität ist beeindruckend. Ich freue mich sehr, wie viel Verständnis Kollegen aus anderen Redaktionen für unsere Aktion aufbringen. An dieser Stelle möchte ich deshalb sagen: Es tut uns leid, dass der Streik die Arbeit der Kollegen in anderen Redaktionen erschwert. Wir wünschten, er wäre nicht nötig gewesen.

Video: keystone

Im Tages-Anzeiger wurden die SDA-Redaktoren als Exoten in einer ansonsten eitlen Branche bezeichnet, deren Arbeit stets nur unter dem anonymen Kürzel SDA erscheint. Plötzlich stehen Sie im Mittelpunkt. Wie fühlt sich das an?
Es ist schön, wie viel Zuspruch ich auch aus meinem privaten Umfeld erfahre. Ausserhalb der Medienbranche müssen wir häufig erklären, was die SDA überhaupt ist und was wir machen. Jetzt merken wir, wie sehr unsere Arbeit von vielen Leuten geschätzt wird. Das ist ein ermutigendes Gefühl.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
39 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
dracului
30.01.2018 11:26registriert November 2014
„Die SDA ist nur ihren Aktionären etwas schuldig.“ Aussagen wie diese erschüttern meinen Glauben in die moderne Unternehmenskultur! Ich bezweifle in keiner Art, dass sich Unternehen am Gewinn orientieren müssen und dabei auch Entlassungen unumgänglich sind, aber es ist die Art und Weise, wie dieses Fire&Hire hier Einzug hält. Wenn der Mensch nichts mehr zählt, dann ist auch ein Unternehmen nichts mehr wert!
00
Melden
Zum Kommentar
avatar
domin272
30.01.2018 11:33registriert Juli 2016
Hier sehen wir genau das grösste Problem der heutigen Privatwirtschaft... Die Geschäftsführungen finden sie seien ja nur ihren Kapitalgebern etwas Schuldig, der Arbeitnehmer soll nehmen was er bekommt und mit allen Problemen, wie Stress, Überlastung und Arbeitsplatzunsicherheit leben, oder sich zum Teufel scheeren. Vielen dieser Leute scheint nicht klar zu sein das ihr Gewinn von unten erwirtschaftet wird und weil ich da keine Veränderung sehe bin ich schon lange für ein Grundeinkommen um wenigstens die Unsicherheit zu reduzieren und so wirklich Gespräche auf "Augenhöhe" zu ermöglichen...
00
Melden
Zum Kommentar
avatar
milkdefeater
30.01.2018 11:32registriert Februar 2015
Super! Ich wünsche viel Glück!
00
Melden
Zum Kommentar
39
«Dann wurden meine Knie weich. In diesem Moment realisierte ich alles»
Dass Sanija Ameti auf ein Bild von Maria und Jesus schoss, empörte viele Menschen und provozierte einen gewaltigen Shitstorm. Seither ist die GLP-Politikerin abgetaucht. Nun spricht sie über den verhängnisvollen Abend, die Reaktion ihrer Partei und eine grosse Überraschung.

Sie haben sich vor drei Monaten aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Jetzt melden Sie sich zurück. Warum gerade jetzt?
Sanija Ameti:
Ich bin nicht mehr krankgeschrieben. Ich bin wieder in der Lage, meinen Verpflichtungen nachzugehen. Diese haben für mich einen hohen Stellenwert.

Zur Story