Der Zürcher Finanzdirektor Ernst Stocker (SVP) schlägt Alarm. «Es sieht nicht gut aus», sagte er im Juli – und meinte die Steuersituation für Firmen in seinem Kanton. Er müsse jetzt handeln. Einige Firmen seien aus steuerlichen Gründen bereits umgezogen. Stocker will deshalb den einfachen Gewinnsteuersatz für Firmen von 7 auf 6 Prozent senken. Die gesamte Gewinnsteuerbelastung ginge von 19,7 auf 18,2 Prozent zurück.
Der Kanton Zürich sei eine «Steuerhölle» für Firmen, titelten Zeitungen in der Folge. Eine Analyse der Credit Suisse (CS) bestätigt dieses Bild: Werden die ordentlichen Gewinnsteuersätze verglichen, schneidet nur noch der Kanton Bern schlechter ab. Mit der Senkung würde Zürich wohl lediglich den Kanton Tessin überholen, aber der Abstand zu den besser platzierten Kantonen würde geringer.
Die Stadt Zürich, in der 60 Prozent der Gewinnsteuern des Kantons anfallen, wehrt sich nun allerdings gegen die Pläne. Das geht aus einem Schreiben des städtischen Finanzdepartements von Anfang Oktober hervor. Die Stadt macht drohende Steuerausfälle geltend und zweifelt an den Berechnungen des Kantons.
Es ist eine Grundsatzdiskussion, die im ganzen Land geführt wird: Sorgen tiefere Firmensteuern dafür, dass sich mehr Firmen ansiedeln und in der Folge für Mehreinnahmen – oder handelt es sich um ein «race to the bottom», in dem sich Kantone gegenseitig unterbieten und am Schluss mehr verlieren als gewinnen?
Argumente haben beide Seiten: Im laut CS günstigsten Kanton Zug sprudeln die Einnahmen. Bald dürfte der Kanton der grösste Beitragszahler im nationalen Finanzausgleich werden. Kritiker weisen allerdings darauf hin, dass die fiskalische Erfolgsstory nicht möglich gewesen wäre ohne die Nähe zu Zürich. Und es gibt Gegenbeispiele.
Unvergessen ist, dass der Kanton Luzern 2016 aus Spargründen gar seine Schulen für eine Woche schliessen musste, nachdem er die Steuern für Firmen stark gesenkt hatte. Auch die Polizei wurde zum Sparen verpflichtet. Sie musste Posten schliessen und Patrouillen streichen. Ob die Strategie für Luzern unter dem Strich aufging, ist umstritten und wird je nach Studie anders beantwortet. Dennoch wollen die bürgerlichen Parteien ab 2025 die Firmensteuern weiter senken – und Linke warnen vor neuen Sparübungen.
Die Stadt Zürich kommt zum Schluss: Tiefere Firmensteuern lohnen sich für sie nicht. Bereits eine erste Senkung des Gewinnsteuersatzes von 8 auf 7 Prozent habe ihr zwischen 2021 und 2023 Mindereinnahmen von 300 Millionen Franken beschert. Mit einer weiteren Senkung auf 6 Prozent müsse sie mit weiteren Ausfällen von jährlich 110 Millionen Franken rechnen. Zudem werde Zürich dank der OECD-Steuerreform automatisch attraktiver. Diese sieht eine Mindestbesteuerung von 15 Prozent für Firmen mit einem Umsatz von mindestens 750 Millionen Euro jährlich vor, was Tiefsteuerkantone unter Druck setzt.
Dass Stockers Leute die Mindereinnahmen auf lediglich 14 Millionen Franken für den ganzen Kanton schätzen, sei «ein Vielfaches zu tief», so die Stadt. Sie warnt: Ohne Gegenfinanzierungsmassnahmen müsste die Senkung durch Steuererhöhungen, Leistungskürzungen oder eine höhere Verschuldung kompensiert werden.
Kein gutes Haar lässt die Stadt an den Simulationen, die das Institut BAK Economics für den Kanton durchgeführt hat. Dem Modell lägen «neben unbekannten Daten- und Literaturquellen unspezifizierte Annahmen zugrunde». Das Institut gebe zu, dass ein Teil seiner Annahmen «auf Plausibilität statt Wissenschaft beruht». Vermutete positive Effekte seien «mehr als ungewiss» und spekulativ. Es sei unklar, inwiefern der ganze BAK-Bericht «auf reinen Mutmassungen beruht».
Die steuerliche Belastung als Argument für die Standortwahl werde überschätzt, schreibt die Stadt Zürich. Für Grossunternehmen seien die Kundennähe, die Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte, die (Rechts)Sicherheit und die Infrastruktur wichtiger – und in Standortrankings belege Zürich regelmässig Spitzenplätze. Das liege auch an hohen Investitionen. Allein zwischen 2024 und 2027 will die Stadt 6 Milliarden Franken investieren.
In den letzten Jahren habe die Stadt beim Zuzug von juristischen Personen prozentual zudem stärker zugelegt als der Kanton. Zwischen 2013 und heute stieg ihre Zahl von 27'000 auf 37'000. Ein grosser Anteil der Gewinnsteuern komme in der Stadt von «weitgehend immobilen Grossunternehmen», die Wurzeln bis ins 19. Jahrhundert hätten. Viele davon hätten ihren Standort in den letzten Jahren signifikant ausgebaut – «bemerkenswerterweise bereits vor der ersten Steuersatzsenkung».
Die Anziehungskraft sei aber auch für innovative Firmen gross. Das zeige sich in den zahlreichen Neugründen, die zu einer Zunahme der juristischen Personen im Kanton von 85'000 im Jahr 2018 auf rund 96'000 im Jahr 2022 geführt habe. Werden nur die Zu- und Wegzüge von Firmen in der Schweiz betrachtet, verlor der Kanton zuletzt allerdings netto Firmen. Doch die Steuerausfälle seien mit etwa 600'00 Franken pro Jahr ein Vielfaches kleiner als die drohenden Mindereinnahmen, findet die Stadt. Sie stelle auch nicht fest, dass mehr Firmen abwanderten. Letztes Jahr wurde etwa ein Netto-Zuzug aus anderen Kantonen registriert.
Die tieferen Firmensteuern beschäftigen demnächst auch den Kantonsrat. Das letzte Wort hat aber das Zürcher Stimmvolk. (aargauerzeitung.ch)