11 Tage eingesperrt im Gotthard – Ella (23) möchte Astronautin werden
«Es ist eine Festung und kein Bunker, wie in den Medien mitunter zu lesen war», sagt Museumsleiter Damian Zingg von der Festung Sasso San Gottardo gleich nach der freundlichen Begrüssung.
Ein Sonntagvormittag im Juli. Wir befinden uns im Innern des Gotthardmassivs, auf 2100 Metern über Meer. Von Airolo ging's per Postauto über viele Serpentinen hinauf zur Passhöhe. Die Anreise über die Tremola ist wunderschön, die Stimmung auf dem Gotthardpass hat aufgrund des Nebels mystischen Charakter. Trotz der Jahreszeit ist es mit 10 Grad empfindlich kühl.
Im Inneren des Bergs beherbergt Zingg in diesen Tagen neun junge Menschen aus aller Welt. Sie stammen aus den USA, Brasilien, Portugal, Dänemark, Grossbritannien, Deutschland – und sie sind angereist, um Teil der fünften Mission von Asclepios zu sein.
Im an der ETH Lausanne initiierten und von Sponsoren und Partnern finanzierten Programm simulieren die neun Studierenden in der alten Gotthard-Festung unter möglichst realen Bedingungen eine analoge Mondmission. Dabei verbringen sie in Dreierteams insgesamt bis zu 19 Tage in beinahe vollständiger Isolation und ohne Tageslicht.
Geschlafen wird auf einfachen Pritschen, zu essen gibt es getrocknete Früchte, Müsliriegel und Gefriergetrocknetes aus dem Beutel. Besonders gut kamen Mac and Cheese, Pasta Bolognese und Chicken Fajita an.
Von München in den Gotthard
Während ihres simulierten Aufenthaltes auf dem Mond erledigen die jungen Leute Reparatur- und Wartungsarbeiten an ihrer Raumstation und führen wissenschaftliche Experimente durch. Einziger Kontakt: Die Bodencrew des Mission Control Centers, die ebenfalls aus Studierenden rekrutiert wurde.
Um den physischen und psychischen Herausforderungen der Mission gewachsen zu sein, haben sich die Astronautinnen und Astronauten monatelang vorbereitet. Sich im Schnee eingraben im Rahmen einer Lawinenrettung, Eistauchen, Feuerwehr-Training – die Übungen waren vielseitig und herausfordernd.
Ella Ganzer gehört zu den Auserwählten der fünften Asclepios-Mission. Die Deutsche studiert Luft- und Raumfahrttechnik an der Technischen Universität München und hat sich wie die anderen acht Astronauten in einem mehrteiligen Aufnahmeverfahren gegen 200 Mitbewerbende durchgesetzt.
Ist Astronautin ihr konkretes Berufsziel? «Ich glaube, man kann seine Karriere nicht darauf ausrichten», sagt Ganzer. «Aber ich kann es mir sehr gut vorstellen.»
Die Zurückhaltung der 23-Jährigen ist verständlich. Bislang waren in der Geschichte der Raumfahrt erst rund 50 Europäer im All. Claude Nicollier – er amtet bei Asclepios als Mentor – ist der einzige Schweizer, der es je in den Weltraum geschafft hat.
Acht Tage auf dem Mond
Jedes Mitglied der neunköpfigen Astronauten-Crew hat eine Sonderaufgabe. Ganzer kümmert sich um die medizinische Versorgung. Dass sie neben dem Studium die Ausbildung zur Fachsanitäterin absolvierte, kommt ihr und dem Team entgegen.
Die junge Frau hat auf jede Frage eine Antwort bereit. Auch was die Relevanz der Raumfahrt in der gegenwärtigen geopolitischen Lage betrifft. Sie sagt:
Seit dieser Aussage sind zweieinhalb Wochen vergangen. Und alle neun Astronautinnen und Astronauten sind wieder auf die «Erde» zurückgekehrt.
In diesem Jahr hat die Crew erstmals auch die Hin- und Rückreise auf den Mond simuliert. Das Team von Ganzer ist einen Tag zur Raumstation hin- und zwei Tage zurückgeflogen. Die drei Astronauten verbrachten dabei 24 respektive 48 Stunden in einem kleinen Raum. Psychologisch eine Herausforderung. Der Aufenthalt auf dem Mond betrug acht Tage. Ein anderes Team hat ganze 17 Tage auf der Raumstation verbracht.
Ganzer hat ihre Zeit auf der Raumstation überstanden. Gut überstanden. Was war die grösste Schwierigkeit? «Es war alles durchgetaktet. Es gab Tage, da erhielten wir vom Mission Control Center sehr viele Aufgaben und Experimente, die wir durchführen mussten. An anderen Tagen war es fast nichts. Dabei die Balance zu finden: nicht ganz einfach.»
Vom Mond in den Prüfungssaal
Sich dem aufwändigen Bewerbungsverfahren zu stellen und an der Mission teilzunehmen, habe sich aber gelohnt. Ganzer betont: «Ich würde es jederzeit wieder machen. Die Leute hier sind total super und wir haben viel Spannendes erlebt.»
Ganzer selbst hat ein Experiment mit Mikroalgen durchgeführt und dabei täglich geschaut, wie diese unter den simulierten atmosphärischen Bedingungen in der Raumstation wachsen. Weitere Untersuchungen waren technischer, psychologischer oder juristischer Natur.
So hat die Crew verschiedene Luftfilter und einen Raumanzug-Handschuh getestet und zahlreiche Fragebögen für psychologische Experimente ausgefüllt.
Als Abschluss der fünften Asclepios-Mondmission wanderten die neun Astronautinnen und Astronauten gemeinsam vom Gotthard runter nach Airolo. Ein paar Tage später – auch Aufräumen ist Teil der Mission – verabschiedeten sich die Studierenden nach einer Abschlussfeier in alle Himmelsrichtungen.
Für Ganzer geht es in diesen Tagen mit dem Zug zurück nach München. Sie sagt: «Ich freue mich auf mein eigenes Bett und meine Familie, aber ich werde alle von der Crew extrem vermissen.»
Allzu intensiv erholen kann sie sich nicht, zu Hause an der Uni erwarten sie Prüfungen. Die Erde dreht sich halt auch dann weiter, wenn man einige Tage auf dem Mond gewesen ist.
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