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CO2-Gesetz: Klimaforscher Knutti zerpflückt Heft der Erdöl-Lobby

«Voller Fehler»: Klimaforscher Reto Knutti zerpflückt «Propaganda»-Magazin der Erdöl-Lobby

Der Ton in der Klima-Debatte verschärft sich sechs Wochen vor der Abstimmung. ETH-Forscher Reto Knutti bezichtigt die Erdöllobby der «pseudowissenschaftlichen Propaganda». Das steckt dahinter.
30.04.2021, 19:3301.05.2021, 20:30
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Fast die Hälfte der Schweizerinnen und Schweizer sind kritisch gegenüber dem Klima-Anliegen des Bundes: Nur 54 Prozent sprechen sich laut der ersten Tamedia-Umfrage für das neue CO2-Gesetz aus. Noch braucht es also viel Überzeugungsarbeit von Umweltministerin Simonetta Sommaruga & Co., damit die Schweiz die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreichen kann.

Nun wird der Ton im Abstimmungskampf schärfer. «Irreführend, pseudowissenschaftliche Propaganda, ungenügend, voller Fehler»: ETH-Klimaforscher Reto Knutti schiesst auf Twitter scharf gegen die Öl-Lobby. Was ist passiert?

Öl-Lobby verbreitet Falschinformationen

Die SVP und die Mineralölfirmen bekämpfen das CO2-Gesetz vehement. Und nehmen es mit der Wahrheit nicht so genau, wie Knutti kritisiert. Avenergy Suisse – so nennt sich die Erdölvereinigung seit 2019 – hat unter dem Titel «Kohlendioxid – Fakten zum Klimagas» die neuste Ausgabe des Magazins «Avenue» mit einer Auflage von 35'000 Exemplaren veröffentlicht.

Der umstrittene Artikel aus «Avenue», Ausgabe 01/21.
Der umstrittene Artikel aus «Avenue», Ausgabe 01/21.

Als «unsichtbar, farblos, geruchslos, ungiftig – und lebensnotwendig», beschreiben die Autoren das Treibhausgas CO2. Und verdrehen die Fakten: «Zwischen 1982 und 2009 haben die Grünflächen auf der Erde um 25 bis 50 Prozent zugenommen. Der Hauptgrund für die Begrünung der Erde ist die Zunahme des CO2-Gehalts in der Luft», steht in Grossbuchstaben. Dank CO2 werde die Erde also grüner, heisst es weiter. Die Autoren zitieren eine Studie des Wissenschaftsmagazins «Nature». Dumm nur: In der Studie heisst es, dass es auf der bewachsenen Fläche der Erde um 25–50 Prozent grüner wurde.

Dies ist nur ein Beispiel von vielen: Klimaforscher Knutti – der sich zusammen mit vielen anderen Wissenschaftlern für ein Ja zum Klima-Gesetz engagiert – zerpflückt das Heft in einem 16-teiligen Twitter-Thread:

Der 47-jährige Physiker zieht ein vernichtendes Fazit: Unter dem Deckmantel «Nachschlagewerk» wolle die Avenergy CO2 aus Brenn- und Treibstoff schönreden. «Wissenschaftlich ungenügend, voller Fehler, irreführend, und im Vorfeld der Abstimmung zum CO2-Gesetz höchst problematisch», bilanziert Knutti.

Das sagt Avenergy

Was sagt Avenergy Suisse zu den Vorwürfen? Geschäftsführer Roland Bilang schreibt auf watson-Anfrage: «Wir nehmen die Einwände von Herrn Knutti zur Kenntnis. Diese ändern aber nichts an unserer übergeordneten Botschaft.» Man wolle die Leserinnen und Leser im Heft auf Beiträge der Wirtschaft in der Schweiz zur Senkung der CO2-Emissionen aufmerksam machen.

Reto Knutti, professor of climate physics at the Depatment of Environmental Systems Science of the ETH Zurich, pictured in his office at the ETH Institute for Atmospheric and Climate Science in Zurich ...
Klimaforscher Reto Knutti kämpft für das CO2-Gesetz. Bild: KEYSTONE

Knutti lässt das nicht auf sich sitzen. Die fossile Industrie habe ein Problem. «Sie weiss das, und versucht seit Jahrzehnten es zu verheimlichen, wissenschaftliche Fakten zu verzerren, zu beschönigen, zu täuschen, und zu lobbyieren.» Man könne über das CO2-Gesetz unterschiedliche Meinungen haben; «aber die Physik kann man nicht neu erfinden», so Knutti weiter zu watson.

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quelle: crowther lab / eth zürich
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Video: srf
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168 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Unicron
30.04.2021 20:15registriert November 2016
Steht die SVP eigentlich bei irgend einem Thema auch auf der richtigen Seite der Geschichte?
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domin272
30.04.2021 19:52registriert Juli 2016
Ich finde es in höchstem Masse dreist, wie die Erdölindustrie versucht ihre Pfründe noch zu retten, wenn auch auf Kosten der Bewohnbarkeit grosser Regionen unseres schönen Planeten für zig künftige Generationen.

Diese Vergleiche sind reine Kindergartenrethorik, um CO2 emotional eine positive Konotierung zu verpassen. Das dabei , wie vielerorts, mehr denn je, die Menge macht das Gift gilt, scheint man wissentlich oder durch schlichte Verdrägung zu ignorieren.
Was würden wir als Gefährlicher einschätzen? CO2 oder Wasser? Wenn man 8 Liter Wasser am Tag trinkt stirbt man auch an einem Hirnödem...
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Nixnutz
30.04.2021 21:05registriert Mai 2017
Gerade der SVP sind doch die Enkel derart wichtig, dass eigentlich in der COVID-Krise keine Schulden gemacht werden sollten, weil besagte Enkel die Schulden zurückzahlen müssen. Bezüglich des Klimas gilt das dann wiederum nicht mehr: Darf‘s äs bitzli meeh CO2 sein. Auch das dürfen dann die Enkel ausbaden, ist aber zu vernachlässigen, oder?
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