Herr Bodenmann, was würden Sie gerne über die Liebe wissen, das Sie bis jetzt nicht herausgefunden haben?
Guy Bodenmann: Entliebungsmomente faszinieren mich sehr. Ich würde gerne besser verstehen, wie die Liebe plötzlich verschwindet. Warum ist man zu Beginn einer Beziehung optimistisch, positiv, verzeihend und wird dann plötzlich pingelig und nervt sich an der anderen Person. Das müsste nicht der Fall sein.
Aber kann man den gleichen Menschen überhaupt für immer lieben?
Ja. Wir wissen, wie man die Liebe erhalten kann, wenn sie einmal entstanden ist. Aber man muss sie aktiv und bewusst pflegen. Ich verwende dafür den Begriff Commitment; bereit sein, die Beziehung zu pflegen und sich langfristig auf eine Bindung mit dieser Person einlassen zu wollen.
Über Commitment schreiben Sie auch im Buch «Mit ganzem Herzen lieben». Aber wollen Menschen heutzutage zwischen Tinder, Bumble & Co. überhaupt langfristige Beziehungen?
Durchaus. Klar, wenn man jung ist, will man experimentieren und diese Phase dauert heute sicher länger als früher. Aktuell bindet man sich durchschnittlich mit 30 Jahren, nicht mehr wie vor 50 Jahren mit 20. Aber der Wunsch hinter der Bindung ist nach wie vor der gleiche: Man sucht eine Person, die für einen da ist, einen Referenzpunkt und emotionale Exklusivität.
Wenn man das nicht sucht, die Exklusivität und das Commitment, stimmt dann etwas nicht mit einem?
Es gibt viele Studien, die zeigen, dass das Grundbedürfnis nach Bindung elementar ist. Egal welche Form, es muss ja nicht pauschal die monogame Partnerschaft und die Ehe sein, Menschen suchen in Beziehungen Halt und Geborgenheit. Es kommt aber darauf an, was man kann. Und da ist die Bindungserfahrung einer Person ganz zentral: Wie stehe ich überhaupt zu Bindung? Kann ich mich auf Beziehungen verlassen? Kann ich sie zulassen? Menschen, die Unsicherheit in diesem Bereich erfahren haben, zum Beispiel in der Kindheit, beantworten diese Fragen eher mit Nein. Für sie ist Nähe etwas Bedrohliches und sie können dadurch die Strukturen gar nicht nutzen, die ein Commitment ihnen geben würde.
Also lohnt es sich, bei der Partnerwahl zuerst das Elternhaus zu analysieren?
Das kann in der Tat aufklärend sein. Aber man spürt auch so bei einer Person, ob eine wechselseitige Verbindung vorhanden ist und beide gleichermassen in die Beziehung investieren. Das ist wie bei einem gemeinsamen Konto, auf das man einzahlt. Wenn einer viel investiert und die andere Person wenig, passt es nicht. Jemand, der Freiheit sucht, muss sich nicht auf jemanden einlassen, der Verbindlichkeit sucht und umgekehrt. Die Unverbindlichen sollen sich zusammentun und ein Lebensmodell kreieren, das für sie stimmt. Aber die Verbindlichen kommen weniger auf die Rechnung und leiden bei jemanden, der wenig auf das Beziehungskonto einzahlt.
Heisst es nicht, «Gegensätze ziehen sich an»?
In der Paarforschung hat sich der Grundsatz «Gleich und Gleich gesinnt sich gern» als relevant für Beziehungserfolg erwiesen. Gegensätze sind am Anfang spannend, aber irgendwann werden sie sehr aufwändig. Gerade wenn der eine mehr Verbindlichkeit möchte, der andere weniger, ist das ein ständiges Gezanke.
Was tun, wenn die andere Person nicht gleich viel auf das Beziehungskonto einzahlt?
In diesen Situationen ist es natürlich schwierig zu entscheiden: Gebe ich nochmals etwas mehr in die Beziehung oder warte ich darauf, bis mein Partner etwas gibt? Es ist wie bei einer Aktie: Wenn ich nie investiere, gibt es nie eine Rendite. Wenn ich investiere und der Andere nicht, hat es sich für mich nicht gelohnt. Aber wenn ich merke, es ist die richtige Person, dann soll man investieren, aber man soll auch einfordern.
Wie erkennt man denn, ob die Person eine Investition «wert» ist?
Bauchgefühl. Fühlen Sie sich wohl bei dieser Person? Diese Frage sollte man allerdings unabhängig vom Sex beantworten, denn der hat eine sehr starke Kraft. Wenn Sie mit jemandem guten Sex haben, ist diese Personen automatisch sympathisch und löst Glücksgefühle aus. Das heisst aber nicht, dass diese Person gut für einen ist. Deshalb ist es wichtig zu abstrahieren: Was habe ich sonst an dieser Person? Wie ist es, wenn wir keinen Sex haben? Wir suchen nach Sicherheit und im Grossen und Ganzen soll die Partnerschaft eine Ressource für Glück sein, in der man aufblühen kann.
Und nach der Phase der Verliebtheit: Wie merkt man, dass man nur aus Gewohnheit mit jemandem zusammen ist, nicht aus Liebe?
Eine Beziehung muss immer etwas Faszinierendes bleiben. Wenn sie am Morgen aufwachen, die Person sehen und er oder sie ist gleichgültig oder Sie sind gleichgültig, dann ist die Beziehung zur Gewohnheit geworden. Man sollte sich immer noch freuen, wenn man diesen Menschen sieht. Aber dieses Gefühl muss man aktiv erhalten, das passiert nicht einfach so.
Wie kann man die Liebe aktiv erhalten?
Indem man sich ganz bewusst bemüht. Einerseits sollte man versuchen, nicht jedes Haar in der Suppe zu sehen. Es hilft, sich aktiv auf das Positive zu fokussieren, auf das, was man an der Person mag. Ausserdem zählen die alltäglichen Begegnungen, kleine Zeichen von Liebe, Respekt, Zuneigung und Wertschätzung. Die sind nicht schwierig zu geben, man muss es einfach bewusst tun. Es ist wie mit einem Auto: Man geht nicht erst in die Garage, wenn es eine Panne hat. Man bringt es zum Service, tankt es, bevor man fährt, sorgt sich um sein Funktionieren.
Sie vergleichen Beziehungen mit Autos, mit Aktien, dem Bankkonto. Klingt unromantisch. Oder habe ich einfach eine falsche Vorstellung von Beziehungen?
Es geht Ihnen wohl nicht anders als den meisten Menschen. Wir haben einmal eine Gymi-Klasse befragt, was man für eine Partnerschaft tun muss, wenn man zusammen ist. 90 Prozent antworteten: nichts. Das ist genau der Punkt: Man denkt, die Liebe ist ein Geschenk, das einem in den Schoss fällt und dann hat man sie und kann sie einfach geniessen. Doch die Liebe ist kein Selbstläufer, man muss sie pflegen, damit sie gedeiht.
Meine beste Freundin hätte ich gerne den Rest meines Lebens so nahe, wie sie jetzt ist.
Ich kann mir vorstellen, dass das dann aber schwierig mit einem eventuellen Partner wird, gerade mit dem Thema Eifersucht und Zeitnehmen.
Ich habe vor Jahren gelesen, dass mensch Liebe verlieren (im Sinne von sich nicht täglich, sondern bewusst sehen) muss um sie zu bewahren. Auf mich persönlich trifft dies sehr zu, einen geteilten Alltag kann ich mir (auch mit Kindern) nicht vorstellen, ich brauche Zeit für mich allein um im Lot zu sein und lieben zu können.
Auch wenn sich zementierte Rollenbilder immer wie mehr aufzulösen, gilt mein Verhalten in meinem Umfeld als unverbindlich. Ich bin jedoch alles andere wie unverbindlich, sondern sehr treu und loyal.