Während es die Fachwelt bereits überraschte, wie gut die sogenannten GLP-1-Agonisten gegen Übergewicht helfen – ursprünglich waren sie zur Diabetestherapie entwickelt worden -, zeichnet sich mittlerweile ein noch breiteres Einsatzfeld ab: Parkinson, Alzheimer, Herzinfarkte, sogar ein längeres Leben versprechen die Medikamente, die auch als Abnehmspritzen bekannt geworden sind.
Anekdotische Evidenz und Beiträge in sozialen Medien legen nun sogar nahe, dass sie auch gegen Suchterkrankungen wie krankhaftes Shoppen, Alkoholsucht, Kokain- oder Tabakabhängigkeit helfen können.
Auch erste Studien weisen in diese Richtung: Eine Untersuchung der Universität Basel beispielsweise legte dar, dass die Probanden nach 12 Wochen 29 Prozent weniger Alkohol tranken als jene der Placebo-Gruppe. Auch für Kokain gibt es ähnliche Befunde.
Eine weitere Studie untersuchte, wie GLP-Analoga beim Rauchstopp helfen könnten. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass weniger Raucher zum Glimmstängel griffen und ihr Verlangen nach Tabak abnahm. Ein netter Nebeneffekt: Die gefürchtete Gewichtszunahme nach dem Rauchstopp fällt ebenfalls weniger schlimm aus. Auch bei Kokain gibt es Hinweise, dass das Verlangen nach dem weissen Pulver zurückging.
Wie kann das sein? Der konkrete Mechanismus ist zwar noch unklar. Bekannt ist aber, dass das Sättigungshormon GLP-1 nicht nur das Hungergefühl reguliert, sondern sich auch ins Belohnungszentrum unseres Hirns einschaltet. Während bei Adipösen das Essen eine Belohnung auslöst, ist es bei Suchtkranken das Glas Schnaps, die Linie Koks oder die Zigarette. GLP-1 scheint das «Reissen» nach der nächsten Belohnung zu dämpfen.
Marc Vogel, Chefarzt am Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen an der Psychiatrischen Uniklinik Basel, sieht in den Abnehmspritzen tatsächlich «einen weiteren Pfeil im Köcher» bei der Behandlung von Suchtpatienten.
«Die bisherigen Daten sind vielversprechend. Es braucht aber noch weitere Studien.» Er selbst könne sich vorstellen, GLP-1-Präparate anzuwenden. Da diese bisher nur für von Diabetes oder Übergewicht Betroffenen zugelassen seien, müssten suchtkranke Patienten aber das Mittel aus der eigenen Tasche bezahlen.
Grundsätzlich stehe man bei der Behandlung von Alkoholkranken heute zwar nicht schlecht da, betont Vogel. Es gäbe bereits Medikamente, die das Verlangen reduzieren. «Eine weitere Therapieform wäre aber wünschenswert.» Und bei Kokain sei der Bedarf ohnehin gross: «Da gibt es bisher überhaupt keine medikamentöse Therapie, nur psychologische Begleitung», sagt Vogel.
Wie sieht es mit anderen Verhaltenssüchten aus? Glückspiel-, Internet-, Sex-, Kaufsucht – könnten die Abnehmspritzen auch hier helfen? «Grundsätzlich spielen hier dieselben Belohnungsmechanismen im Hirn», sagt Vogel. «Es wäre deshalb denkbar, dass GLP-1-Präparate das Verlangen mindern könnten.»
Nicht entgangen sind die neuen, potenziell lukrativen Behandlungsmöglichkeiten der Pharmaindustrie. «Es spricht für die Wirkungsweise, dass sie auch gegen Suchterkrankungen wirken könnten», sagte Martin Holst Lange, Entwicklungschef beim dänischen Pharmakonzern Novo Nordisk, zu dieser Zeitung. Angesichts der bedeutenden Verbreitung von Suchtproblemen verfolge man diese Entwicklungen «interessiert». «Das Potenzial des Wirkstoffs muss aber wissenschaftlich genau abgeklärt werden. Wir werden das weiterverfolgen.» (bzbasel.ch)