Bundesbern steht unter Klima-Stress. Denn die Vorgaben sind klar: Bis spätestens 2050 muss die Schweiz laut Pariser Abkommen klimaneutral werden. Die Dekarbonisierung ist eine Monsteraufgabe: Denn im Jahr 2021 verpesten landauf, landab noch immer 900'000 Ölheizungen die Luft. Von den 6 Millionen in der Schweiz registrierten Motorfahrzeugen fahren erst knapp ein Prozent elektrisch.
Was nun? Nach dem Absturz des CO2-Gesetzes im Juni steht die Schweizer Klimapolitik vor einem Scherbenhaufen. Nun wird mit einer Übergangsvorlage weitergewurstelt. 2025 soll eine neue CO2-Vorlage folgen. «Die Klimakrise ist bereits da, wir brauchen jetzt eine rasche Lösung», so Grünen-Fraktionschefin Aline Trede.
Ob Benzinpreis, Ölheizungen oder Flugtickets – wie kann die Schweiz ein Klimagesetz schaffen, das den CO2-Ausstoss rapide senkt – und bei dem die Bevölkerung mitzieht?
In der aktuellen «Arena» debattieren weiter Christian Imark (SVP), Beat Walti (FDP) und Eric Nussbaumer (SP) über den Weg in eine klimaneutrale Zukunft. Eins vorweg: Im Vergleich zu den Corona-Debatten verläuft die Diskussion sachlich, konstruktiv – schon fast eine «Schullektion», wie es Slam-PoetinPatty Basler ausdrückt.
Das Volk versenkte das letzte CO2-Gesetz insbesondere wegen der geplanten Aufschlägen von bis 12 Rappen auf den Benzinpreis. Natürlich bringt SRF-Moderator Sandro Brotz das Reizthema erneut aufs Tapet. Auf wenn nur eine moderate Erhöhung von 1,5 auf maximal 5 Rappen pro Liter zur Debatte steht, die gesetzlich schon länger festgezurrt ist.
«Es darf nicht sein, dass die Autofahrer noch mehr gemolken werden. Bereits heute geht die Hälfte des Benzinpreises mittels Abgaben an den Staat», so SVP-Klimaexperte Imark. Er fährt übrigens einen SUV eines südkoreanischen Herstellers, der laut Herstellerangaben gut 12 Liter pro 100 Kilometer schluckt. Ein Zuschauer unterstützt Imark in seinen Voten. «Ich fühle mich schon ein wenig ‹bschisse›. Nicht alle Leute haben eine Tramhaltestelle vor dem Haus, sondern brauchen ein Auto.»
SP-Nationalrat Nussbaumer, der sich mehr als einmal leicht angesäuert auf dem Pult abstützt, sieht das grössere Bild: «Der Verbrennmotor hat einfach keine Zukunft mehr. Das ist die Realität.» Auch Grünen-Trede spricht von «Schattenboxen», einer Scheindebatte. «Wenn man auf Elektroautos setzt, muss man nicht länger über Benzinpreise diskutieren», so die Bernerin. So oder so sei der Spritpreis grossen Schwankungen unterworfen. Dieses Jahr seien es 30 Rappen gewesen. FDP-Walti glaubt Angesicht des enormen Booms der E-Autos, dass sich das «Auto-Problem» bis zur nächsten Abstimmung erledigt hat.
So einfach dürfte dies aber nicht gehen, wie ETH-Klimaprofessor Anthony Patt erklärt. Der Benzinpreis an sich spiele eigentlich gar nicht so eine grosse Rolle. «Das Problem ist vielmehr, dass es an Ladestationen in den Gebäuden für E-Autos mangelt.» Für viele Mieterinnen und Mieter sei es gar nicht möglich, einen E-Wagen aufzuladen. «Dabei ist klar: Will die Schweiz bis 2050 klimaneutral sein, muss jedes Auto elektrisch sein», so Patt.
SVP-Imark ist nicht wie andere Parteikollegen ein Klima-Leugner. Auch er will gegen den Klimawandel ankämpfen. Einfach ohne dass die Bevölkerung mit Abgaben belastet wird. Private sollen die nötigen Investitionen stemmen. «Verbote und Aufschläge sind aber der falsche Weg», so der Solothurner, der sich als nächstes Auto einen Hybrid kaufen will. Dennoch betreibt Imark und die SVP beim Benzinpreis weiter Rappenspalterei. Die Partei denkt sogar über ein Referendum gegen die Übergangs-Vorlage nach.
Ob diesem Tunnelblick – nicht nur jener der SVP – gerät Zuschauer Jürg Schmidli (58) in Rage: «Wir müssen den Leuten endlich klarmachen, was der Klimawandel in der Schweiz bedeutet. In einigen Jahren interessiert es dann niemanden, ob er auf dem Land lebt und ein Auto hat. Wenn er wegen der Hitze nicht mehr fahren kann, weil unsere Infrastruktur kaputt ist.» Denn der Bericht des Weltklimarates IPCC zeige auf, dass sich das Klima in der Schweiz noch viel stärker erwärmt als in anderen Gebieten.
Es sind längst nicht nur der Autoverkehr, der das Klima belastet. Sondern ebenso die Gebäude, die für rund ein Drittel des CO2-Ausstosses verantwortlich sind. Und wie erwähnt viel zu oft mit Öl statt etwa Solaranergie beheizt werden. «Bei den erneuerbaren Energien sind wir in der Schweiz arg im Hintertreffen», so Nussbaumer. ETH-Experte Patt wirft ein, dass in Deutschland Photovoltaik schon jetzt die billigste Energie sei. Auch im Winter gingen nicht die Lichter aus. In der kalten Jahreszeit – bei dem bei uns die Solarenergie an die Grenzen kommt – könne die Schweiz künftig Windstrom importieren.
«Wir machen sicher nicht alles falsch, aber das Potenzial ist noch sehr gross», sagt FDP-Fraktionschef Walti. Ein sparsamer Umgang mit den Ressourcen sei auch ein Wettbewerbsvorteil für die Wirtschaft. «Wasserstoff-Technologie etwa ist eine riesige Exportchance für die Schweiz», so der Nationalrat.
Der Countdown läuft. Bis Ende des Jahres sollen die Eckpunkte des neuen CO2-Gesetzes stehen. Bundesrätin Simonetta Sommaruga hat klargemacht, dass die Klimaziele erreicht werden müssen – aber mit weniger Verboten und mehr Anreizen. Die Stossrichtung passt auch SVP-Nationalrat Imark. Ein schon fast historischer Konsens? «Die grosse Frage, ist wie man die Sachen umsetzt, ohne dass die Bevölkerung belastet wird», so Imark. Man müsse nur die Investitionszykeln bei Autos und Gebäuden richtig nutzen. Bereits jetzt ist klar, dass der Streit im Parlament wieder losgehen wird.
Aline Trede von den Grünen gehen die bisherigen Vorschläge des Bundesrates viel zu wenig weit. «Der klimaschädliche Finanzsektor wird etwa ganz ausgeklammert.»
Ob mit oder ohne Banken, SP-Nussbaumer fordert viel mehr Tempo in einer neuen Klimapolitik. Dazu müsse auch Geld in die Hand genommen werden. «Der grosse Irrglaube ist, dass Klimapolitik nichts kosten darf. Die Alternative sind Klimaschadenskosten. Der Schaden ist viel grösser, wenn wir nichts machen». Investitionen müssten passieren, wenn sie nötig sind. Dann könne man die eine oder andere Abgabe fallen lassen.
Ob der damit die viel diskutierte Flugticket-Abgabe meint, ist nicht klar. Brotz schneidet das Thema nur kurz an, indem er Nussbaumer mit dem Kurztrip seiner Parteigenossen Fabian Molina und Cédric Wermuth foppt, die eigens für die Wahlen nach Berlin gejettet waren. Nussbaumer lässt sich nicht provozieren.
Und kommt zum Punkt: Es sei einfach nicht mehr zu verantworten, dass Flugreisen der Bahn steuerlich bessergestellt sind. «Es ist extrem dekadent, dass man für neun Franken nach Barcelona fliegen kann», enerviert sich Trede. Auch Walti hat an den irren Flugpreisen keine Freude. «Die Treibstoffabgabe muss aber in der Schublade bleiben. Es braucht eine internationale Lösung.»
So oder so bliebt das Klima eines der ganz grossen Top-Themen. Wenn es dann um die Wurst respektive um die Massnahmen geht, dürfte es in der nächsten Arena dann vorbei sein mit den Nettigkeiten.