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Wie wird der Winter 2022/23? 3 Prognosen aus Natur und Klimamodellen

20 Grad im Oktober, abgesagte Skirennen – was wird aus diesem Winter? Drei Prognosen

Selten war Europa so gespannt, was der Winter bringen wird, wie in diesem Jahr. Wir wagen den Blick in die Glaskugel und suchen nach Prognosen bei diversen Bauernregeln, den Wetterschmöckern – und natürlich auch bei Forschungsinstituten.
26.10.2022, 17:0028.10.2022, 06:44
Lara Knuchel
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Temperaturen über 20 Grad und eine Nullgradgrenze, die im Begriff ist, auf über 3'300 Meter zu steigen, machen nicht nur dem Skizirkus in Zermatt, sondern auch der Natur und insbesondere den Gletschern zu schaffen.

Gleichzeitig schwelt eine drohende Energiekrise über uns. Und ganz Europa hofft, dass uns die überdurchschnittlich hohen Temperaturen, die uns das Jahr 2022 bis anhin bescherte, doch erhalten bleiben mögen.

Im kommenden Winter gibt es, wie es die Wirtschaft sagen würde, deshalb einen Trade-off darüber, worauf wir denn nun mehr hoffen sollten: Wird es eher warm, gibt es wenig Schnee in den Höhen. Das wäre schlecht für Gletscher und Natur – aber gut für uns, weil wir geringere Heizkosten hätten. Oder aber es wird kalt, am besten noch mit viel Niederschlag, und die Gletscher könnten sich während dieser Zeit etwas erholen. Dafür könnten wir in eine horrende Heizkostenabrechnung sowie Energieengpässe hineinrasseln.

Welche Variante wird es? Wir wagen eine – mehr oder weniger seriöse – Approximation.

Das sagen die Bauernregeln

Zahlreiche Bauernregeln verbinden Ereignisse im Sommer mit einer Prognose für den Winter. Wir haben deren vier ausgewählt.

«Sind an Jakobi die Tage warm, gibt’s im Winter viel Kält' und Harm.»
Bauernregel

St. Jakobi ist alljährlich am 25. Juli, er wird auch als Jakobstag bezeichnet. Für diesen Sommer wenig überraschend, erlebte die Schweiz an St. Jakobi 2022 einen Hitzetag mit über 30 Grad. Es ist ein erstes Indiz für einen harten, kalten Winter.

«Ist’s in der ersten Augustwoche heiss, bleibt der Winter lange weiss.»
Bauernregel

Auch diese Bauernregel setzt auf Gegensätze. Ein Blick in die Statistik sagt uns: Die erste Augustwoche war heiss. Zumindest bis und mit am 5. August, als die Höchsttemperatur an allen Tagen um oder über 30 Grad lag. Danach erlebte der Sommer zwar einen vorübergehenden Einbruch mit Höchsttemperaturen von nur noch 23 Grad. Wir werten das trotzdem mal so: Laut dieser Bauernregel dürften wir vor allem gegen Ende Winter noch viel Schneefall erwarten.

«Donnert’s im September noch, wird der Schnee um Weihnacht hoch.»
Bauernregel

Diese Regel macht allen Weihnachtsfans Hoffnungen: Wie MeteoNews Anfang Oktober schrieb und wir uns vielleicht noch knapp erinnern können, kam der September 2022 mit zahlreichen Gewittern. Schweizweit war der Monat nämlich zu nass, da er mit Unwettern überzogen wurde. «Aufgrund von wiederholten Gewitterstaffeln war das Monatssoll teilweise bereits nach 10 Tagen erreicht», berichtete der Meteo-Blog.

«Ist der Oktober warm und fein, kommt ein scharfer Winter drein.»
Bauernregel

Der Oktober 2022 sei vielerorts zu nass, unter dem Strich aber normal sonnig gewesen. Allerdings: «Temperaturmässig ist es ein Oktober der Superlativen», schreibt MeteoNews. Die vorläufige Bilanz am 25. Oktober: Im Schnitt lagen die Temperaturen in der Schweiz 3,2 Grad über dem langjährigen Mittel. Stimmt die Bauernregel, gibt es für uns also zweifelsohne einen «scharfen» Winter.

Fazit: Da das Wetter in diesem Sommer aussergewöhnlich heiss und schön war, sollte uns gemäss vielen Bauernregeln ein krasser Winter – also viel Schnee und Kälte – erwarten. Ob sich diese Prognose erhärten lässt?

Das sagen die «Wetterschmöcker»

Vergangenes Wochenende trafen sich die Muotathaler Wetterschmöcker zu ihrer traditionellen Herbstversammlung. Sie präsentierten dabei ihre Prognosen für den Winter und den Frühling.

Die Muotathaler Wetterschmöcker
Die Muotathaler Wetterschmöcker (oder auch Meteorologen-Verein Innerschwyz) sind eine Gruppe von sechs Hobby-Meteorologen. Sie treffen sich zweimal im Jahr, um – oft mit viel Humor – ihre Vorhersagen für das kommende Winter- respektive Sommerhalbjahr vorzutragen. Die Wetterschmöcker orientieren sich bei ihren Prognosen sowohl an der Landwirtschaft als auch an den Tieren. Die genaue Herleitung ihrer Vorhersagen halten die Männer allerdings geheim. Wer im vergangenen Halbjahr die beste Prognose tätigte, wird jeweils mit einer Holzfigur als «Wanderpokal» ausgezeichnet.
Die Muotathaler Wetterschmoecker, Martin Horat, Peter Suter, Martin Holdener, Karl Hediger, Roman Ulrich und Alois Holdener, von links, posieren vor der Generalversammlung des Meteorologen-Verein Inne ...
Die Muotathaler Wetterschmöcker 2019. Bild: KEYSTONE

Dass der Schnee um «Weihnacht' hoch» stehen wird, bezweifeln fast alle Wetterschmöcker. Mit Ausnahme von Karl Hediger, auch «Naturmensch» genannt («Weisser geht's nicht mehr!»), prophezeien alle eine zu warme und mit Föhn durchsetzte zweite Dezemberhälfte und dadurch einen späten Wintereintritt.

«Der Winter fängt mit wenig Schnee an, gibt nachher aber Vollgas.»
Martin Holdener, «ds Musers»

Auch in puncto Schneemenge sind sich fünf der sechs Wetterschmöcker einig: Es wird viel davon geben. So sagt zum Beispiel Martin Horat (Übername «Wettermissionar»), der Winter werde eher schneereich und «die Gletscher könnten wieder wachsen».

Bezüglich der Temperaturen während des ganzen Winters wollte sich keiner der sechs Wetterschmöcker auf die Äste herauslassen. Immerhin: Fast alle prophezeien, dass der Februar 2023 kalt und teilweise mit Bise durchsetzt sein wird.

Gemäss drei der sechs Muotathaler Wetterschmöcker lässt nicht nur der Winter, sondern später auch der Frühling auf sich warten. Dazu meint zum Beispiel Alois Holdener («Tannzapfen»), der Frühling sei 2023 nicht der schnellste, «er zögert immer wieder». Und auch Martin Holdener prophezeit für den März: «Man könnte meinen, der Winter fängt erst jetzt an, Schnee hinauf bis zur Gurgel.» Die übrigen drei Wetterfrösche, wie die Innerschwyzer auch genannt werden, sehen den Frühling hingegen rechtzeitig kommen.

Fazit: Wird eine Mehrheit der Wetterschmöcker ihrem Namen gerecht, folgt auf grüne Weihnachten ein zwar später, aber eher kalter und schneereicher Winter. Uneinig sind sich die Männer darüber, wie lange uns der Schnee auch in den Frühling hinein erhalten bleibt.

Das sagen die Modelle

Wirklich genau sind Wetterprognosen nur für die jeweils kommenden Tage. Dennoch gibt es Modelle, die versuchen, Prognosen über Monate hinweg zu erstellen. Ihre Basis sind weniger aktuelle Wetterereignisse als vielmehr grössere klimatische Veränderungen. Solche langfristigen Wetterprognosen werden zwar immer besser, ihre Ungenauigkeit und die vielen Unsicherheiten bei solch langen Zeitabständen dürfen aber trotzdem nicht unterschätzt werden.

Als Basis langfristiger Prognosen dienen den Modellen zahlreiche Variablen, darunter die Position und Bewegung des Jetstreams sowie verschiedene Luftdrucksysteme. Ausserdem entscheidend ist im Jahr 2022 (und wohl auch 2023 noch) insbesondere die mögliche Entwicklung der Temperaturen der Ozeane im dritten La Niña-Jahr in Folge. Denn: Winter während La Niña tendieren in Europa dazu, wärmer als normal auszufallen.

La Niña beeinflusst das globale Wetter
La Niña ist quasi das Gegenstück zum El-Niño-Phänomen. Beide beschreiben, vereinfacht gesagt, eine globale Klima-Ausprägung, die sich an gewissen Orten wesentlich auf das Wettergeschehen auswirken kann. Während La Niña ist das Wasser im östlichen tropischen Pazifik kühler und das Wasser im westlichen tropischen Pazifik wärmer als normalerweise. Das führt zu mehr Niederschlag als gewöhnlich in Süd- und Ostasien sowie in Australien und zu weniger Niederschlag und Trockenheit im Süden der USA bis hin zu Südamerika. Je stärker der Temperaturunterschied im Pazifik, desto stärker fallen die Folgen der Phänomene aus.

Eine solch lange Phase von La Niña, wie wir sie momentan erleben (drei Jahre nacheinander), ist höchst selten: Seit Beginn der Aufzeichnungen geschah das nur gerade zweimal.

So wird der Winter 2023 laut Forschungsinstituten

Institute wie die National Centers for Environmental Prediction (NCEP) aus den USA erstellen mittel- bis langfristige Prognosen für den Niederschlag, die Druckverteilung und die Temperaturen. Neben dem NCEP gibt es noch weitere, meist staatliche, Wetterinstitute, die solche Prognosen tätigen: zum Beispiel der deutsche Wetterdienst oder das Europäische Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (ECMWF).

Was also sehen die Forschenden in diesem Winter auf uns zukommen? Nun: Sie sehen es anders als unsere Bauernregeln oder die Wetterschmöcker.

Temperaturen

Wettervorhersagen verschiedener Modelle, Dezember/Januar/Februar 2022/23
Abweichung in Grad Celsius des Medians der Periode 1993–2016 in den Wintermonaten Dezember, Januar und Februar. Die Grafik resultiert aus den Ergebnissen mehrerer Forschungsinstitute.Bild: climate.copernicus.eu

Diese Grafik zeigt den Durchschnitt der Resultate der Prognosen von verschiedenen Instituten. Berechnet wurden die Temperaturen in den Wintermonaten Dezember, Januar und Februar. Die Schweiz liegt hier noch knapp in der Zone, für die eine positive Abweichung von 0,5 bis einem Grad prognostiziert wird.

Sieht man sich die Resultate des Europäischen Wetter-Instituts an, sollte es nicht ganz so warm werden. Das ECMWF berechnet für Mitteleuropa einen relativ normalen Winter. Dabei ist die Schweiz gerade noch etwas über dem Median, aber nicht viel (zwischen 0 und 0,5 Grad).

Prognose ECMWF für den Winter 2022/23 (Temperaturen)
Abweichung in Grad Celsius des Medians der Periode 1993–2016. Die Grafik resultiert aus den Ergebnissen des ECMWF.Bild: climate.copernicus.eu

Wichtig zu beachten ist, dass die Monate Dezember, Januar und Februar zusammengenommen wurden. Es kann also durchaus sein, dass ein einzelner Monat stärker aus der Reihe fällt.

Niederschlag

Wettervorhersagen verschiedener Modelle, Dezember/Januar/Februar 2022/23
Abweichung in Millimeter des Medians der Periode 1993–2016. Die Grafik resultiert aus den Ergebnissen mehrerer Forschungsinstitute.Bild: climate.copernicus.eu

Trifft die Prognose über den Niederschlag zu, wird die Schweiz auch diesbezüglich einen relativ normalen Winter erfahren. Viel Schnee wird es aber nicht geben – eher knapp unterdurchschnittliche Mengen.

Fazit: Die Wissenschaft widerspricht den naturnahen Wetterbeobachtern. Die Modelle sprechen eher für einen normalen bis milden Winter mit tendenziell zu wenig Niederschlag.

Fazit

Obwohl es in Sachen Winterprognosen 2:1 für die traditionellen Prognostiker steht, darf wohl eher mit einem tendenziell milden und eher schneearmen Winter gerechnet werden. Dennoch: Auch die Ergebnisse der Forschungsinstitute sind über diese lange Frist nicht über Zweifel erhaben – auch wenn sie den heissen Sommer allesamt korrekt vorausgesagt haben.

Egal, wie der Winter ausfällt – es wird einen «Gewinner» geben. Im Falle eines warmen Winters ist es unser Portemonnaie. Und wird es kalt und schneereich, so sind es die Gletscher.

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So faszinierend ist Schnee, wenn du genau hinsiehst ❄
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So faszinierend ist Schnee, wenn du genau hinsiehst ❄
Eine Schneeflocke, aufgenommen in Paris.
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82 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Janster
26.10.2022 17:53registriert März 2021
Die abgesagten Skirennen waren aber im Herbst. Wer auf die Idee kommt stand Heute in unseren Breitengraden ein Skirennen im Oktober anzusetzen hat die Zeichen der Zeit definitiv komplett ignoriert....
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Janster
26.10.2022 17:56registriert März 2021
Also ich prophezeie dass der Februar kälter wird als der Oktober. Ich muss nur noch eine schlaue Bauernregel dazu erfinden....
1007
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Skunk42
26.10.2022 17:21registriert Februar 2022
Es wird warm oder kalt - kommt aufs Wetter an.
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