Man kennt sie kaum. Man verliebt sich in sie. Man streitet mit ihnen. Oder nervt sich nur über sie: die Nachbarinnen und Nachbarn. Wie es Herr und Frau Schweizer mit ihrer Nachbarschaft halten, zeigt eine neue repräsentative Studie, die vom Gottlieb Duttweiler Institut (GDI) im Auftrag des Migros-Kulturprozent verfasst wurde.
Neben den soziodemografischen Ergebnissen identifizierte die Studie in einer qualitativen Umfrage ebenfalls vier Nachbarschaftstypen. Bevor wir dazu kommen, zuerst aber ein paar Grafiken, die zeigen, wie wir eigentlich wohnen, was wir uns unter Nachbarschaft vorstellen und wo wir unseren Nachbarinnen begegnen.
In den häufigsten Haushalten leben zwei Personen (36%). Nur gerade 15 Prozent aller Menschen in der Schweiz sind zu dritt unter einem Dach.
Wer zu zweit wohnt, ist mit grosser Wahrscheinlichkeit in einer Beziehung (32%). Auf Platz zwei folgen die Einpersonenhaushalte (23%). Das Schlusslicht bilden alleinerziehende Personen mit einem oder mehreren Kindern (2%).
Etwas mehr als die Hälfte (51%) aller Schweizerinnen und Schweizer leben in einem Wohnblock mit mehr als drei Wohnungen. 26 Prozent wohnen in einem alleinstehenden Einfamilienhaus. 5 Prozent bevorzugen andere Wohnformen.
Eine grosse Mehrheit bezeichnet als Nachbar, wer im gleichen Haus oder in den umliegenden Häusern wohnt. In der Romandie und im Tessin fasst man den Begriff Nachbarschaft etwas weiter. Als Nachbarin gezählt wird auch die Frau, die im gleichen Quartier wohnt.
Zwei Drittel aller Menschen treffen ihre Nachbarn spontan. Fast niemand sieht nie irgendjemand aus der Nachbarschaft. Ältere Menschen und jene mit Kindern haben häufiger Kontakt mit den Nachbarinnen.
Kommen wir zu den Nachbarschaftstypen:
Knapp die Hälfte (47 %) der Schweizer Bevölkerung zählt zu den Distanzierten. Sie halten eher Abstand zu ihren Nachbarn, sind diskret und möchten unabhängig leben.
Eine Waschmaschine kauft man sich, trotz Gemeinschaftswaschraum, lieber selbst. Am liebsten wohnen die Distanzierten in ihrem eigenen, freistehenden Haus – mit etwas Abstand zur Nachbarin. Ein «Grüezi», wenn man sich über den Weg läuft, geht noch. Aber unaufgefordert angesprochen werden, das mögen die Distanzierten gar nicht.
Auch wenn man etwas benötigt, versucht man sich zuerst selbst zu helfen. Im Notfall sind aber auch die Distanzierten zur Stelle.
Ganz unnahbar sind die Distanzierten aber nicht. Sie schätzen es, gelegentlich an einem gemeinsamen Anlass teilzunehmen und ins Gespräch mit der Nachbarschaft zu kommen. Mehr als das brauchen sie aber nicht.
30 Prozent der Bevölkerung schätzen Toleranz und anregende Begegnung in der Nachbarschaft. Sie suchen nach sinnerfüllenden Aktionen, Vielfalt und wollen auch mal über den eigenen Tellerrand hinausblicken.
Für die Inspirationssuchenden ist wichtig, dass sie in einer sehr durchmischten Nachbarschaft wohnen. Die Nachbarin sollte einen inspirieren. Projekte setzt man am liebsten gemeinsam um. Zum Beispiel einen Garten anlegen.
Man begegnet sich mit Respekt und Solidarität. Nicht nur kurz im Treppenhaus, sondern im direkten Austausch, bei gemeinsamen Aktivitäten und Projekten. Wenig überraschend ist dieser Nachbarschafts-Typus am häufigsten in grösseren Mehrfamilienhäusern anzutreffen.
14 Prozent der Bevölkerung möchte die Nachbarin oder den Nachbarn am liebsten als besten Freund oder Ersatzfamilie haben. Enger Kontakt ist erwünscht und gemeinsam Dinge im Alltag zu unternehmen ohnehin. Grillabende, Hauspartys, Flohmarkt – das alles gehört zu einer guten Nachbarschaft dazu.
Bei diesem Typus kann man jederzeit an die Tür klopfen – auch ohne sich vorher anzukündigen. Kurz die Bohrmaschine ausleihen? Kein Problem. Beim Zurückbringen bleibt man dann am besten gleich für einen Kaffee.
Die Beziehungspflegenden wissen, wann die Nachbarin gerne Mittagsschlaf hält oder toleriert, wenn es am Wochenende einmal lauter wird.
Anders als die Inspirationssuchenden möchte dieser Typus möglichst homogen wohnen. In einem Milieu also, das ähnliche Interessen und Werte teilt. Spannend bei diesem Typus ist die geschlechteraufteilung: Auffallend mehr Frauen (57%) als Männer (43%) mögen eine enge Beziehung zu ihren Nachbarn.
Unter Gleichgesinnten leben, ähnliche Werte und Ansichten teilen: Das wünschen sich 10 Prozent der Bevölkerung für ihre Nachbarschaft. Bevor sie sich ein neues zu Hause suchen, wollen sie wissen, wer im gleichen Haus und in der Umgebung wohnt.
Dieser Typus wünscht sich ähnliche Vorstellungen von Sauberkeit und Ordnung. Alle sollen nach den gleichen Spielregeln spielen. Einen so engen Umgang wie die Beziehungspflegenden möchten sie dann aber doch nicht. Zu viele Verpflichtungen mit der Nachbarschaft möchten sie nicht.
Hilfsbereitschaft ist für sie selbstverständlich, aber im Alltag reicht ein kurzer Schwatz im Treppenhaus. Ganz anonym mögen sie es aber auch nicht. Wenn also mal etwas Mehl für den Kuchen fehlt, dann hilft man natürlich gerne aus. Respektvolle und freundliche Distanz ist das Credo der Wertorientierten.
Die überwiegende Mehrheit der Schweizer Bevölkerung pflegt ein eher distanziertes Verhältnis zu ihrer Nachbarschaft. Das hat die GDI-Studie gezeigt. Nur gerade 12 Prozent aller Befragten gaben an, die Nachbarn «sehr gut» zu kennen. 23 Prozent kennt sie überhaupt nicht.
Trotzdem vertraut man seinen Nachbarinnen. Man schätzt sich, auch wenn man sich lieber nicht zu nahe kommt.
Wie hält ihr es mit der Nachbarschaft, liebe Userschaft?