In Zürich wäre es möglich, die Hälfte der Strassen in Velowege umzuwandeln – ohne Verkehrsüberlastung. Das zeigt das Projekt «E-Bike City». Über das Projekt wurde bereits in den Medien berichtet, nun hat die ETH den Abschlussbericht publiziert.
Das Projekt zielt darauf ab, dass «ein neuer Ausgangspunkt für verkehrspolitische Diskussionen» geschaffen werden soll, wie die Autorinnen und Autoren schreiben.
Insgesamt neun Professorinnen und Professoren von sieben Lehrstühlen der Universität haben sich drei Jahre lang mit dem Projekt befasst.
Wir stellen das Projekt «E-Bike-City» im Detail vor.
Forschende der ETH Zürich halten die Freigabe der Hälfte der Strassen in der Stadt Zürich für E-Bikes, Velos und E-Trottinette für möglich.
Die Fahrzeiten für Autos würden sich dadurch deutlich verlängern, wie es im Abschlussbericht des Projekts «E-Bike-City» des Departements Bau, Umwelt und Geomatik der ETH Zürich heisst. Zudem würde es weniger Parkmöglichkeiten geben.
Zusätzliche Staus würden aber nicht entstehen. Die Forschenden entwickelten dazu ein Tool, das aufzeigt, wie sich der Strassenraum von Städten umverteilen lässt. In Zürich wäre eine Aufstockung der Veloinfrastruktur von heute rund 12 Prozent auf 54 Prozent möglich, heisst es im Bericht.
Der Bericht zeigt auf, wie eine Umgestaltung des Strassenraums hin zu einer hochwertigen Veloinfrastruktur mithilfe eines dafür entwickelten Tools (siehe nächster Punkt) geschaffen werden kann.
Die Grundidee ist folgende: Grosse Teile des Strassenraums in der Stadt Zürich, der heute noch primär für Autos konzipiert ist, sollen dem ÖV, dem Fussverkehr und dem Radverkehr – unter Einbeziehung von E-Bikes als Beschleuniger von längeren Fahrten – zugewiesen werden.
Im Bericht heisst es, dass im Falle der Stadt Zürich etwa die Hälfte des vorhandenen Strassenraums dem Radverkehr gewidmet werden soll; der restliche Raum soll für den motorisierten Verkehr erhalten bleiben – allerdings hauptsächlich in Form von Einbahnstrassen.
Demnach würden Strassen halbiert – in eine Einbahnspur für Autos und eine Doppelspur für Velos. Unangetastet bleibt der Raum für öffentliche Verkehrsmittel sowie die Fussgänger-Infrastruktur.
Eine Visualisierung zeigt, wie das anhand des Beispiels einer Kreuzung aussehen könnte. Dabei zeigt der Bericht auch auf, dass die Strassen nicht zwingend gross umgebaut, sondern vor allem umgestaltet werden müssten.
Die Forschenden haben zudem untersucht, was eine Umwandlung des Verkehrs zugunsten des Veloverkehrs für Auswirkungen auf mögliche Verkehrsüberlastungen auf den Strassen haben könnte.
Dafür wurden Optimierungsmassnahmen ausgearbeitet, mit dem Ziel, die Auswirkungen der Umwandlung des Strassennetzes auf den Autoverkehr zu minimieren und eine Verkehrsüberlastung auf den noch verbliebenen Autostrassen zu verhindern.
Die Simulation zeigt, dass ein sorgfältig ausgearbeiteter Plan für die Zuweisung von Strassenraum die Möglichkeit bietet, «den Zielkonflikt zwischen der Förderung umweltfreundlicher Verkehrsarten und der allgemeinen Verkehrsleistung auszugleichen, indem die Effizienz der Strassenraumnutzung maximiert wird.»
Aus dem Projekt heraus entstanden ist dabei ein Umverteilungstool (genannt Street Network Manipulator oder kurz SNMan), das zur Neugestaltung des Strassenraums einer Stadt oder einer Region eingesetzt werden kann.
Das Tool kann auf fast jede beliebige Stadt angewendet werden, sofern entsprechende Geodaten verfügbar sind. Je spezifischer die Geodaten (z.B. genaue Informationen über Bevölkerung, Arbeitsplätze, Strassenbreiten etc.), desto detaillierter ist das Resultat.
Die Forscherinnen und Forscher haben SNMan auf die Stadt Zürich angewendet, das Ergebnis:
Ziel des Tools ist immer, «den Strassenraum so umzuverteilen, dass die Radverkehrsinfrastruktur Vorrang hat».
SNMan funktioniert grundsätzlich in 5 Schritten (siehe Bild unten) und folgt immer dem gleichen Prozedere. Parkplätze und Autowege werden zugunsten von Velowegen unter Berücksichtigung verschiedener Aspekte umgenutzt.
Sichergestellt werden muss beim Umverteilungsprozess, dass ...
Das Tool und damit der Umgestaltungsprozess kann dabei in jedem Massstab angewendet werden, von einigen Blöcken bis hin zu ganzen Städten mit komplexen Strassennetzen. Es ist als Open-Source-Software verfügbar.
Im Falle von Zürich hätte das Projekt grossen Einfluss auf den automobilen Verkehr. Wie es im Bericht heisst, würde der Anteil an Fahrspuren für Autos von 66,6 Prozent auf 35,1 Prozent des gesamten Strassenraums reduziert werden. Das Parkangebot würde sogar um 73 Prozent verringert werden.
Zudem müssten Autofahrer auch mehr Geduld aufbringen. Wegen der vielen Einbahnstrassen würde die durchschnittliche Länge der Autofahrten um 35,7 Prozent ansteigen.
Die längeren Autofahrzeiten aufgrund einer Umgestaltung hin zum Velo wären gemäss einer Studie aus dem Bericht das «wirksamste Mittel, um Autofahrer zum Umsteigen auf das Velo zu bewegen». Allerding wären Autofahrer – wenn überhaupt – vor allem bereit, auf ein E-Bike umzusteigen, nicht aber auf ein normales Velo.
Denn Besitzer von grösseren Autos (in der Studie SUV oder Luxusautos) unterstützten eine Veloverkehrspolitik deutlich weniger und waren weniger bereit, auf ein Auto zu verzichten.
Umgekehrt waren Menschen ohne Auto oder solche, die kleinere Autos besitzen, viel aufgeschlossener gegenüber dem Velofahren und unterstützten entsprechende politische Änderungen. In der Studie heisst es:
Die hohe Geschwindigkeit, die mit E-Bikes auf Velowegen erreicht werden kann, und der geringere Aufwand in der Nutzung eines E-Bikes würden zudem sicherstellen, dass eine gute Erreichbarkeit von Arbeitsplatz und sozialem Umfeld auch ohne Autonutzung erhalten bleibt.
Eine Wandlung der Stadt hin zu mehr Veloverkehr wäre auch mit einigen Vorteilen verbunden. Diese sind:
Mit dem letzten Punkt könnte gemäss dem Bericht auch viel Geld eingespart werden. Zwar würde die Anzahl Velounfälle in einer «E-Bike-City» steigen, allerdings würden auch Unfälle zwischen Velos (oder vergleichbare Mikromobile) und Autos abnehmen – und so das Unfallrisiko in der Stadt generell senken.
«Diese Verringerung dürfte sich auf rund 22 Millionen Franken pro Jahr belaufen, da eine sicherere Infrastruktur sowohl die Wahrscheinlichkeit (40 Prozent geringere Unfallrate) als auch die Schwere von Velounfällen (71 Prozent weniger schwere oder tödliche Unfälle) verringert», heisst es im Bericht.
Eine Berechnung für das Projekt hat ergeben, dass der Umbau von normalen Strassen zwischen 41 Millionen (kosteneffizienteste Berechnung) und 320 Millionen Franken (teuerster Entwurf) kosten würde, je nachdem, wie kosteneffizient der Umbau sein soll.
Dabei hält der Bericht aber auch fest: «Teurere Entwürfe sind möglich, die bis zu 320 Millionen Franken kosten könnten, aber die zusätzliche Sicherheit, die diese Entwürfe bieten, ist gering.»
Teuer wäre der Umbau von Kreuzungen, hier rechnet der Bericht mit Kosten von rund 256 Millionen bis zu 315 Millionen. Dies, weil Kreuzungen «den Bau von physischen Barrieren zwischen den Fahrspuren und in vielen Fällen eine Neuprogrammierung der Ampeln erfordern.»
Eine «E-Bike-City» würde aber, wie im vorigen Punkt bemerkt, auch zu Einsparungen von rund 20 Millionen Franken pro Jahr führen.
Die grössten Hürden einer «E-Bike-City» liegen einerseits in der Akzeptanz der Bevölkerung und andererseits auch in rechtlichen Fragen.
Während das linke politische Spektrum einer «E-Bike-City» gegenüber grundsätzlich positiv gestimmt ist, ist die Akzeptanz unter Autofahrerinnen und Autofahrern sowie dem rechten politischen Spektrum eher tiefer.
Den Autorinnen und Autoren ist auch klar: Ein solches Projekt ist ohne die Zustimmung der Bevölkerung nicht möglich.
Eine Umfrage aus dem Bericht ergab denn auch, dass 44 Prozent der befragten Personen einem solchen Projekt zustimmen würden, während 43,4 Prozent dagegen waren. Das Hauptargument der Kritikerinnen und Kritiker war vor allem die Restriktion des Einzelnen. Dafür waren hingegen demografische Gruppen wie Frauen, Stadtbewohnerinnen und -bewohner, die jüngere Generation und Personen mit höherer Bildung.
Eine weitere grosse Hürde ist die rechtliche Basis. Denn aktuell untersagt es die Verfassung des Kantons Zürich, die Kapazität des Strassennetzes zu reduzieren. Dieser Verfassungsartikel müsste also zuerst per Abstimmung gekippt werden.
Ein paar Illustrationen, wie eine solche Zürcher «E-Bike-City» aussehen könnte.