Während zwei Tagen geht es in der Halle 622 in Oerlikon rund. Turnschuhe in allen Farben, Formen und Grössen so weit das Auge reicht. Wie jedes Jahr versammelten sich die Kennerinnen und Kenner der Turnschuh-Welt zum Tauschen, Verkaufen und Fachsimpeln. Aus den Anlagen ertönt Hiphop, der die eine oder andere Besucherin zum Mitwippen bewegt. An den Messeständen werden einander Schuhe gereicht, über den Preis verhandelt und massenhaft Schuhschachteln eingepackt.
Doch viele kommen gar nicht nur wegen der Schuhe her, sondern für die gute Stimmung und den Austausch unter Gleichgesinnten. So erzählt beispielsweise Nick davon, wie schön es ist, mit den immer gleichen Leuten jedes Jahr den Event zu besuchen. Er und seine Freunde haben auch dieses Jahr wieder einen Stand, an welchem sie Sneakers verkaufen. Im Prinzip funktioniert der Sneakerhandel deshalb, weil viele Marken gewisse Modelle nur in stark limitierten Stückzahlen zum Verkauf anbieten.
Sneakersammler und Reseller müssen deshalb stets im Auge behalten, was sich auf dem Markt gerade tut. «Früher war es so, dass man lange vor einem Geschäft anstehen musste oder sogar am Tag vorher dort campierte, damit man sich auch sicher ein Exemplar ergattern konnte», erklärt Nick. Immer wieder kam es an solchen Release-Tagen zu Auseinandersetzungen. In Los Angeles wurde letztes Jahr eine Frau beim Anstehen für einen neuen Sneaker niedergestochen. Weil viele Läden dieses Chaos vermeiden wollen, würden die Releases heutzutage meistens einfach online stattfinden.
In Zürich geht es allem Anschein nach friedlich zu und her. Wir treffen beispielsweise auf Gabriela, die am Sonntag mit ihrem Sohn an der Sneakerness unterwegs ist. «Ich bin hier, um wieder mal meinen Style zu refreshen», sagt sie gut gelaunt. Sie hat einige Pullis, Shirts und natürlich auch Schuhe gekauft – in ihrer Einkaufstüte befinden sich zwei Paar Jordans. Über tausend Franken habe sie «mit gutem Gewissen» ausgegeben, wie sie sagt. Obwohl Gabriela meistens online bestellt, ist sie gerne an der Sneakermesse: «Ich komme her, seit es sie in Zürich gibt.»
Unter den Besuchenden gibt es aber auch viele Neulinge, die zum ersten Mal hier sind oder aufgrund ihres noch jungen Alters zumindest so aussehen, als wären sie es. Zwei von ihnen heissen Louis und Finley, sie sind 15 beziehungsweise 14 Jahre alt. Als sie gefragt werden, was sie hier so machen, antworten sie: «Eigentlich wollten wir uns bloss ein bisschen umsehen.» Weil sich Pläne aber schnell ändern können, hätten sie jetzt ein bisschen mehr ausgegeben, als geplant. Für Louis bedeutet das konkret, dass er etwa 700 Franken ausgegeben hat. Während zwei Tagen hat er sich drei Paar Schuhe und Kleider gekauft. Ganz oben auf seiner Liste standen Yeezys, die Schuhe des in Ungnade gefallenen Künstlers Kanye West.
Auch Finley hat ein wenig über die Stränge geschlagen, wie er zugibt: «Ungefähr 500 Franken habe ich ausgegeben.» Den Rest des Monats müssen sie jetzt halt mit weniger Geld auskommen, bemerken sie schulterzuckend. Louis kam aber nicht nur her, um Geld zu verprassen, sondern auch für den Austausch mit anderen Sneakerheads. In seiner Umgebung gäbe es nicht viele, die sich so für Schuhe interessieren wie er. Er sei deshalb «geflashed» davon, wie einfach man hier ins Gespräch kommen kann.
Auch Sneakersammler Nick fällt an diesem Wochenende auf, dass die Kundschaft im Durchschnitt jünger ist als noch vor einigen Jahren. «Ich sehe viele Junge, die einen grossen Teil ihres Sackgeldes für Sneakers ausgeben.» Vielleicht läge es daran, dass der Druck auf dem Pausenhof heute grösser ist, was Markenkleidung betreffe. «Ich erinnere mich einfach noch daran, dass für mich damals auch ein Dosenbach-Turnschuh reichte – heute kratzen die Schüler teilweise ihr letztes Geld für einen Sneaker zusammen, den sie sich eigentlich vielleicht gar nicht leisten könnten.»
Im Allgemeinen ist die Kaufkraft aber eher gesunken – die Inflation macht sich auch an der Sneakermesse bemerkbar. Das fällt auch Sergio Muster, einem der Gründer der Sneakerness, an diesem Wochenende auf. Mit etwa 7000 Eintritten dieses Jahr haben sich die Besucherzahlen wieder so weit erholt, dass sie auf dem Stand von vor der Pandemie angekommen sind. Das Kaufverhalten hat sich gemäss Sergio jedoch gewandelt: «Man kommt nicht her und kauft sich jeden Schuh, der einem gefällt. Viel eher hat man einen besonderen Sneaker im Kopf, den man kaufen möchte.» Man merke aber schon, dass das Geld bei den Besuchern nicht mehr so locker sitzt. Davon lässt er sich aber nicht beirren. «Einfach sparen und nächstes Jahr wieder kommen!», sagt er mit einem Augenzwinkern.
Auch Levin hat dieses Wochenende einen Stand an der Sneakerness. Er studiert und verdient sein Geld nebenbei mit seiner eigenen Webseite, auf welcher er Turnschuhe anbietet. Pro Monat kommt er so laut eigenen Angaben auf einen Lohn im 5-stelligen Bereich. Dieses Jahr macht Levin gemeinsam mit seinen Freunden vom Messestand 20'000 bis 23'000 Franken Umsatz – letztes Jahr waren die Zahlen noch besser.
Momentan habe der 23-Jährige etwa 1'000 Paar Schuhe auf Lager – für die Sneakerness packt er jeweils nur die besten ein. «Nach sieben Jahren in der Szene weiss man langsam, was gut ankommt bei den Besuchern.» Der dieses Jahr sehr beliebte «Jordan 4» kostet bei ihm um die 450 Franken. Seine Gewinnmarge pro Paar beträgt 100 Franken. Levin hat die Erfahrung gemacht, dass er weniger über den Preis verhandeln muss, wenn er diesen direkt am Schuh anschreibt. «Wenn man den Preis einfach mündlich mitteilt, versuchen die Käufer noch eher, diesen herunterzuhandeln.»
Und was liegt in der Sneaker-Szene gerade so im Trend? Laut dem Sneakerness-Gründer bewegt sich dieser dieses Jahr wieder in Richtung Performance, also hin zu richtigen Laufschuhen wie Asics und New Balance. «Es geht wieder mehr darum, dass ein Schuh bequem ist.» Abgesehen davon scheinen auch viele Nikes im Kult-Modell Dunk über den Tresen zu gehen. Für den Sneaker-Experten Nick sind es ganz klar Jordans, die seit einigen Jahren ein regelrechtes Comeback feiern würden – passend zu weit geschnittenen Jeans im 90s-Look.
Und er verdient damit auch noch einen 5-stelligen Betrag im Monat?
Ich muss meine Berufswahl wohl noch mal überdenken...