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Analyse

Es bröckelt – den Bayern droht die ungewollte Zeitenwende

Nach Lewandowskis Abgang ist Thomas Müller das Bayern-Gesicht Nummer 1.
Nach Lewandowskis Abgang ist Thomas Müller das Bayern-Gesicht Nummer 1.bild: imago-imges.de
Analyse

Es bröckelt – den Bayern droht die ungewollte Zeitenwende

Robert Lewandowski will unbedingt weg, Sportchef Hasan Salihamidzic steht in der Kritik und wird von den eigenen Fans ausgepfiffen. Bayern München wirkt wie eine riesige Baustelle – ein nicht gewollter Umbruch steht bevor.
01.06.2022, 22:01
patrick mayer / t-online
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Ein Artikel von
t-online

David Alaba, Niklas Süle und Robert Lewandowski hatten in München etwas gemeinsam: Sie gingen alle drei zum selben Friseur im Glockenbachviertel. Er ist einer der besten Freunde Alabas. In dem unscheinbaren Hinterhof liegt nebenan ein Klamottenladen. Die Gründer sind Kumpels von Bastian Schweinsteiger. Der Weltmeister, der wenige Strassen weiter am Gärtnerplatz wohnte und gerne über den Viktualienmarkt flanierte, stellte ihnen Lewandowski vor. Hier kam der Bundesliga-Torschützenkönige gerne her auf einen kleinen Plausch, während Alaba beim Italiener schräg gegenüber einen Espresso trank.

Ein Strassenzug im Münchner Glockenbachviertel.
Ein Strassenzug im Münchner Glockenbachviertel.bild: imago-images.de

Abseits aller Touristen. Doch: Der Oberbayer Schweinsteiger ist in Fussballer-Rente. Alaba spielt seit einem Jahr in Madrid. Süle plant seinen Umzug nach Dortmund. Dort, wo Mats Hummels, der gebürtige Münchner, bereits spielt. Und auch Lewandowski will weg. Es ist eine bayrische Zeitenwende, die den deutschen Rekordmeister vollumfänglich ergriffen hat. Wohin soll das führen?

epa09988282 Polish national soccer team player Robert Lewandowski attends a training session in Wroclaw, Poland, 31 May 2022. Poland will face Wales in their UEFA Nations League soccer match on 01 Jun ...
Lewandowski spielt heute mit Polen in der Nations League gegen Wales. Bild: keystone

Sätze wie ein Donnerhall brachten diese knifflige Frage an die meist glattgebügelte Oberfläche. «Meine Geschichte beim FC Bayern ist vorbei. Nach allem, was in den letzten Monaten passiert ist, kann ich mir keine Zusammenarbeit mehr vorstellen», sagte Lewandowski und führte aus: «Ich habe gemerkt, dass ein Wechsel das Beste für beide Seiten ist. Bayern wird mich nicht davon abhalten.» Wie schwer diese Worte am Selbstverständnis der Münchner rütteln müssen, verdeutliche der frühere Lewandowski-Berater.

Noch kein neuer Topstar

«Diese Sätze sind heftig. Sein Herz ist längst nicht mehr bei Bayern», sagte Cezary Kucharski zu «Sport1». Dabei soll der FC Bayern nach Gusto von Vereinspatron Uli Hoeness immer eine Herzensangelegenheit sein. Doch: Von der Ära Hoeness/Rummenigge ist nicht mehr viel übrig. Das hat mit den neuen Chefs zu tun, Vorstandsboss Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidzic. Was auffällt: Nicht mehr die Bayern bestimmt, welche Spieler bleiben, sondern die Spieler entscheiden.

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Der Übergang von der Ära Rummenigge/Hoeness zur Ära Kahn/Salihamidzic verläuft doch nicht so reibungslos wie erhofft.Bild: EPA/EPA

Gleichzeitig beklagt manch einer öffentlich mangelnde Wertschätzung. Wie im Fall Süle durch dessen Berater Volker Struth. Oder nun Lewandowski. «Der Grundstein für eine der erfolgreichsten Dekaden der Vereinsgeschichte wurde im Moment einer der bittersten Niederlagen gelegt. 2012, am 19. Mai, das ‹Finale dahoam› in der Champions League wurde für uns zum Drama», schreibt Ex-Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge zeitgleich in einem Gastbeitrag für die «Sport Bild». Es sollte eine unendliche Geschichte werden, geprägt durch neue Gesichter.

Aber: Endet sie bald abrupt? Weil in dieser Konstellation keine Titel mehr möglich sind? Nachdem die Bayern bereits wiederholt in DFB-Pokal und Champions League ihre Ziele krachend verfehlt haben. Borussia Dortmund wähnt offensichtlich die einmalige Chance. So hat der BVB eine atemraubende Transferoffensive gestartet, während Salihamidzic bisher bis auf Noussair Mazraoui (Ajax Amsterdam) keinen Neuzugang präsentieren konnte. Um absolute Topstars, die der Klub für die internationale Vermarktung dringend benötigt, warben die Bayern zuletzt vergeblich.

Sadio Mané soll der nächste Topstar bei den Bayern werden.
Sadio Mané soll der nächste Topstar bei den Bayern werden.bild: imago-images.de

Salihamidzic bei den Fans in Verruf

Damit nicht genug: Dem Vernehmen nach hat die Verpflichtung von Lucas Hernandez im Sommer 2019 das Gehaltsgefüge heftig durcheinandergewirbelt. Serge Gnabry pokert seit Wochen um einen neuen Vertrag. Selbst Abgang Corentin Tolisso soll laut «Bild» elf statt bisher sechs oder sieben Millionen Euro gefordert haben. Ein Spieler, der fast nur durch Verletzungen auffiel. Sein französischer Landsmann Hernandez ist indes kein Leader, sondern immer wieder eine Schwachstelle in der Defensive. Trainer Julian Nagelsmann kritisierte wiederholte mangelhafte Kommunikation durch den vermeintlichen Abwehrchef. Vergeblich.

Der Hernandez-Transfer würde die Bayern wohl so nicht mehr machen.
Der Hernandez-Transfer würde die Bayern wohl so nicht mehr machen.bild: imago-images.de

Hat der FC Bayern etwa seine Kabine nicht mehr im Griff? Dortmund schaut aus der Ferne genau zu. «Wir hatten das Gefühl, dass wir wieder mehr deutsche Nationalspieler haben wollen. Ich hatte Bundestrainer Hansi Flick das angekündigt», erklärte BVB-Boss Hans-Joachim Watzke in bester Uli-Hoeness-Manier. Jener Ex-Bayern-Coach Flick begründete seinen Abgang im Sommer 2021 nach dem Sextuple durch Differenzen mit dem Sportchef. Bei vielen Fans, die ihn früher als «Brazzo» so liebten, hat der 45-jährige Bosnier durch etliche Fehlentscheidungen Kredit verspielt. Sie wundern sich, dass der 20-jährige Karim Adeyemi aus Salzburg nach Dortmund wechselt. Und nicht in seine Heimatstadt, wo seine Eltern südlich in Unterhaching leben.

Der Mentor des Stürmers und «Hachinger» Vereinspräsident Manfred Schwabl ist ein guter Freund von Hoeness, zusammen spielen sie am Tegernsee regelmässig das traditionelle, deutsche Kartenspiel Schafkopf. Wie konnte Adeyemi also den Bayern nur entgehen? Genauso wie Deutschlands aktuell bester Abwehrspieler Nico Schlotterbeck, der sich ebenfalls dem BVB anschliesst? Weil sie sich so wundern, pfiffen viele Fans Salihamidzic bei der Meisterfeier auf dem Marienplatz aus. Bei derselben, wenig euphorischen Veranstaltung ging Hoeness in die Offensive.

«Er ist nicht alleine verantwortlich für die Transferpolitik», sagte der 70-Jährige über seinen Schützling, den er einst in der Geschäftsstelle installierte. Er forderte, «dass die Spieler mehr unter Druck gesetzt werden müssen». Stattdessen weigerte sich Süle am letzten Spieltag, mit nach Wolfsburg zu fahren. Hoeness: «Ich fand diese Aktion katastrophal.»

Und Kahn? Der schwieg. Hinter vorgehaltener Hand wundern sich Klub-Mitarbeiter, warum der einstige «Titan» nicht durchgreift. Mittlerweile soll es laut «Sport Bild» stattdessen auch zwischen Salihamidzic und Trainer Nagelsmann inhaltlich krachen. Während Torgarant Lewandowski unbedingt nach Spanien zum FC Barcelona möchte, droht der Coach zum Opfer der Grossbaustellen zu werden.

Ausgerechnet der erste Trainer seit Franz Beckenbauer, der seine Wurzeln in Bayern hat. Nagelsmann, dessen Frau aus Grünwald stammt und der fussballerisch bei Wacker München gross wurde. Mehr Identität geht kaum. Er wollte eine Ära prägen. In diesen Tagen wirkt es aber, als liege es einzig am 34-Jährigen und den verbliebenen Identifikationsfiguren Manuel Neuer (36) sowie Thomas Müller (32), die bayerische Zeitenwende noch abzuwenden. Irgendwie.

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Bayern und? Diese Klubs wurden schon deutscher Meister
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Bayern und? Diese Klubs wurden schon deutscher Meister
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quelle: keystone / anna szilagyi
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8 Kommentare
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DerLauch
01.06.2022 22:55registriert Januar 2019
Denke/hoffe, dasS Philipp Lahm nach der EM 2024 in irgend einer Funktion im Bayern Vorstand integriert wird. Zudem währe mit Max Eberl ein symphatischer Bayer Sportchef auf dem Markt sofern er sich wieder fit fühlt.
Denke das Hoeness und Rumenigge diesem Treiben nicht mehr lange zuschauen
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