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FC Bayern: Deshalb ist Thomas Tuchel als Trainer in München gescheitert

FOTOMONTAGE: FC Bayern Muenchen trennt sich nach Ende der Saison von Thomas Tuchel. ARCHIVFOTO Trainer Thomas TUCHEL M Fussball 1. Bundesliga, 22.Spieltag, VfL Bochum BO - FC Bayern Muenchen M, am 18. ...
Spätestens im Sommer werden Thomas Tuchel und Bayern München getrennte Wege gehen.Bild: www.imago-images.de
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Thomas Tuchel schien perfekt zu Bayern zu passen – weshalb er trotzdem scheiterte

Champions-League-Sieger, Meister, Cupsieger und Welttrainer: Trotz seiner hervorragenden Vita ist Thomas Tuchel beim FC Bayern gescheitert. Das sind die Gründe.
21.02.2024, 17:37
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Im Vergleich zu seinem Einstand bei den Bayern verlief die Ankündigung der Trennung fast ruhig. Eine einfache Mitteilung auf der Vereins-Website: «FC Bayern und Thomas Tuchel beenden Zusammenarbeit im Sommer.» Der Vorstandsvorsitzende Jan-Christian Dreesen erklärte, dass die Münchner zur Saison 2024/25 eine sportliche Neuausrichtung mit einem neuen Trainer vornehmen wollen, während Tuchel versprach, «weiter alles für den maximalen Erfolg zu geben».

Der Abgang folgt nicht einmal elf Monate, nachdem Tuchel in München von Julian Nagelsmann übernommen hat. Die Umstände der Entlassung des damals 35-Jährigen sorgten bei vielen für Unverständnis, spielte der Rekordmeister doch noch in allen drei Wettbewerben um den Titel. Immerhin schien Nachfolger Tuchel der perfekte Mann für den FC Bayern zu sein.

Dies liegt nicht nur am ballbesitzorientierten und anpassungsfähigen System von Tuchel, der in Mainz, Dortmund, Paris und bei Chelsea mit den unterschiedlichsten Spielern erfolgreich zusammengearbeitet hat. Tuchel kommt ausserdem aus dem bayrischen Teil des Schwabenlands und trat den Bayern-Job als gestandener Trainer an, der schon zuvor grosse Erfolge gefeiert hat und die Situation kennt, für einen grossen Klub zu arbeiten, von dem Titel erwartet werden. Das unterscheidet ihn beispielsweise von Vorgänger Nagelsmann, dessen jugendliches Auftreten bei den Verantwortlichen in München nicht immer gut ankam – Stichwort Longboard.

Bei einer Niederlage verliebte er sich

Und doch fanden Thomas Tuchel und die Bayern nie so richtig zusammen. Obwohl der damalige Vorstandsvorsitzende Oliver Kahn den neuen Trainer bei dessen Antritts-Pressekonferenz für seine «überragende Qualitäten» lobte. Obwohl er der absolute Wunschkandidat der Münchner war. Und obwohl Tuchel Bayern bei seiner Premiere an der Seitenlinie zum Sieg gegen Tabellenführer Borussia Dortmund führte und zehn Tage später davon sprach, dass er sich in seine Mannschaft «schockverliebt» habe. Bei einer 0:3-Niederlage gegen Manchester City wohlgemerkt.

Nach knapp elf Monaten mit einer – vor allem aufgrund des Unvermögens des BVB – gewonnenen Meisterschaft sowie einer hervorragenden Hinrunde mit nur zwei Niederlagen in allen Wettbewerben ist die zu Beginn perfekt zu passen scheinende Ehe zwischen Bayern München und Thomas Tuchel gescheitert. Weil der Verein erstmals seit Mai 2015 drei Spiele in Serie verloren hat, weil der Rückstand in der Bundesliga auf Leader Leverkusen bereits acht Punkte beträgt und weil im Achtelfinal der Champions League gegen Lazio Rom das frühe Aus droht.

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Trotz Krise gewann Thomas Tuchel mit den Bayern noch die Meisterschaft.Bild: keystone

Wie konnte es dazu kommen? Für das gemeinsame Scheitern Tuchels und des FCB gibt es mehrere Gründe. Einerseits stand die Amtszeit des FIFA-Welttrainers des Jahres 2021 in der bayrischen Landeshauptstadt unter keinem guten Stern. Die Entlassung von Nagelsmann kam nicht bei allen Spielern gut an. Zwar hatte der jetzige Bundestrainer die Unterstützung einiger Führungsspieler verloren, doch war die Meinung im Kader gespalten. Joshua Kimmich und Leon Goretzka beispielsweise hatten für den Trainerwechsel wenig Verständnis. Sie konnten sich nie so richtig mit Tuchel arrangieren – was der Stimmung in der Kabine wenig zuträglich war.

Das Standing Tuchels im Klub litt zusätzlich, als Hasan Salihamidzic und Oliver Kahn noch am Tag des Meisterschaftsfinales entlassen wurden. Ehrenpräsident Uli Hoeness, der sich vorübergehend wieder stärker in die Geschicke an der Säbener Strasse eingemischt hatte, erklärte kurz danach, dass die Entlassung Nagelsmanns ein Alleingang des ehemaligen Sportdirektor- und Vorstandsvorsitzenden-Duos gewesen sei. Hoeness bezeichnete den Entscheid ausserdem als «unklug». Kurz nach der Verpflichtung Tuchels hatte Hoeness diesen noch als Ideallösung bezeichnet.

Die berechtigte Kritik an der Transferpolitik

Dass Tuchel in Salihamidzic und Kahn seine grössten Unterstützer im Klub verlor, ist schwierig genug. Wenn dann die graue Eminenz des erfolgreichsten deutschen Fussballvereins auch noch durchblicken lässt, dass er Nagelsmann lieber im Amt behalten hätte, gleicht der Trainerstuhl dem Sattel eines mechanischen Rodeo-Bullen zu später Stunde. Und es war nicht das einzige Mal, dass sich Hoeness öffentlich kritisch über Tuchel äusserte. Allgemein schien es zuweilen, als würden Trainer und Vereinsführung gegeneinander arbeiten.

epa10971279 Bayern Munich honorary president Uli Hoeness attends during the FC Bayern Munich's annual general meeting in Munich, Germany, 12 November 2023. EPA/ANNA SZILAGYI
Uli Hoeness gefielen einige Aussagen von Thomas Tuchel nicht.Bild: keystone

So sprach Tuchel wiederholt negativ über die Münchner Transferpolitik. Unter anderem kritisierte er die mangelnde Breite des Kaders, die gerade während der Verletzungswelle im September deutlich wurde, als unter anderem Mittelfeldspieler Leon Goretzka und Aussenverteidiger Noussair Mazraoui in der Innenverteidigung aushelfen mussten. Am meisten störte sich Tuchel jedoch daran, dass keine sogenannte «Holding 6» verpflichtet wurde. Für die Rolle des Sechsers, der seine Position hält und seine Qualitäten vor allem in der Defensive hat, hatte Tuchel Fulhams João Palhinha auserkoren.

Doch der Klub wollte ihm diesen Wunsch zunächst nicht auch noch erfüllen, nachdem bereits Harry Kane (95 Millionen Euro Ablöse) und Kim Min-jae (50 Mio. Euro) verpflichtet worden waren – obwohl die Bayern im Sommer ein Transferplus von über 23 Millionen Euro erwirtschaftet hatten. Erst kurz vor dem Ende des Transferfensters erklärten sich die Verantwortlichen doch dazu bereit, für Palhinha die Schatulle zu öffnen. Nur war es dann zu spät – Fulham fand so kurzfristig keinen Ersatz mehr und erteilte dem Wechsel eine Absage.

Derzeit ist der Portugiese der Spieler in den Top-5-Ligen, der in der laufenden Saison die meisten Bälle eroberte. Damit hätte Palhinha Bayern wohl die benötigte Stabilität im Zentrum des Felds gebracht, die der Klub zu häufig vermissen lässt. Tuchel behielt mit seiner Kritik also Recht, nur machte er sich mit dem Umgang damit vieles kaputt. Auch mit Joshua Kimmich, der sich eigentlich gerne in dieser Rolle gesehen hätte.

Tuchel sagte «wir», meinte aber nur die Spieler

In der Sommerpause kam es zu einem öffentlichen Schlagabtausch, währenddessen sich Kimmich und Tuchel via Medien gegenseitig erklärten, weshalb der 29-Jährige nun eine Holding 6 sei, oder wieso eben nicht. Das Ende vom Lied: Das Verhältnis des Trainers zu einem der Führungsspieler, dem immer wieder nachgesagt wird, ein «Stinkstiefel» zu sein, war zerrüttet und konnte nie mehr richtig gekittet werden.

Auch in anderen Teilen der Mannschaft dürfte nicht besonders gut angekommen sein, dass sich Tuchel aus seiner öffentlichen Kritik oftmals rausnahm. Nach schwachen Spielen seines Teams sagte er beispielsweise: «Ich weiss nicht, wie so etwas passieren kann.» (1:3 gegen Leipzig im Mai 2023) Oder: «Ich weiss nicht, wieso wir so den Faden verloren haben.» (0:1 bei Lazio Rom im Februar 2024) Dass er in der 1. Person Plural spricht, ist lediglich ein Alibi. Er steht ja nicht auf dem Platz, und am System scheinen die Probleme seiner Meinung nach nicht zu liegen.

Damit schwächte er aber auch seine Spieler, die ja der Logik Tuchels folgend einem funktionierenden System zum Trotz nicht zum Erfolg kommen. Dieses System bekam in den letzten Spielen aber Risse. Der in der Hinrunde so treffsichere Harry Kane war kaum noch ins Spiel eingebunden, in Leverkusen wurde Tuchel von seinem Gegenüber Xabi Alonso in taktischer Hinsicht überlistet. Zuletzt schien Tuchel sein Team zudem nicht mehr richtig zu erreichen. Für zusätzliche Probleme sorgte da, dass Tuchel Spieler wie Sacha Boey oder Dayot Upamecano in schwierige Situationen brachte.

Boey musste in seinem ersten Spiel nach seinem Wechsel von Galatasaray in die Bundesliga auf der ungewohnten linken Seite verteidigen. Der gelernte Rechtsverteidiger war hauptverantwortlich beim ersten Gegentor gegen Leverkusen. Upamecano musste nach seinem verschuldeten Penalty und der Gelb-Roten Karte in Rom dann gegen Bochum auf der rechten Abwehrseite ran, weil sich Noussair Mazraoui während des Spiels verletzt hatte. Der Franzose sah erneut Gelb-Rot, verschuldete wieder einen folgenschweren Penalty. Gerade Upamecano merkte man das mangelnde Selbstvertrauen an.

Die zweite Gelbe Karte von Dayot Upamecano in Bochum ab 7:02 Minuten.Video: YouTube/SPORT1

Gegenseitiges Interesse bei Wunschlösung Alonso

Es sind Tatsachen wie diese, die dazu geführt haben, dass Wunschkandidat Tuchel bei den Bayern nicht funktioniert hat. Wichtig ist jedoch, dass beide Seiten dies rechtzeitig bemerkt und sich eingestanden haben. So kann die Trennung für beide Früchte tragen. Tuchel wird auch bei einer zukünftigen Anstellung erfolgreich sein; dass er ein hervorragender Trainer ist, hat er nicht zuletzt beim Champions-League-Triumph mit Chelsea bewiesen.

Und die Münchner können nun einige Fehler, auch im Kader, korrigieren. Bayern München hat nämlich mehr – und möglicherweise auch grössere – Probleme als nur den Trainer. Letzterer ist einfach der am einfachsten zu ersetzende. Die vom Vorstandsvorsitzenden Dreesen angepeilte «sportliche Neuausrichtung» ist dringend nötig. Denn nur so kann ein nächster Trainer in Ruhe arbeiten und erfolgreich sein.

Dabei soll es sich dem Vernehmen nach um Xabi Alonso handeln. Der Leverkusen-Coach ist der Wunschkandidat der Bayern und soll selbst an einem Engagement bei seinem Ex-Verein interessiert sein. Der Spanier ist taktisch ebenso versiert wie Tuchel und glänzt auch auf zwischenmenschlicher Ebene. Genau das brauchen die angeschlagenen Münchner jetzt.

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29 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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SF_49ers
21.02.2024 19:50registriert Mai 2020
Tuchel ist dünnhäutig und nicht kritikfähig. Des öfteren sucht er sie schuld bei allen anderen als sich selber. Welttrainer ist eher hochgegriffen
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Only G
21.02.2024 18:09registriert Dezember 2016
Flick, Nagelsmann, Tuchel…. Wie viele wohlt ihr noch verbraten? Natürlich kann es jetzt nur noch Zidane oder Klopp sein… was für ein 🤡-Verein
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