Elf Spiele, neun Siege, ein Unentschieden, eine Niederlage und ein Torverhältnis von 47:8 – die ersten drei Monate von Julian Nagelsmann als Trainer des FC Bayern München lesen sich auf den ersten Blick überragend. Allein in der Bundesliga holte er aus den ersten sechs Spielen 16 Zähler – mehr schafften nur Ottmar Hitzfeld (1998) und Otto Rehhagel (1995).
Doch trotz begeisternder Auftritte wie beim 3:0-Sieg in Barcelona oder dem 4:1-Erfolg bei Nagelsmanns Ex-Klub RB Leipzig, läuft bei den Münchnern noch nicht alles rund.
Watson zeigt, was unter dem 34-Jährigen bisher schon viel besser läuft als unter Vorgänger Hansi Flick, aber auch, wo die Münchner ungewohnte Schwächen zeigen, die im Laufe der Saison Probleme bereiten könnten.
Unter Hansi Flick gehörte es fast schon zum guten Ton, dass der FC Bayern ein Gegentor kassiert oder sogar einen Rückstand aufholen muss. Unglaubliche vierzehnmal gerieten die Münchner allein in der vergangenen Saison unter Flick ins Hintertreffen. Auch wenn davon zehnmal mindestens noch eine Niederlage verhindert werden konnte, kosteten die Aufholjagden jede Menge Kraft. So fehlten am Ende der Saison wichtige Kraftreserven.
Zwar blieben die Münchner auch in dieser Saison in der Liga nur bei den Heimsiegen gegen Hertha (5:0) und den VfL Bochum (7:0) ohne Gegentor, doch die Mannschaft wirkt defensiv gefestigter. Und vor allem ist sie bei Ballverlusten am gegnerischen Strafraum nicht mehr so anfällig für Kontertore.
Das liegt vor allem an einer etwas anderen Positionierung, die Nagelsmann seinen Spielern auferlegt hat. Bei gegnerischem Ballbesitz bilden immer die zwei Innenverteidiger plus einer der beiden Aussenverteidiger die Restverteidigung auf Höhe der Mittellinie.
Der andere Aussenverteidiger spielt hingegen je nach Situation fast als Aussen-Angreifer, um sich in Angriffssituationen einzuschalten und bei Ballverlusten seine Mitspieler im Gegenpressing zu unterstützen. «Jetzt können wir wieder zu Null spielen, was die Basis für erfolgreichen Fussball ist», sagte auch Vorstandsboss Oliver Kahn.
Während Hansi Flick immer wieder die mangelnde Breite im Kader monierte und nur ganz selten rotierte, machte Julian Nagelsmann bereits vor der Saison klar, dass er um die finanziellen Schwierigkeiten während der Corona-Pandemie wisse.
Dennoch holten die Bayern mit Dayot Upamecano und Marcel Sabitzer zwei Spieler, die der Coach bereits aus Leipzig kennt, für insgesamt 57.5 Millionen Euro. Hinzu kam Omar Richards ablösefrei aus Reading.
Verteidiger Upamecano spielte abgesehen von der Partie gegen Bochum immer und zeigte dabei gute und sehr gute Leistungen. Doch der 22-Jährige ist noch nicht so konstant, um direkt wie in Leipzig zum Abwehrboss aufzusteigen. Am 1. Spieltag gegen Gladbach und bei der 1:2-Niederlage gegen Frankfurt zeigte der französische Nationalspieler so einige Wackler.
«Upa hat viele gute Spiele gemacht, heute mal ein bisschen schwächeres. Das passiert», nahm Nagelsmann seinen Verteidiger nach dem Spiel aber in Schutz.
Etwas anders sieht es da schon bei Marcel Sabitzer aus, der unter Nagelsmann in Leipzig Kapitän war und kurz vor Ende der Transferphase nach München kam. Der Österreicher durfte noch nie länger als 30 Minuten spielen und machte dabei auch nicht mit guten Aktionen auf sich aufmerksam.
«Er wird sich aber rankämpfen und wird früher oder später seine Startelfeinsätze bekommen», machte Nagelsmann auf einer Pressekonferenz deutlich. «Sabitzer hat die Woche sehr gut trainiert, aber hinter dem Stammpersonal muss er sich noch anstellen.»
Weiter hinten anstellen müssen sich auch Sommerneuzugang Omar Richards und Bouna Sarr, den die Münchner bereits vergangenen Sommer holten. Beide sind bisher nicht die erhoffte Verstärkung und müssen sich im teaminternen Ranking um Spielzeit auch hinter Nachwuchstalent Josip Stanisic anstellen.
Insgesamt rotierte Nagelsmann bisher sehr wenig und vertraut abgesehen von ein bis zwei Änderungen auf die gleiche Startelf, nutzt im Spiel aber häufig seine fünf Wechselmöglichkeiten. Doch gerade nach der Länderspielpause, wenn für die Bayern zahlreiche englische Wochen mit DFB-Pokal und Champions League anstehen, muss der Coach seine Startelf öfter ändern, um die Belastung nicht zu hoch werden zu lassen. Einfache Konzentrationsfehler aufgrund von Müdigkeit dürfen sich die Stars in der heissen Saisonphase im April und Mai nicht erlauben.
Mit einem Jahr Verspätung zeigt nun auch Leroy Sané, warum die Münchner vor einem Jahr über 40 Millionen Euro für ihn an Manchester City überwiesen.
Unter Flick, während der EM unter Ex-Bundestrainer Jogi Löw und selbst zu Nagelsmanns Anfangszeit kam der Offensivstar über die rechte Angriffsseite und zeigte nur selten sein Potenzial. Er blieb oft am Gegenspieler hängen, traf falsche Entscheidungen in Sachen Dribbling oder Passspiel und hatte keine gute Körpersprache.
Das sorgte sogar dafür, dass ihn die Bayern-Fans Ende August auspfiffen. Doch mittlerweile glänzt er mit Toren, Vorlagen und tollen Dribblings und wird mit lautstarken «Leroy, Leroy»-Sprechchören in der Münchner Arena gefeiert.
«Wir haben Leroy nicht speziell behandelt, auch nach den Pfiffen gegen Köln nicht. Ich glaube, man tut gut daran, ihn einfach machen zu lassen, zu versuchen, ihm die Idee zu vermitteln, dass er bei mir ein bisschen zentraler spielt, als es vergangenes Jahr der Fall war» erklärte Nagelsmann.
Einen ähnlichen Aufschwung erlebt auch Niklas Süle, über dessen Abgang den ganzen Sommer spekuliert wurde.
Süle, der unter Nagelsmann in Hoffenheim zum Bundesliga-Spieler wurde, absolvierte in dieser Saison 85 Prozent aller Spielminuten und überzeugte nicht nur in der Innenverteidigung, sondern auch als rechter Verteidiger.
«Wenn du als Trainer in einem Spieler sehr viel Potenzial siehst, dann willst du als Trainer auch alles dafür tun, dass er es auf den Platz bringt», sagte Nagelsmann, der Süle noch unglaubliches Potenzial bescheinigte. Zudem solle er noch mehr seine Offensivqualitäten einbringen.
Unklar ist aber noch seine sportliche Zukunft, denn bisher gibt es noch keine konkreten Gespräche über eine Verlängerung über den Sommer hinaus.