Das Tauziehen hat ein Ende. Nach langem Hin und Her wechselt Harry Kane zum FC Bayern. Dies nachdem die langwierigen Verhandlungen zwischen dem deutschen Rekordmeister und Tottenham Hotspur doch noch zu einem erfolgreichen Abschluss gekommen sind.
Bayern München überweist mehr als 100 Millionen Euro nach London, was die Spurs-Verantwortlichen um CEO Daniel Levy für akzeptabel halten. Der 30-jährige Stürmer unterschrieb beim Bundesligisten einen Vertrag bis 2027.
Für das deutsche Oberhaus ist es ein gutes Zeichen, dass sich ein Weltstar im besten Fussballer-Alter dazu entscheidet, in die Bundesliga zu wechseln. Gerade weil ein Wechsel eines der grössten Stars der Premier League und der englischen Nationalmannschaft ins Ausland höchst selten ist – und wenn, dann nur nach Madrid oder Barcelona.
First run out. Feeling good. Looking forward to the game later 🙌 pic.twitter.com/FgY8ZN08gH
— Harry Kane (@HKane) August 12, 2023
Aber auch die beiden Klubs können den Deal als Gewinn verkaufen: Tottenham verhindert einen ablösefreien Abgang des Eigengewächses nach dem im nächsten Sommer auslaufenden Vertrag und die Bayern haben mit einem Jahr Verspätung doch noch einen echten Nachfolger für Robert Lewandowski gefunden.
Nur: Während es für die Spurs nun darum geht, ein neues Team aufzubauen, das in Zukunft wieder um die Champions-League-Plätze spielen kann, wollen die Bayern dank ihres neuen Torgaranten sofort wieder angreifen – und zwar in allen drei Wettbewerben.
🎬 Action! FC Bayern proudly presents 𝐇𝐀𝐑𝐑𝐘 𝐊𝐀𝐍𝐄. #ServusHarry pic.twitter.com/93IWBU7TOx
— FC Bayern München (@FCBayern) August 12, 2023
Kane soll dabei eine zentrale Rolle einnehmen. Nach dem misslungenen Experiment mit der Verpflichtung von Sadio Mané, der den nach Barcelona abgewanderten Lewandowski vergessen machen sollte, war das oberste Ziel für Bayern in diesem Sommer die Verpflichtung eines echten Neuners. Dieses wurde nun erfüllt. Doch was bringt der neue Rekordeinkauf den Bayern wirklich?
Harry Kane ist ein echter Tor-Garant, der nicht viele Chancen braucht, um sich in die Torschützenliste einzutragen. Bis auf eine Ausnahme hat Kane seinen Expected-Goal-Wert (xG) in den letzten sechs Jahren in der Premier League immer übertroffen – oftmals gar deutlich. Im letzten Jahr erzielte er 30 der 66 Tore Tottenhams, gemäss xG-Wert wären nur 21,5 zu erwarten gewesen.
Ausserdem ähnelt Kane vom Spielertyp seinem polnischen Vorgänger im Bayern-Sturm. Gemäss fbref.com kommt Lewandowski dem Engländer von allen Stürmern gar am nächsten. Dies liegt daran, dass die beiden zwar hervorragende Strafraum-Präsenzen sind, aber sich auch mal zurückfallen lassen und Pässe auf die schnellen Flügelspieler spielen können. In dieser Hinsicht ist Kane gar noch versierter als Lewandowski. Auch in Sachen Kopfballstärke steht der 1,88-m-Mann seinem Vorgänger mittlerweile in nichts mehr nach. Elf Treffer erzielte Kane in der letzten Saison mit dem Kopf.
Bayerns Neuzugang hat also alle Voraussetzungen, um der nächste erfolgreiche Stürmer in einer langen Liste beim 33-fachen Deutschen Meister zu werden. Und dank Kane stösst der FCB auch in der Champions League sofort wieder in die Sphäre der absoluten Favoriten vor. Aber heisst das jetzt, dass Bayern wie in der Ära Lewandowksi durch die Bundesliga spaziert und bereits im April die Schale in die Höhe stemmen kann?
Nicht unbedingt. Die anderen Schwachstellen verschwinden durch die Verpflichtung eines Weltklasse-Stürmers nicht einfach. Die Mittelfeldspieler Joshua Kimmich und Leon Goretzka machten in der letzten Saison nicht immer einen gefestigten Eindruck, der 20-jährige Jamal Musiala war für sein Alter gewöhnlichen Leistungsschwankungen ausgesetzt und konnte in der Rückrunde nicht ganz an die überragenden Leistungen der Hinrunde anknüpfen, und selbst Thomas Müller kann dem Alter nicht ewig trotzen.
Dass die Probleme im letzten Jahr nicht nur am fehlenden Mittelstürmer hingen, zeigt die Statistik der Expected Goals. Es wurden auch weniger Chancen herausgespielt als gewöhnlich. Mit einem xG-Wert von 75,0 in der letzten Bundesligasaison war Bayern deutlich schlechter als in der Vorsaison (89,0) und wies gar den schlechtesten Wert seit Erfassen der Daten von fbref.com in der Saison 2017/18 auf.
Dazu kommen die durchaus talentierten Flügelspieler Leroy Sané, Serge Gnabry und Kingsley Coman, denen es aber ebenfalls an Konstanz mangelt. Sie dürften jedoch von der Verpflichtung von Kane profitieren, da er anders als Mané kaum auf die Flügel ausweichen, sondern den dribbelstarken Offensivkräften vielmehr Räume öffnen wird. Dennoch muss sich die neue Offensivabteilung erst finden, wozu bis zum Saisonstart kaum Zeit ist. Früher oder später dürfte das Zusammenspiel aber funktionieren.
In der Defensive hingegen ist Bayern stark davon abhängig, dass es von Verletzungen verschont bleibt und dass Neuzugang Kim Min-jae sich in der Bundesliga von Anfang an zurechtfindet. Denn Lucas Hernandez hat den Verein bereits verlassen, der flexibel einsetzbare Benjamin Pavard steht ebenfalls vor dem Absprung. Damit bleiben in München mit Kim, Matthijs de Ligt und Dayot Upamecano nur drei Innenverteidiger übrig. Und auch im Tor herrscht angesichts der Verletzung von Manuel Neuer grosse Unsicherheit. Kurz vor Saisonstart soll noch Kepa von Chelsea geholt werden, um für den Fall vorzubeugen, dass der 37-Jährige doch nicht rechtzeitig zum Saisonstart fit wird.
Ein wichtiger Faktor wird zudem sein, wie ruhig Trainer Thomas Tuchel und sein Team arbeiten können. Nach dem Last-Minute-Gewinn der Meisterschaft im Mai wurden Sportchef Hasan Salihamidzic und Präsident Oliver Kahn entlassen. Zwischen letzterem und den alten, neuen Verantwortlichen Uli Hoeness und Karl-Heinz Rummenigge entstand eine Schlammschlacht. Ohnehin entwickelte sich der FC Bayern in der letzten Saison wieder stärker hin zum Ruf des FC Hollywood, je ruhiger es in dieser Saison im und um den Klub bleibt, desto besser.
Insgesamt bleibt festzustellen, dass die Bayern mit Harry Kane sicher besser sind als ohne die englische Tormaschine. Doch der Stürmer ist kein Allheilmittel und können die Münchner nicht auch ihre anderen Schwachstellen aus der letzten Saison beheben, bleiben sie angreifbar.