Wahrscheinlich war Leo Bonatini mal ein Stürmer, der Sehnsüchte weckte. Nicht umsonst hat der saudische Klub Al-Hilal 5.5 Millionen Euro für den damals 22-jährigen Stürmer bezahlt. Heute ist Bonatini 27. Er trifft zwar das Tor kaum noch, aber verdient trotzdem unverschämt viel Geld. Über eine Million Franken pro Saison, wird kolportiert. Der brasilianische Stürmer ist nicht der einzige Super-Verdiener bei GC. Auch Bruno Jordao, Bendeguz Bolla und Hayao Kawabe sollen siebenstellig kassieren. Damit sind wohl mindestens vier der zehn bestverdienenden Spieler der Super League «Heugümper».
Immerhin: Geldsorgen hat GC keine. Schliesslich hat der Präsident Sky Sun gesagt, dass die chinesischen Besitzer bereit seien, in den nächsten Jahren 50 Millionen Franken zu investieren. Und zu den Grossverdienern wie Bonatini und Jordao ist zu ergänzen: Sie sind vom grossen Bruder ausgeliehen. Sie haben Premier-League-Verträge, Premier-League-Träume und Premier-League-Saläre, die grösstenteils aus Wolverhampton überwiesen werden.
Trotzdem kann ein grosses Lohngefälle im Team zu Neid und Missgunst führen. Und dann ist da auch noch die fehlende Identifikation mit dem Klub. Ein Berater vergleicht GC mit einem Frachthafen. Fracht löschen, Schiff beladen, Ahoi und gute Fahrt. Bolla zum Beispiel. Da spricht auch der Sportchef Seyi Olofinjana von einem simplen Fall: «Ende Saison kehrt er zu Wolverhampton zurück. Es kann sein, dass wir mit den ‹Wolves› reden und schauen, ob wir verlängern können. Aber das liegt nicht in unserer Hand.»
Ja, es liegt wenig in den Händen der Grasshoppers. Das war lange gar nicht so ein grosses Problem. Aber nun spitzt sich die Situation etwas zu. Aus den sieben Spielen der Rückrunde haben die Zürcher nur vier Punkte geholt, zuletzt sogar dreimal in Serie verloren.
Verliert GC auch am Sonntag in Luzern, beträgt der Vorsprung auf den Barrageplatz nur noch fünf Punkte. Und dann heisst es: Willkommen im Abstiegskampf, wo Softfaktoren eine entscheidende Rolle spielen. Dann ist es nicht mehr egal, ob Spieler X seine unmittelbare Zukunft überall, nur nicht in Zürich sieht. Dann sind Tugenden wie Identifikation und Teamspirit gefragter denn je.
Vorbereitung auf #luzgc 👊🏻#gc #zürich #traditionsclub pic.twitter.com/8nYfnZLARb
— Grasshopper Club Zürich (@gc_zuerich) March 9, 2022
Abstiegskampf? Das geht uns nichts an. So jedenfalls wirkt es nach aussen, wenn die Medienstelle verlauten lässt, dass weder Sportchef Seyi Olofinjana noch Managing Director Jimmy Berisha für ein Interview zur Verfügung stehen, weil sich in den letzten Wochen ja nicht viel getan hat. Vielleicht finden die beiden einfach keine Zeit, weil sie sich derzeit gegenseitig in den Haaren liegen. So hört man das zumindest von Leuten, die es wissen müssen.
In der einen Ecke Seyi Olofinjana, der Nigerianer aus Wolverhampton, Sky Suns Gewährsmann und Statthalter des Fosun-Konglomerats mit Sitz in Schanghai. In der anderen Ecke Jimmy Berisha, im Kosovo zur Welt gekommen und in der Innerschweiz aufgewachsen, früher Spielervermittler und beseelt von der Idee, GC zu retten. Was ihm dank der Bekanntschaft mit Ronaldo-Berater Jorge Mendes (Fosun ist Teilhaberin seiner Agentur Gestifute) auch gelang.
Olofinjana ist ein Kind der Premier League. Mit dem Schweizer Fussball scheint er es nicht so zu haben. Spieler aus der Challenge League interessieren ihn nicht. Der frühere Nationalspieler Nigerias macht keinen Hehl daraus, dass er «am Ende des Tages die Besitzer repräsentiert». Und die denken gross. Ein Titelgewinn bis spätestens 2026. Und bis 2031 will man zur europäischen Spitze gehören.
Auch Jimmy Berisha denkt gerne gross. Und GC ist für ihn auch heute noch eine grosse Marke, weil er mit einem grossen GC aufgewachsen ist. Einem GC, das nobel, arrogant und erfolgreich war. Einem GC, das polarisierte.
Das soll wieder so werden. Darin sind sich die beiden einig. Aber Berisha will GC nicht vollständig entwurzeln. Schliesslich ist er so etwas wie das Gesicht des neuen GC. Er kommt von hier. Er hat sein Umfeld hier. Er kriegt die Chinesen-Sprüche zu hören. Er fühlt sich diesem Klub ein Stück weit verbunden. Olofinjana hingegen ist hier auf Durchreise, alles andere wäre eine grosse Überraschung.
Auf Durchreise sind sie fast alle, sagt ein Berater. Der Südkoreaner Sang-bin Jeong ebenso wie der Nigerianer Francis Momoh, der Chinese Lei Li, der Brasilianer Leo Bonatini, der Ungar Bendeguz Bolla, der Senegalese Kaly Sène, der Slowake Christian Herc, der Portugiese Bruno Jordao und der Japaner Hayao Kawabe. Ein Team wie aus «United Colors of Benetton». Nur ist das nicht so wahnsinnig «united». Für die einen (Sène, Momoh und Sang-bin Jeong) beginnt bei GC der Traum. Für andere ist ein Traum mit dem Wechsel zu GC geplatzt.
Kawabe zum Beispiel. Er hat sich mit guten Leistungen in der Vorrunde nun einen Vertrag in Wolverhampton erspielt. Aber nach einem Trainingsaufenthalt in England wurde er zu Rückrundenbeginn nach Zürich zurückgeschickt. Olofinjana betont zwar gern, dass «hinter jedem Deal ein Mensch steckt.» Aber im Zusammenhang mit Kawabe tönt das schon fast zynisch. Erst recht, wenn man bedenkt, dass für Japaner der Gesichtsverlust eine schlimme Sache ist. Und das war die Episode – ungeachtet des Lohnsprungs – für Kawabe auf jeden Fall.
GC ist auf heikler Mission. Der Trainer Giorgio Contini muss aufgrund der hohen Fluktuation halbjährlich «etwas Neues kreieren». Spieler wie Leonardo Campana werden vom Sportchef im Sommer gelobt und im Winter nach Miami transferiert. Berater sprechen von einem Führungsvakuum, weil GC ja eh fremdgesteuert ist, aber es sei nicht mal klar, wer diese fremde Macht tatsächlich sei.
Immerhin, Contini funktioniert, auch weil er sich aus der Klubpolitik raushält, sich nicht über die Begebenheiten beklagt und stattdessen seinen Job macht. Olofinjana sagt, der Trainer sei der «Kleber», der alles zusammenhält. Aber was, wenn der Kleber seine Wirkung verliert? Berisha war Continis Fürsprecher. Olofinjana, so hört man, könne sich gut auch wieder einen Trainer aus dem Fosun-Wolverhampton-Mendes-Universum vorstellen. Einen, wie Continis Vorgänger Joao Carlos Pereira.
Irgendwie hat man das Gefühl, es könne bei GC nicht gut kommen. Aber muss es überhaupt gut kommen? Es ist eher die Bestimmung des neuen GC, Auffangbecken und Experimentierfeld des Fosun-Wolverhampton-Mendes-Universums zu sein. Ein klitzekleines Teilchen der grossen, globalen Fussballindustrie. Ohne Identität. Ohne Ausstrahlung. Einzig dazu da, dem Geld und der Macht zu dienen. Dafür ist das Überleben gesichert. So ist der Deal.
Ich meine, wie will man so ernsthaft im Stadion ein Team anfeuern, von dem sich nicht mal die Hälfte auch für diesen Verein interessiert?
Zeitgleich werden GC-Eigengewächse, die u. a. entscheidend zum Aufstieg beigetragen haben auf die Bank verbannt und schliesslich abgeschoben.