Tore, Tore und noch mehr Tore! Etwas weniger als die Hälfte der Regular Season ist in der NHL gespielt, und es gibt so viel Spektakel wie schon lange nicht mehr. Mehr als sechsmal heult in jeder Partie durchschnittlich die Sirene auf (3,11 Tore pro Team pro Spiel). Mehr Treffer hat es letztmals 1994 gegeben, als Wayne Gretzky und Mario Lemieux noch spielten.
Der Anstieg freut natürlich die Fans, aber auch die Stürmer. Insbesondere Mikko Rantanen. Der Flügel der Colorado Avalanche spielt eine unglaubliche Saison. Gemeinsam mit dem Schweden Gabriel Landeskog und dem letztjährigen MVP-Kandidaten Nathan MacKinnon bildet er die wohl beste Linie der Liga. Gemeinsam haben sie in 35 Spielen schon 155 Punkte gesammelt, also mehr als 4 Punkte pro Spiel.
Während im letzten Jahr MacKinnon die Trophäe des wertvollsten Spielers New Jerseys Taylor Hall überlassen musste, führt dieses Jahr in dieser Diskussion wohl kein Weg an Mikko Rantanen, Erstrundendraft von 2015, vorbei. Der Finne ist der beste Skorer der Avalanche mit 16 Toren und sagenhaften 42 Assists aus 33 Spielen.
Zieht der 22-Jährige seine momentane Pace durch, beendet er die Saison mit beinahe 100 Assists und insgesamt 136 Punkten. Ein Wert, der ebenfalls seit 1994 und der Ära von Gretzky und Lemieux nicht mehr erreicht wurde.
Doch was macht Rantanen so unglaublich gut? Wir haben nach Erklärungen gesucht und seine grössten Stärken gefunden.
Mikko Rantanen ist in erster Linie ein Spielmacher. Er verfügt über eine unglaubliche Übersicht und scheint immer zu wissen, wo seine Teamkollegen stehen. Insbesondere im Zusammenspiel mit MacKinnon und Landeskog passt die Chemie.
Der Flügel weiss aber nicht nur, wo seine Mitspieler stehen. Er kann sie auch aus beinahe jeder Situation bedienen. Der Finne spielt schwierige Pässe mit einer scheinbaren Leichtigkeit und muss dabei jeweils kaum auf die Scheibe schauen.
Rantanen hat für einen Spielmacher seiner Qualität einen eher unüblich grossen Körperbau. Dank seinen 193 Zentimetern Körpergrösse und einem Gewicht von 96 Kilogramm kann er sich in jedem Zweikampf behaupten.
Aufgrund seiner Grösse verwendet Rantanen einen langen Stock. So hat er in Zweikämpfen eine grosse Reichweite und sorgt mit Pokechecks für gefährliche Situationen.
Die gefährlichen Pässe von Mikko Rantanen sind in der Liga natürlich nicht unbemerkt geblieben. Deshalb achten die Gegner nun besonders genau darauf, dem Finnen die Passbahnen zuzustellen. Das gibt ihm den Raum, zwischendurch auch selbst zu schiessen. Und auch dann wird es brandgefährlich. Denn der Handgelenkschuss des Flügels ist kraftvoll und präzis.
Dass der 22-Jährige über eine hervorragende Technik verfügt, ist klar, sobald man einen seiner Pässe gesehen hat. Weniger offensichtlich ist, dass Rantanen seine Gegner auch überlaufen kann. Trotz seiner Grösse und seinem Gewicht bringt der Finne viel Tempo aufs Eis. Wenn er nicht auf einer Seite am Gegner vorbeizieht, bringt er ihn mit einer technischen Finesse aus der Balance und passiert ihn auf der anderen.
Flügel mit den Körpermassen Rantanens sind eigentlich dafür prädestiniert, Powerstürmer zu werden. Spieler, die den Banden entlangfräsen und die Gegner mit ihrer Wucht überwältigen. Wie kommt es also, dass aus dem kräftigen Finnen ein derart begnadeter Spielmacher wurde?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir fünf Jahre zurückblenden. 2013 wird Rantanen erstmals für die finnische U16-Auswahl aufgeboten. Er ist bis dahin ein solider Spieler in den Juniorenstufen von TPS Turku, zerreisst jedoch keine riesigen Stricke. Besonders markant: Der Junior ist zu diesem Zeitpunkt «nur» 177 Zentimeter gross und 79 Kilogramm schwer.
1er choix finlandais de la Draft 2015, le chouchou de Turku Mikko Rantanen a conclu un contrat de 3 ans avec Colorado pic.twitter.com/oQTgDvAP05
— Nicolas Jacquet (@Nicozzzzilla) July 13, 2015
Der Stürmer lernt zu diesem Zeitpunkt also ein Spiel, das eigentlich für kleinere Spieler gedacht ist: jenes des Spielmachers. Heftige Zweikämpfe vermeiden und stattdessen die Scheiben verteilen. «Meine grösste Stärke war immer das Passspiel», erklärt Rantanen gegenüber «The Athletic» und ergänzt: «Ich habe gar nie daran gedacht, ein Powerstürmer zu sein.»
In den nächsten zwei Jahren erlebt Rantanen einen Wachstumsschub. Plötzlich überragt er seine Alterskollegen und wird auch im Nationalteam zur festen Grösse. 2016 führt er Finnland an der U20-Weltmeisterschaft im eigenen Land zum Titel. «Bei Turku wurde er schon mit 18 Jahren zum Assistenzcaptain in der ersten Mannschaft ernannt. Das sagt viel über seine Leaderqualitäten aus», sagt Landsmann Alexander Barkov.
Mit seinen Leistungen spielt der Flügel sich auch in die Notizbücher der Scouts. Die Colorado Avalanche draften ihn 2015 an zehnter Stelle – eine Position hinter dem Schweizer Timo Meier. General Manager Joe Sakic erkennt das grosse Talent und weiss damit auch richtig umzugehen. Er gibt seinem Juwel ein Jahr Zeit, sich in der AHL an das nordamerikanische Spiel zu gewöhnen.
Rantanen stört sich nicht daran, dass er nicht gleich auf der ganz grossen Bühne ran durfte. Im Gegenteil: «Ich war nicht bereit für das Tempo in der NHL. Ich glaube, es war die richtige Entscheidung, in der AHL das nordamerikanische Spiel, aber auch die Gepflogenheiten kennenzulernen.» Und wie: Ein Jahr darauf spielte er seine erste volle NHL-Saison. Wiederum ein Jahr später hievt er die Avalanche gemeinsam mit MacKinnon und Landeskog in die Playoffs. Und nun führt er die Skorerwertung der besten Liga der Welt an. Vor Nathan MacKinnon, vor Nikita Kucherov und auch vor Connor McDavid.
«Ich finde es unglaublich, dass der Rest der Welt so lange gebraucht hat, um zu realisieren, wie gut Mikko ist», sagt Rantanens Linienpartner Gabriel Landeskog gegenüber «Sportsnet». Doch wie nachhaltig ist sein aktueller Höhenflug? Hat er wirklich das Zeug, um Connor McDavid zu überflügeln oder gar an die 140 Punkte zu sammeln?
Die Antwort lautet: Jein. Eine Saison mit 136 persönlichen Skorerpunkten scheint in der heutigen NHL einfach unrealistisch. Doch ein riesiger Einbruch ist auch nicht zu erwarten. Rantanen schiesst derzeit mit einer Effizienz von 17,2 Prozent. In seinen ersten zwei NHL-Jahren lag sie bei durchschnittlich 15,65 Prozent. Damit könnte er durchaus auch am Ende der Saison vor Connor McDavid liegen.
Ein Gedankenexperiment: Auch wenn Rantanen «einbricht» und nicht mehr wie im Moment 1,7 Punkte pro Spiel produziert, sondern nur noch rund einen, wie letztes Jahr – ja, dann landet der Finne bei 104 Punkten. Eine Marke, die nahe bei McDavids letztjährigen 108 Punkten liegt. Und das ist konservativ gerechnet.