Seit dem Abgang von Sir Alex Ferguson im Sommer 2013 hat Manchester United so gut wie alles falsch gemacht.
Auf der Suche nach einem würdigen Nachfolger für den überlebensgrossen Schotten wurde ein Trainer nach dem anderen verschlissen. Gleichzeitig wurden hunderte Millionen Euro für neue Spieler ausgegeben und unzählige Transferflops produziert. Das Ganze wurde begleitet von einer stetigen Unruhe im und um den Klub, die sich auch nach dem Führungswechsel von der Glazer-Familie zu Sir Jim Ratcliffe nicht gelegt hat.
Der letzte Schuss, der ordentlich nach hinten losging, war die vorzeitige Vertragsverlängerung für Erik ten Hag. Wegen des FA-Cup-Triumphs sah man über Platz 8 in der Premier League – das schlechteste Ergebnis seit 1990, als das englische Oberhaus noch First Division hiess – hinweg und band den Niederländer ohne Not um ein weiteres Jahr bis 2026. Wenige Monate später mussten sich die Verantwortlichen eingestehen, dass ten Hag nicht mehr tragbar ist.
Eigentlich sollte zum jetzigen Zeitpunkt mitten in der Saison und in der aktuellen Situation von Manchester United kein Toptrainer verfügbar sein. Und trotzdem schnappten sich die «Red Devils» mit Ruben Amorim für die festgeschriebene Ablöse von zehn Millionen Euro das begehrteste Trainertalent nach Leverkusens Xabi Alonso, dessen nächste Karrierestation ein schlecht gehütetes Geheimnis ist (Real Madrid). Wie Alonso war auch Amorim einst Profi, er absolvierte im zentralen Mittelfeld 14 Länderspiele für Portugal.
Der 39-Jährige war bereits ein Kandidat in Liverpool und wurde auch bei Manchester City gehandelt. Dies liegt einerseits an Amorims Erfolg bei seinen bisherigen Karrierestationen. Mit Braga gewann er im Januar 2020 in seinem ersten Monat als Cheftrainer bei den Profis den Liga-Cup und musste in 13 Spielen nur eine Niederlage hinnehmen. Danach bezahlte Sporting Lissabon die Ausstiegsklausel in Höhe von zehn Millionen Euro, die damals die dritthöchste Ablösesumme für einen Trainer war.
Obwohl beim Hauptstadtklub interne Streitigkeiten herrschten, die von manchen als «Bürgerkrieg» bezeichnet wurden, brachte er schnell Erfolg. Nach der Corona-Zwangspause führte Amorim Sporting 2020/21 zum ersten Meistertitel seit 19 Jahren und durchbrach so die jahrelange Phalanx von Porto und Benfica. Ein Erfolg, den er in der letzten Saison wiederholte.
Andererseits überzeugt Amorim auch durch seine Eloquenz im Umgang mit den Medien und der enormen Beliebtheit bei seinen Spielern. So sagt Wolfsburg-Profi Tiago Tomas, dem unter Amorim der Durchbruch gelang: «Wie er mit den Spielern umgeht, macht einen grossen Unterschied.»
Wunderstürmer Viktor Gyökeres entschied sich im Sommer trotz Interesses mehrerer Topklubs auch wegen Amorim gegen einen Wechsel. Der jetzige Sporting-Star Morten Hjulmand ergänzt gegenüber The Athletic: «Er hat eine klare Vision, die er sehr gut vermittelt, und ist sehr gut darin, Spieler besser zu machen.» Dies zeigt auch der Transfergewinn in Höhe von 118 Millionen Euro, den Sporting während Amorims Amtszeit machte.
Der junge Coach bringt also eine Menge Qualitäten mit, die ihm bei Manchester United helfen werden. Eine Rolle bei der Entscheidung der Führung um Ratcliffe dürfte auch Amorims attraktiver Fussball gespielt haben. Der Portugiese setzte bei den bisherigen Stationen zwar immer auf eine 3-4-3-Formation, doch ist Amorim in seinem System dennoch flexibel.
So spielte Sporting in der portugiesischen Liga, in welcher das Gefälle sehr gross ist, sehr dominant und ballbesitzorientiert. Dazu versucht Amorim, überall auf dem Feld Überzahlsituationen zu kreieren und durch die Dreierkette schon früh im Spielaufbau die Passwege zu verkürzen und für zusätzliche Anspielstationen zu sorgen. Gleichzeitig wussten sie ihre Konterchancen aber auch auszuspielen. Dies musste zuletzt ManCity beim 1:4 in der Champions League erfahren.
Und auch im Spiel gegen den Ball glänzten die Lissabonner im hohen Pressing wie auch mit einer tief stehenden Defensive, die es dem Gegner enorm schwer machte, zu Chancen zu kommen. Dies dürfte ManUnited gerade gegen stärkere Gegner, die in der Premier League nicht rar sind, zugutekommen.
Dennoch sind Probleme zu erwarten. Abgesehen davon, dass die Verpflichtung eines Trainers, der noch nie ausserhalb seiner Heimat gecoacht hat, generell mit einem Risiko verbunden ist, passt der derzeitige Kader in vielen Bereichen nicht zu Amorims Plänen. In der Innenverteidigung sind zwar genügend am Ball starke Spieler vorhanden, doch gibt es Geschwindigkeitsdefizite, die beim Verteidigen grösserer Räume problematisch werden könnten.
Besonders schwierig wird es für Amorim sein, die Aussenbahnen zu besetzen. Der Kader von Manchester United ist mit Aussenverteidigern wie Diogo Dalot oder Noussair Mazraoui auf eine Viererkette ausgelegt. Der mit Luke Shaw beste Spieler für die Position neben der Dreierkette ist häufig verletzt. So wird es sehr spannend, wie Amorim dieses Problem löst. Sky-Experte Jamie Carragher spekuliert gar, dass Amorim einen Flügelspieler wie Alejandro Garnacho eine Reihe nach hinten beordert. Das Abweichen von Amorims bewährtem System sollte aufgrund der Tatsache, dass er noch nie eine Viererkette auf den Platz schickte, keine Möglichkeit sein.
Es ist deshalb zu erwarten, dass Manchester United wieder viel Geld investieren muss. Transfer-Insider Fabrizio Romano berichtet, dass spätestens im nächsten Sommer ein neuer Linksverteidiger verpflichtet werden soll. Auch auf den Positionen hinter der Spitze, die eine Art Mischung aus Flügelspielern und offensiven Mittelfeldspielern sind, könnte Handlungsbedarf bestehen. Weder Bruno Fernandes noch Spieler wie Marcus Rashford oder Garnacho passen perfekt in dieses Muster.
Den Kader nun auf Amorims System umzubauen, beinhaltet natürlich die Gefahr, bei einem allfälligen Scheitern des Trainers ein weiteres Mal umdenken zu müssen. In England ist die Dreierkette gerade bei den Topteams eher unüblich und sind Trainer, die darauf setzen, daher nicht leicht zu finden.
Dass teure Ablösesummen bezahlt wurden, um zum System passende Spieler zu verpflichten, war schon bei Erik ten Hag so. Auch er galt, wie einige Trainer vor ihm, als «Retter». Am Ende seiner Amtszeit bilanzierte der «Telegraph», dass er 660 Millionen Euro ausgegeben habe, «um ein mittelmässiges Team noch schlechter zu machen».
Bei Amorim sind sich aber viele Experten einig, dass es anders sein wird. Seine Fähigkeit, aus dem Kader ein Team zu formen, das als Summe besser ist als seine einzelnen Bestandteile, stimmt viele positiv, dass schnell ein Effekt zu spüren sein werde. Dazu kommen seine lockere, aber fordernde Art sowie sein Selbstbewusstsein. Amorims Kumpel Simão bezeichnete es als fast kindliches Selbstbild, das jenem eines Superhelden ähnle. «Er glaubt, dass keine Herausforderung zu gross für ihn ist», so der portugiesische Ex-Nationalspieler.
Ansonsten würde er sich Manchester United in der aktuellen Situation wohl kaum antun. Zumal er mit Sporting mit elf Siegen aus elf Spielen auf dem Weg zum nächsten Meistertitel ist und in der Champions League ungeschlagen auf Platz 2 steht. Doch für Amorim, der am Sonntag in Ipswich sein Debüt feiert, ist die Aufgabe bei den Red Devils sehr interessant.
«Manchester United ist der Motor der Premier League», erklärt der 39-Jährige und fügt an: «Es ist eine grosse Ehre und eine grosse Verantwortung. Ich will bei diesem speziellen Klub etwas Spezielles schaffen.»