Dem HC Lugano gehen langsam die Stürmer aus. Neben Julian Walker, Marco Müller, Lorenzo Canonica und Daniel Carr fehlen neu auch Markus Granlund und zumindest kurzfristig auch Arttu Ruotsalainen. Trotzdem feierten die Tessiner gestern einen überzeugenden 6:2-Sieg gegen den EHC Kloten – auch dank Calvin Thürkauf.
Der Stürmer und Captain steuerte beim Heimerfolg ein Tor und zwei Assists bei und knüpfte so nach der Länderspielpause nahtlos an seine herausragende Saison an. Schon bei der Nati war Thürkauf am Heimturnier mit drei Toren und einem Assist aus drei Spielen einer der wenigen Lichtblicke. In der Liga ist der 26-Jährige aktuell der beste Skorer – mit 17 Toren und 22 Assists aus 31 Spielen oder 1,26 Punkten pro Partie. Der letzte Schweizer, der sich zum Ligatopskorer krönte, war Pius Suter in der Saison 2019/20.
Thürkauf galt immer als talentierter Eishockeyspieler, aber vielleicht als nicht ganz so talentiert wie andere junge Schweizer. Beim NHL-Draft 2016 wurde er zwar gezogen, aber erst ganz am Schluss und nach Landsmann Damien Riat. In der AHL war er ein solider, junger Stürmer – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Er biss sich durch und durfte immerhin in drei Spielen NHL-Luft schnuppern. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz schaute er verletzt von der Tribüne aus zu, wie sein EV Zug den Meistertitel feierte.
Danach wechselte der Center nach Lugano. «Einen besseren Entscheid hätte ich nicht treffen können», wird Thürkauf später sagen. Im Tessin konnte er Verantwortung übernehmen und entwickelte sich zu einem kompletten Spieler. Nach einer eher enttäuschenden letzten Saison explodiert der 26-Jährige nun so richtig. Woran liegt das?
Thürkauf gab sich unlängst bescheiden und schrieb seine gute Saison seinen Teamkollegen zu – insbesondere den kanadischen Stürmern Daniel Carr und Michael Joly. «Ohne sie würde es nicht so aussehen», sagte der Lugano-Captain. Aber stimmt das wirklich?
Natürlich ist es so, dass Thürkauf auch von seinen guten Mitspielern profitiert. Das wäre bei jedem der Fall, der mit herausragenden Spielern wie Carr und Joly in einer Linie stürmen kann. Doch die Teamkollegen profitieren eben auch vom Nati-Spieler und dessen guten Leistungen. Thürkauf hat in dieser Saison schon mit diversen anderen Stürmern zusammengespielt. Zuletzt wurde ihm aufgrund der vielen Verletzungen gar Verteidiger Joe LaLeggia an den Flügel gestellt – und trotzdem haben die Resultate auf dem Eis immer gepasst.
Der Center ist ein Spieler, der einer Partie den Stempel aufdrücken kann. Seit er in Lugano ist, kontrollieren die Tessiner in allen Einsätzen von Thürkauf deutlich mehr als 50 Prozent der Schussversuche. So dominant wie in dieser Saison waren die Auftritte des gebürtigen Zugers aber noch nie. Pro 60 Minuten 5-gegen-5-Eishockey kreieren die Luganesi mit ihrem besten Spieler auf dem Eis Chancen für fast 4 Tore, und lassen dabei nur 2,5 Expected Goals zu. Bei den tatsächlichen Toren ist der Wert noch besser. Im bisherigen Saisonverlauf haben die Tessiner mit Thürkauf auf dem Eis 35 Tore geschossen und nur deren 19 erhalten. Mit den guten Mitspielern ist es also ein Nehmen und ein Geben.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
5,2
09.22
5,2
09.23
5,2
01.24
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Fakt ist, dass Calvin Thürkauf in seiner bisherigen National-League-Karriere noch nie einen Punkt pro Spiel skorte, geschweige denn mehr. Auf diese Saison hin hat sich also etwas stark verändert, und das Abschlussglück ist sicherlich ein Teil davon. Schaut man nur auf die Schusseffizienz alleine, steht rasch das Urteil, dass der Center aktuell über seinen Verhältnissen spielt. In seinen ersten Saisons in Lugano gingen durchschnittlich 7,3 Prozent von Thürkaufs Schüssen rein. In der aktuellen Saison hat er die Effizienz nun mehr als verdoppelt.
Doch das bildet wohl nicht die ganze Realität ab. Die Statistik zeigt auch, dass Thürkauf in seinen ersten zwei Saisons im Sottoceneri wohl etwas vom Pech verfolgt war. Beide Jahre schoss er weniger Tore, als gemäss der herausgespielten Chancen (Expected Goals) eigentlich zu erwarten gewesen wäre. In der laufenden Spielzeit hat sich der Spiess nun umgedreht und Thürkauf liegt nun bereits mehr als vier Treffer über seinem Expected-Goals-Wert.
Der Lugano-Stürmer zeichnet sich durch seine «nordamerikanische Spielweise» aus. Das bedeutet: viel Zug aufs Tor, und keine Angst davor, direkt in den Slot zu gehen, wo er zwar einstecken muss, aber eben auch zu besten Chancen kommt. Diese Art von Stürmer ist oft in der Lage, besser zu skoren, als es die Expected Goals eigentlich voraussagen. Dass es nicht nur Thürkauf, sondern auch dem Team besser läuft, hat zur Folge, dass er sich auch bei den Assists weiter gesteigert hat.
Noch etwas ist diese Saison bei Thürkauf anders: Er bringt einen grösseren Anteil seiner Schüsse tatsächlich auch aufs Tor. Während vor einem Jahr fast die Hälfte seiner Schüsse geblockt wurden, daneben oder an die Torumrandung gingen, bringt der Stürmer mittlerweile fast zwei Drittel tatsächlich aufs Tor. Und seine durchschnittliche Abschlussposition hat sich um mehr als einen Meter näher an das gegnerische Tor herangeschoben.
Diese Verbesserungen gepaart mit guter Harmonie mit seinen Mitspielern lassen vermuten, dass Thürkauf durchaus in der Lage sein wird, die guten Leistungen über eine ganze Saison durchzuziehen. Natürlich ist immer auch etwas Glück dabei, aber – und dafür lege ich gerne einen Franken ins Phrasenschwein – dieses Glück hat sich der 26-Jährige auch immer wieder erarbeitet.
Dass der schweizerisch-kanadische Doppelbürger derzeit eine herausragende Saison spielt, zeigt sich auch in anderen Statistiken. Am Bullypunkt hat Thürkauf sich über die letzten drei Jahre stets verbessert und gewinnt nun über 52 Prozent seiner Anspiele.
Ein klassischer Defensivstürmer ist der Center nicht. Er hat in Lugano einige Sturmkollegen, die besser darin sind, gegnerische Abschlüsse und Chancen zu limitieren (unter anderem eben auch Daniel Carr oder Michael Joly). Aber kein anderer Stürmer blockt bei den Tessinern mehr Schüsse (22). Thürkauf ist also durchaus auch gewillt, nach hinten zu arbeiten und seinen Körper zu opfern, um gegnerische Tore zu verhindern.
Luganos Trainer Luca Gianinazzi kann sich auf Thürkauf in allen Situationen verlassen, egal ob es darum geht, eine Führung zu verteidigen oder einen Rückstand aufzuholen. Der gebürtige Zuger ist eine Allzweckwaffe. Er kann knallhart forechecken, das Spiel mit Tempovorstössen schnell machen, und sich dank seiner körperlichen Gardemasse (188 cm / 93 kg) auch mühelos in der gegnerischen Zone behaupten.
Es ist ziemlich deutlich: Aktuell sehen wir den besten Calvin Thürkauf aller bisherigen Zeiten. Gut genug für eine Rückkehr in die NHL? Vermutlich. Allerdings hätte er dort längst nicht die gleiche Rolle inne wie momentan in Lugano, was seinen Erfolg beeinträchtigen würde. Im November sagte Luganos Captain: «In der NHL wird man wie ein Stück Fleisch behandelt.» Ob er sich das noch einmal antun will, wird sich weisen.
Und als Schweizer mit Zug auf des Slot ist er ja fast ein Exot. Aber gut, es hat ja genügend Kurvendreher, die dann einen Pass spielen :-)