Es ist nie ein gutes Zeichen, wenn sich die Fans des Rivalen für den Trainer eines Klubs einsetzen. Nach dem 3:1 im Clásico gegen den FC Barcelona forderten die Real-Fans im Stadion: «Bleib, Xavi!» Für den 42-Jährigen war die Niederlage gegen Real Madrid sein 50. Spiel als Barça-Trainer. Mit einer Bilanz von 28 Siegen und je elf Remis sowie Niederlagen ist er der schlechteste Barcelona-Trainer seit 2003.
Und die Schonfrist, die er als Klublegende geniesst, ist langsam vorbei. Xavi gerät bei den Katalanen zunehmend unter Druck. In der Champions League ist ein Weiterkommen nur noch theoretisch möglich. Dazu müsste Barça gegen Bayern und Pilsen nämlich vier Punkte mehr holen als Inter Mailand gegen dieselben Gegner. In der spanischen Liga stand der Klub vor diesem Spieltag ungeschlagen an der Tabellenspitze. Die Niederlage gegen Real Madrid trübt nun auch dieses Bild.
Neben den Ergebnissen sorgen aber auch die Auftritte des Teams für Kritik. Zu Beginn der Saison konnte Barça sein Unvermögen in gewissen Bereichen gegen schwächere Gegner in der Liga noch verstecken. Nur einer der ersten acht Gegner steht aktuell in der Top-9 der Liga. Die Spiele in der Champions League gegen Bayern (0:2) und Inter (0:1, 3:3) sowie die Partie in Madrid legten die Probleme jedoch offen. Die «Marca» schrieb von einem «klar ersichtlichen Niveau-Unterschied» und, dass «wenig von dem zu sehen ist, was Xavi theoretisch aufbauen will».
Gegen Gegner, die Druck auf den ballführenden Spieler ausüben, hätte Barcelona immer noch Probleme, für Torgefahr zu sorgen. Dies war auch im Santiago Bernabéu ersichtlich. Die Gäste kamen viel zu selten gefährlich vors Tor. Zwar entschieden sie die Statistik der erwarteten Tore (xG) gemäss «FootyStats» für sich, doch da zählte auch die vergebene Chance von Robert Lewandowski dazu, bei der er wohl leicht im Abseits stand. Zudem hatte der Treffer von Ferran Torres einen hohen Erwartungswert, im Netz zu landen. Abgesehen von diesen beiden Szenen gelang der Offensive wenig.
Doch die Offensive ist mit 29 Toren in 13 Pflichtspielen zumindest in den restlichen Partien häufig erfolgreich. Deutlicher werden die Probleme der Katalanen in der Defensive. Beim ersten Gegentreffer in Madrid werden sie schonungslos ausgekontert. Toni Kroos überspielt bei seinem Pass im Fallen auf Vinicius Jr. gleich vier Verteidiger. Diese rennen dem Verteidiger im Gleichschritt hinterher und vergessen den Rückraum komplett. Weil Goalie Marc-André ter Stegen den Schuss von Vinicius abwehrt, prallt dieser genau dorthin, wo Karim Benzema ungedeckt abschliessen kann.
Etwas, was sich rund 20 Minuten später wiederholt. Wieder fühlt sich kein Verteidiger für den Gegenspieler am Strafraumrand verantwortlich. Und auch wenn der Schuss von Federico Valverde hervorragend platziert ist, darf er dort nie so unbedrängt zum Abschluss kommen. Zumal sich zuvor sieben Barcelona-Spieler in Richtung Strafraum orientieren, wo nur vier Offensive stehen. Die Zuordnung stimmte also auch bei diesem Treffer überhaupt nicht.
Ab diesem Zeitpunkt konnte Real Madrid noch abwartender spielen. Barça hatte insgesamt 57 Prozent Ballbesitz und ein deutliches Mehr an Schüssen, aber nur fünf dieser 18 Versuche kamen aufs Tor von Goalie Andrij Lunin. Real Madrid brachte die Hälfte ihrer acht Schüsse aufs Tor. Der Anschlusstreffer der Gäste erfolgte erst in der 84. Minute. Doch nur fünf Minuten später stellte sich Eric García im Zweikampf mit Rodrygo so ungeschickt an, dass der Schiedsrichter keine andere Wahl hatte, als auf Elfmeter zu entscheiden. Diesen verwandelte der Gefoulte zum entscheidenden 3:1.
Im Spiel gegen Inter vom letzten Mittwoch machte Xavi individuelle Fehler für das Unentschieden verantwortlich, beim 0:1 gegen die Italiener in der Woche zuvor wütete er über den Schiedsrichter. Nach dem Clásico sagte er: «Wir haben diese Niederlage nicht verdient.» Die spanische «AS» beschreibt die Aussage als «fragwürdig» und macht die «kuriose Perspektive» des Trainers dafür verantwortlich.
Die erneuten Fehler in der Defensive führen vermehrt auch zu Kritik am Trainer. Denn eines wurde am Sonntag klar: Die Taktik, die Real-Coach Carlo Ancelotti wählte, funktionierte deutlich besser als jene von Barcelona. Dies gab Xavi nach dem Spiel auch zu: «Madrid verstand besser, wie es spielen sollte, als wir.» Ausserdem sagte er: «Ich bin der Hauptverantwortliche hier.»
Auch der 133-fache Nationalspieler hat gemerkt, dass die Zeit für Ausreden langsam aber sicher vorbei ist. Denn, dass Barcelona-Präsident Joan Laporta nicht ewig warten wird, bis sich der Erfolg einstellt, ist seit diesem Sommer klar. 153 Millionen Euro wurden für neue Spieler ausgegeben, dazu kamen weitere ablösefreie Neuzugänge. Laporta kündete bereits mögliche Wintertransfers für den Januar an. Barça soll zurück an die Spitze Europas kommen – und zwar so schnell wie möglich. Doch die Spiele gegen Bayern. Inter und Madrid haben gezeigt, dass der Weg dorthin noch immer ein langer ist.
Kleines Detail: Thibaut Courtois stand bei den Madrilenen nicht im Kasten sondern Lunin. Hättest du bei Marca korrekt abschreiben können. 😜