Den Super-Gau konnten die Bayern am Dienstagabend in der Champions League knapp verhindern. Kurz vor der Verlängerung sicherte Alphonso Davies dem deutschen Rekordmeister mit dem 1:1-Ausgleich gegen Celtic die Achtelfinal-Qualifikation. Man kann sich denken, was in München los gewesen wäre, hätte der Klub bereits in den Playoffs der Königsklasse die Segel streichen müssen.
Wirklich zufrieden dürfen die Bayern mit der Leistung trotzdem nicht sein. Zu wacklig war der Auftritt gegen den schottischen Aussenseiter, dessen Führung nach einer guten Stunde nicht unverdient war. Wie schon in der Ligaphase mit Niederlagen gegen Aston Villa (0:1) und Feyenoord Rotterdam (0:3), welche die Bayern nur auf dem zwölften Platz beendeten, zeigte der Bundesligist, dass er die Selbstverständlichkeit eines Spitzenklubs zumindest in Europa verloren hat.
«Wir sitzen jetzt nicht da und sagen: Wir sind in Topform, alles fantastisch. Das ist es momentan nicht. Es ist alles ein bisschen schwerer», gab Sportvorstand Max Eberl zu. Von einer Krise zu sprechen, ist bei Platz 1 in der Bundesliga und der geschafften Achtelfinal-Qualifikation im Europacup zwar unangebracht, jedoch trügt der Schein auch ein wenig. Gerade bei Trainer Vincent Kompany lohnt sich in dessen erster Saison an der Seitenlinie in München ein genauer Blick auf die Leistungen.
Nach der schwierigen letzten Saison unter Thomas Tuchel, der im Verein für viel Unruhe sorgte und auch die Mannschaft spaltete, brauchten die Bayern jemanden, der wieder Harmonie herstellen kann. Das ist Kompany definitiv gelungen. Im Klub herrscht deutlich mehr Einigkeit – auch weil der 38-jährige Belgier sich nicht so stark in den Vordergrund drängt wie Tuchel oder dessen Vorgänger Julian Nagelsmann. Öffentlich ausgetragenen Streit zwischen anderen Verantwortlichen wie Eberl, Sportdirektor Christoph Freund oder auch Ehrenpräsident Uli Hoeness gibt es mit Kompany nicht mehr.
Auch die Spieler und Fans sind begeistert von Kompany als Person sowie dem Fussball, den dieser spielen lässt. Die Stimmung im Team ist deutlich besser als in den letzten Saisons und der Trainer punktet im Umgang mit seinen Spielern. So gelang es ihm beispielsweise, den eigentlich ausgebooteten Leon Goretzka wieder ins Team zu integrieren. Auch die Vertragsverlängerungen der von mehreren Topklubs umworbenen Jamal Musiala und Alphonso Davies dürfen als Vertrauensbeweis interpretiert werden.
Die Stimmung im Klub hängt aber gerade bei den erfolgsverwöhnten Münchnern immer auch mit den letzten Leistungen zusammen. Und die haben zuletzt nicht immer gepasst. Besonders die in der ersten Saisonhälfte so starke Verteidigung wackelte zuletzt immer wieder. «Souverän ist anders», befand Thomas Müller nach dem 1:1-Remis gegen Celtic, betonte aber: «Weiter ist weiter.» Ähnlich klang es bei Joshua Kimmich, der sich mit dem Erreichten zufrieden zeigte, gleichzeitig aber sagte: «Wir müssen ein bisschen an der Art und Weise schrauben, wie wir die Spiele gestaltet haben.»
Denn auch darum geht es bei einem Klub wie Bayern München in der Beurteilung des Teams und des Trainers. Siege und Weiterkommen allein reichen nicht für Zufriedenheit, es geht immer auch um die Art und Weise. Doch zuletzt mussten die Münchner gar gegen Klubs wie Holstein Kiel (4:3) oder eben Celtic zittern. Selbst der 2:1-Erfolg im Hinspiel vom letzten Mittwoch war eher schmeichelhaft, was der Blick auf die «Expected Goals»-Werte bestätigt. Gemäss diesem spielte sich Celtic die besseren Chancen heraus (1,3:0,7). Am Wochenende waren die Bayern dann auch in Leverkusen beim 0:0 gegen den amtierenden Meister deutlich unterlegen.
Das Topspiel der Bundesliga dürfte bei den Verantwortlichen in München trotz des Punktgewinns Zweifel daran geschürt haben, dass Kompany auch gegen die besten Trainer bestehen kann. Zwar wahrten die Münchner dank des torlosen Unentschiedens den Vorsprung von acht Punkten auf den ersten Verfolger, doch war da eine ordentliche Portion Glück dabei.
Leverkusen dominierte Bayern regelrecht und blieb nur ohne Tor, weil einige gute Chancen ungenutzt blieben und zweimal die Latte im Weg war. Das Duell an der Seitenlinie ging deutlich an Xabi Alonso. Der 43-Jährige wechselte von der gewohnten Dreierkette zur wenig genutzten Viererkette und verzichtete auf einen echten Mittelstürmer. Seine Taktik führte zu einem «Expected Goals»-Wert von 2,0. Hätten seine Spieler etwas mehr Effizienz an den Tag gelegt, hätte Leverkusen also gar deutlich gewinnen können.
Mit seinem Kniff mit dem zusätzlichen Verteidiger entzauberte Alonso zudem die Bayern-Offensive, die völlig harmlos blieb und nur zwei Schüsse notierte, die beide am Tor vorbeigingen. Am Ende resultierten 0,0 «Expected Goals» – ein Novum für Bayern München, seit Opta diese Statistik zur Saison 2017/18 erstmals erhob. Bereits im Achtelfinal des DFB-Pokals hatte Leverkusen für die Bayern Endstation bedeutet.
Dass Alonso, an dem die Bayern im vergangenen Jahr stark interessiert waren und der als kommender Welttrainer gilt, Kompany entschlüsselt zu haben scheint, ist ein schlechtes Zeichen für das Experiment, den Trainer eines Premier-League-Absteigers zu verpflichten. Zumal im Champions-League-Achtelfinal erneut Leverkusen warten könnte. Sollte Kompany dort wieder keine Antwort auf Angstgegner Alonso finden, dürfte sein Stuhl zumindest zu wackeln beginnen.
Noch hat Kompany die Argumente auf seiner Seite. In der Bundesliga musste sich Bayern München in 22 Spielen erst einmal geschlagen geben und ist auf dem Weg zum Meistertitel. Sowohl die Offensive (65 Tore) als auch die Defensive (19 Gegentore) sind die besten der Liga. In der Champions League steht man im Achtelfinal und darf weiterhin vom «Finale dahoam» träumen. Bis auf das Aus im DFB-Pokal ist Bayern also noch überall voll dabei und könnte noch immer zwei Titel gewinnen.
Solange dies möglich ist, muss sich Vincent Kompany wohl keine Sorgen um seinen Job machen. Früher oder später wird er aber den Beweis erbringen müssen, auch gegen Toptrainer wie eben Alonso bestehen zu können. Ansonsten ist er für die Bayern nicht geeignet.