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Einst war es der schlichte Einmarsch der Athletinnen und Athleten. Inzwischen hat sich die Eröffnungsfeier längst von den Spielen abgekoppelt und ist ein gut vierstündiges, weltweites TV-Ereignis für sich geworden. Spätestens seit Peking 2008 hat das olympische Prinzip («schneller, höher, stärker») auf die Macher der Eröffnungsfeier übergegriffen.
Wer nicht weiss, dass es die Eröffnungsfeier eines globalen Sportspektakels ist und per Zufall ins Stadion gerät, wird sich verwirrt fragen: Worum geht es hier eigentlich?
Die Eröffnungsfeier für Rio 2016 war anders als in Peking 2008 und in London 2012. So wie eben Südamerika anders ist als China und Westeuropa. Besser? Nein. Was heisst denn schon besser? Eine Eröffnungsfeier lässt sich nicht messen wie eine sportliche Leistung.
Aber die Eröffnung der Spiele von Rio war anders. Bei weitem nicht so auf Perfektion ausgelegt und viel weniger technokratisch als London 2012 und vor allem als Peking 2008.
Die Ouvertüre für Rio 2016 war ein grandioser, ja zeitweise bombastischer, verwirrender Mix aus Pop-Festival, wagnerianischem Freilufttheater, Karneval und Voodoo. Eine phasenweise mitreissende Improvisation aus Farben, Feuerwerk, Musik, Tanz und Gesang. Unterbrochen durch viel zu lange Reden. Farbiger, fröhlicher, unbeschwerter, sinnlicher, emotionaler und durch die schiere Grösse der Arena für den Besucher auch wirkungsmächtiger als alle bisherigen Eröffnungsfeiern.
Durch den Kult um das olympischen Feuer, mit dem Höhepunkt des Entzündens der olympischen Flamme gegen Mitternacht, tragen diese Eröffnungsfeiern längst auch eine Prise des Unheimlichen, eines heidnischen Kultes in sich. Das war letzte Nacht in Rio auch so und ging tief in die Sinne und unter die Haut.
Die Technokraten des Sportes treffen in Rio auf eine bunte, bisweilen chaotische Welt und das zeigte sich während dieser Eröffnungsfeier in einem wunderbaren Gegensatz, den selbst ein Regisseur wie Steven Spielberg nicht besser hätte inszenieren können. Der Gegensatz zwischen dem viel zu langen Auftritt von Thomas Bach, dem deutschen IOC-Präsidenten mit dem Charisma eines Waschmaschinenverkäufers, der diesen Anlass als persönliche Krönungsfeierlichkeit zu verstehen schien, und dem Vorbeimarsch der Sambaschulen.
Die Verkörperung des sportpolitischen Machtmenschen hier, pure Sinnlichkeit und Lebenslust dort. Im gleichen Schauspiel. Im gleichen Akt. Auf der gleichen Bühne. Und wer wollte, konnte gestern Nacht sehen, dass die Welt ein wenig aus den Fugen geraten ist. Die gewählte Präsidentin von Brasilien, des gastgebenden Landes, war nicht da (sie ist in ein Amtsenthebungs-Verfahren verwickelt) und der Interims-Präsident, ihr Platzhalter, wurde mit Pfiffen bedacht.
An einem schöneren Ort, so zwischen Meeresstrand und Bergen, haben die Spiele noch nie stattgefunden, bombastischer sind sie noch nie eröffnet worden. Und wenn der Fremde dann nach Hause ging, so wurde ihm, nachdem er einen Augenblick innegehalten hatte, gerade nach diesem Eröffnungsspektakel auf schmerzliche Art bewusst, dass Rio eine Stadt der extremen sozialen Gegensätze ist.
Wir erleben die ersten Spiele, bei denen die Feuerwerke der Eröffnungsfeier von den Elendsvierteln zu sehen waren. Ja, von einigen dieser Elendsviertel aus geht der Blick sogar in die Wettkampfstätten. Was könnte hier für das Geld, das für ein vierstündiges Schauspiel ausgegeben worden ist, Gutes getan werden! Diese Eröffnungsspektakel war – wenn es denn stimmt – «nur» halb so teuer (etwa 20 Millionen Franken) wie London vor vier Jahren.
Diese Eröffnungsfeier, diese Spiele, diese Stadt – so sinnlich, so faszinierend, so verwirrend und so widersprüchlich zugleich waren Olympische Spiele wohl noch nie.