Würde sich der HC Ajoie, der Klub mit dem kleinsten Budget und Stadion, in der Swiss League nicht wohler fühlen? Es ist eine berechtigte Frage. Die Antwort ist einfach: Ajoie ist in der richtigen Liga. Der Klub hat eine solide wirtschaftliche Basis, die Infrastruktur mit einer kürzlich modernisierten Arena ist sehr gut, der Klub ist als «Nationalmannschaft des Juras» in der lokalen Wirtschaft und Politik sehr gut vernetzt und die leidenschaftlichen Fans lassen sich durch Niederlagen die Freude nicht verderben.
Zwar fehlten am Ende der Saison zu Platz 12 (und dem damit verbundenen direkten Ligaerhalt) 26 Punkte. Aber tatsächlich war Ajoie an vielen Abenden ein zäher Gegner. 14 Mal verlor das Team lediglich mit einem Tor Unterschied, dazu kommen etliche Partien, die Ajoie mit Treffern ins leere Gehäuse höher verlor. Es ist eine Bilanz, die zeigt, wie kompetitiv die Mannschaft war.
Nun ist die Qualität unter anderem mit einem finnischen Stürmertrio verbessert worden. Es sind Spieler, die den Unterschied ausmachen können. Noch immer ist Ajoie nominell das schwächste Team der Liga, die finanzielle Realität wird sich kaum je verändern. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass Ajoie die Saison kurz- oder mittelfristig erstmals nicht auf dem letzten Platz abschliesst.
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Benotung 1 bis 10.
Wenn Christian Wohlwend den perfekten Job macht und sein Kollektiv alle Erwartungen übertrifft, dann wird Ajoie Zwölfter. Das ist das absolute Best-Case-Szenario. Und wenn alles normal läuft, geht es als Letzter ins Playout.
So ist die Realität, deshalb muss die Arbeit von Ajoies Trainer an anderen Faktoren als an der Tabelle und der nackten Punkteausbeute gemessen werden. Bringt er Spieler individuell weiter? Kriegt er es hin, dass seine Mannschaft trotz markantem Talentunterschied eine Siegchance hat? Was den ersten Aspekt angeht, ist ein Jahr zu wenig, um ein faires Urteil zu fällen.
Ajoie ist bei den Junioren nicht in der höchsten Liga vertreten (U20 und U17), die besten Talente verabschieden sich früh nach Biel. Das macht die Weiterentwicklung von jungen Spielern schwierig. Christian Wohlwends Vertrag gilt zwar nur bis 2025, aber es spricht wenig gegen eine Verlängerung. Ajoie spielt unter ihm bisher hart und schnell, hatte praktisch in jeder Partie eine Siegeschance, und seine Spieler haben nie die Leidenschaft und das Selbstvertrauen verloren. Er fühlt sich im familiären Umfeld des Klubs wohl, seine zwei Söhne haben sich dem HCA-Nachwuchs angeschlossen. Christian Wohlwend – ein Hockey-Romantiker unter Hockey-Romantikern.
Das Duo Damiano Ciaccio/Benjamin Conz hütete bereits 2020 bis 2022 in Ambri-Piotta gemeinsam das Tor, ehe die Zusammenarbeit nach je einem zehnten und elften Platz beendet wurde und Ciaccio nach Ajoie wechselte. Conz war schon die Nummer 1 bei Ambri, Lugano, Langnau, Gottéron und die 1b bei Servette. Auch im Herbst der Karriere ist der Nonkonformist bei Weitem genug für Ajoie.
Damiano Ciaccio war letzte Saison ein erstaunlich souveräner Rückhalt, auch dank seiner Paraden durfte Ajoie an der Mehrzahl der Abende auf einen Punktgewinn hoffen. Benjamin Conz ersetzt Tim Wolf (nach Zug) – alles in allem ist Ajoie auf der Goalie-Position mindestens so gut besetzt wie letzte Saison.
Ajoie hat die nominell schwächste Verteidigung der Liga. Die Zuzüge von Marco Maurer (Bern), Tim Minder (Davos) und Arno Nussbaumer (Zug) bedeuten eine Aufwertung und vielleicht wird ja Arno Nussbaumer die Entdeckung der Saison. Und – das ist die andere gute Nachricht – diese Defensive wird immer stabiler. 2021/22 waren es noch 224 Gegentore. 2022/23 noch 192 und nun letzte Saison gar nur 175.
Kloten kassierte mehr Gegentreffer. Schaffen es Christian Wohlwend und sein Assistent, der frühere Weltklasse-Verteidiger (wenn auch mit sehr ausgeprägtem Offensivgeist …) Petteri Nummelin, die Zahl mit diesem Personal auf unter 160 zu drücken, sollte für sie ein Orden kreiert werden – wie wäre es mit dem jurassischen Schwarznasenschafsorden?
Nur 111 Tore – die Verantwortung ruhte letzte Saison auf zu wenig Schultern (Audette, Hazen, Timashov, Gauthier), Ajoie hatte praktisch kein «secondary scoring». Das hatte den unangenehmen Nebeneffekt, dass die besten Kräfte zu grosse Risiken eingehen mussten und sich die Gegner darauf einstellen konnten: Daniel Audette wies am Ende eine Bilanz von Minus 23 aus, Frédérik Gauthier musste sich Minus 21 notieren lassen. Beide sind auch deshalb ersetzt worden.
Vom neuen finnischen Trio Julius Nättinen/Oula Palve/Jerry Turkulainen werden 120 Punkte und darüber hinaus eine defensiv verantwortungsbewusstere Spielweise erwartet. Harmonieren die Finnen und findet das legendäre Duo Jonathan Hazen/Philip Michaël Devos in der Abendröte ihrer Karrieren noch einmal ein kleines bisschen seiner alten Magie, dann sind erstmals seit dem Wiederaufstieg mehr als 130 Tore möglich. Und es wäre hilfreich, wenn einer der Schweizer mindestens 10 Tore erzielen würde – Kyen Sopa, Louis Robin, Thibault Frossard und Reto Schmutz sind – mit etwas Gnade der Hockey-Götter – eigentlich dazu in der Lage.
Präsident Patrick Hauert fährt sei Beginn dieses Jahrhunderts eine kluge Politik der Vernunft, die von allen mitgetragen wird und Ajoie die besten Jahre seiner Geschichte beschert. Die vielen Niederlagen scheinen die Fans mehr zu befeuern als zu frustrieren, der Sportchef klagt nicht über zu wenig Geld, der Trainer arbeitet mit den Spielern, die sich Ajoie halt leisten kann, die lokalen Medien polemisieren nicht, die Politik hat den Ausbau der Infrastruktur ermöglicht und die lokale Wirtschaft hilft nach Kräften.
Das ändert nichts daran, dass Ajoie ein Klub der Romantiker hinter den sieben Jurabergen bleibt und für die meisten Spieler die letzte Möglichkeit ist, doch noch in der höchsten Liga Profi zu sein. Aber langsam, aber sicher beginnt sich unter talentierten jungen Spielern herumzusprechen, dass es auch möglich ist, sich unter Christian Wohlwend zum NL-Stammspieler zu entwickeln.
Eine Saisonvorschau von Eismeister Zaugg mit Rang-Prognosen zu allen Teams folgt kurz vor dem Saisonstart.
Idee, Konzept und Inhalt: Klaus Zaugg. | Redaktionelle Betreuung: Adrian Bürgler, Olivier Meier. | Technische Umsetzung: Nicole Christen, Carlo Natter, Philipp Reich, Jelle Schutter. | Spielerportraits: nationalleague.ch.