ZSC-Trainer Marco Bayer: «Wir Schweizer Trainer müssen uns nicht verstecken»
Jussi Tapola ist nicht mehr länger Trainer des SC Bern. Am Mittwoch, am Tag nach der 1:5-Heimniederlage im Derby gegen Fribourg-Gottéron, wurde der Finne gefeuert. Mit Patrick Schöb steht interimistisch ein 38-Jähriger in der Verantwortung, der nach vielen Jahren bei Nachwuchsteams seit dieser Saison mit Erwachsenen arbeitet; Schöb war einer von Tapolas Assistenten.
Sein Gegenüber heute Abend kennt die Situation, wie es ist, mitten in der Saison eine Mannschaft zu übernehmen, bestens. Marco Bayer ersetzte bei den ZSC Lions in der vergangenen Saison Marc Crawford, weil der Kanadier aus gesundheitlichen Gründen aufhören musste. Bayer führte die Zürcher wenig später zum Gewinn der Champions Hockey League und dem zweiten Meistertitel in Folge.
Trainerwechsel in ungewöhnlicher Lage
Im Rückblick spricht der 53-Jährige von einem harzigen Einstieg. «Es war keine einfache Situation, weil der Trainerwechsel nicht in einer schwachen Phase stattfand, wie das in der Regel der Fall ist.» Crawford hatte ihm die Lions als Leader der National League übergeben. «Wir haben uns nach einigen Partien gefunden. Die Spieler haben gemerkt, dass ich nicht Marc Crawford bin und einen anderen Führungsstil habe, eine andere Philosophie, wie ich mit Spielern umgehe und sie miteinbeziehen möchte. Das brauchte einen Moment, aber es fruchtete.»
Bayer sagt, er sei einer, der versuche, auf sein Gegenüber einzugehen: ein offenes Ohr zu haben, eine positive Stimmung zu verbreiten. «Im Alltag, in den Nachrichten, ist immer nur alles negativ. Ich versuche, Positives einzubringen. Ich denke, das ist meine Stärke.»
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Den Künstlern Raum lassen
Auf dem Eisfeld setzt er auf eine Mischung aus Kontrolle und Eigenverantwortung. «In der Defensivzone gibt es keine Abkürzungen, da müssen sich die Spieler an den Gameplan halten», betont Marco Bayer. In der neutralen Zone wolle er ein gradliniges Spiel sehen, aber in der offensiven Zone gebe er seinen Akteuren nur eine, vielleicht zwei Vorgaben mit. «Ich will den Spielern Raum für Kreativität lassen. Denn was soll ich einem wie Denis Malgin sagen, er müsse von A nach B passen und von C nach D? Dann denkt er: ‹Coach, was läuft mir dir?!›»
Bei einem Team mit der spielerischen Klasse der Zürcher ist der Headcoach vielleicht tatsächlich noch mehr als anderswo für den Kopf zuständig. Bayer nimmt die Spieler in die Pflicht, weiter Gas zu geben. «Schon als wir nach dem Sieg im Playoff-Final aus Lausanne nach Hause fuhren, sagten sie mir: ‹Marco, nächste Saison wollen wir wieder den Titel.› Das nehme ich ihnen ab. Aber klar, wir sind Menschen und wenn wir etwas erreicht haben, sind wir womöglich ein wenig gesättigt. Es ist meine Aufgabe, die Spieler zu pushen und sie auch an ihre Worte damals im Car zu erinnern.»
Fokus auf eigene Stärken
Die National League ist derzeit sehr ausgeglichen, jeder kann jeden schlagen. Wer da nicht mit der richtigen Einstellung antrete, könnte es auch gleich lassen, findet der Meistertrainer. «Die Liga ist so kompetitiv, wenn du an einem Abend nur mit 95 Prozent aufläufst, verlierst du. Da bin ich gefordert. Aber die Tendenz stimmt, wir sind auf dem richtigen Weg.»
Bayer coacht mit den ZSC Lions zweifellos eines der besten Teams der Liga. Entsprechend treten die Zürcher mit dem Anspruch an, das Spiel zu bestimmen. «Es wäre völlig falsch, sich nicht auf den Gegner einzustellen. Aber wir fokussieren uns auf uns, denn unsere Performance ist entscheidend», sagt Bayer.
Vom jeweils nächsten Gegner schaut er sich dessen letzte 3 Partien – vor allem die ersten 40 Minuten – an, um dessen DNA zu entschlüsseln. «Im ersten Drittel siehst du, wie ein Team eingestellt ist und wie es versucht, sein Spiel durchzubringen. Sehr oft gibt es dann im zweiten Drittel Anpassungen, und diese zu sehen, ist sehr wichtig für mich.» Aus Bayers Erkenntnissen entstehen kurze Videosequenzen, die er der Mannschaft am Morgen des Spiels präsentiert.
«Da schläft mir das Gesicht ein»
Zuschauern im ZSC-Tempel in Altstetten zeigt er anderes. «Wenn mich Leute, die in der 16. oder 17. Reihe sitzen, fragen, ‹Wieso hast du nicht?› oder ‹Da hättest du dies machen sollen oder das›, dann sage ich: Komm einmal nach vorne und schau in der 1. Reihe zu.» Manch einer mache das und sei dann erstaunt, wie Eishockey aus nächster Nähe sei. «Du hast keine Zeit, keinen Raum, es geht brutal schnell.»
Kein Vergleich zu Marco Bayers eigener Zeit als Spieler, der zwischen 1989 und 2009 aktiv war und mit Kloten zwei Mal Meister wurde. «Wenn ich Aufnahmen von mir als Spieler sehe, schläft mir das Gesicht ein», sagt er und lacht. Der Unterschied zwischen dem Eishockey damals und dem heute sei riesig, «eine andere Sportart».
Ein reich gefüllter Rucksack
Kein bisschen verändert hat sich Bayers Leidenschaft. «Ich bin Hockey, 24/7, das ist meine Passion», sagt er im Podcast. Deshalb sei er nach dem zweijährigen Engagement als Sportchef der SCL Tigers (2018 bis 2020) auch an die Bande zurückgekehrt. «Die tägliche Arbeit mit den Spielern fehlte mir.» Dennoch war jene Zeit mitnichten eine verlorene. «Es war wichtig für mich, meinen Rucksack mit diesen Erfahrungen zu füllen. Ich sage Sven Leuenberger (dem Sportchef der ZSC Lions, Anm. d. Red.) deshalb nicht, was er tun sollte. Aber das Verständnis für seine Arbeit ist da und das ist etwas, das mir beim Coaching hilft.»
Arno Del Curto bezeichnet er als «eines meiner grössten Vorbilder», Bayer schwärmt von Wladimir Jursinow («eine Ikone») und meint, Alpo Suhonen komme seinem Coaching-Stil wohl am nächsten: «Das Menschliche, Ruhige, Kontrollierte.»
Und er ist voll des Lobes für Patrick Fischer, den Schweizer Nationaltrainer. Bayer war einer seiner Assistenten, arbeitete schon als Junioren-Nationalcoach eng mit Fischer zusammen. «Er war es, der Schweizer Coaches in die Liga brachte. Er pushte immer wieder in diese Richtung. Wir sind mit der Nati deshalb da, wo sie jetzt ist, weil ‹Fischi› immer ehrlich und direkt ist. Und er sieht immer das Positive.»
Er sei sehr glücklich darüber, dass zunehmend mehr Schweizer Trainer die Chance erhalten würden, ihr Können zu zeigen, sagt Bayer. Der EV Zug setzt neuerdings auf Michael Liniger, die SCL Tigers auf Thierry Paterlini, Ambri-Piotta auf Luca Cereda. «Wir Schweizer Trainer müssen uns nicht verstecken. Wir kennen die Kultur und die Spieler sehr gut.»
Heute Abend bei ZSC – SCB wird an der Bande Schweizerdeutsch gesprochen. Patrick Schöb überzeugt die Bosse beim SC Bern vielleicht in den nächsten Wochen davon, dass auch er eine langfristige Lösung sein kann – so wie das Marco Bayer in Zürich ist.