Es ging ursprünglich um einen Fall von sexuellem Missbrauch aus dem Sommer von 2018. Acht Spieler der kanadischen Nachwuchsliga CHL (wo Spieler im Normalfall zwischen 17 und 20 Jahre alt sind) sollen eine betrunkene Frau mehrfach sexuell misshandelt haben. Einige der mutmasslichen Täter sollen auch Teil der U20-Nationalmannschaft gewesen sein, die im Januar 2018 Gold an der U20-Weltmeisterschaft gewonnen hatte.
Das Opfer, das anonym bleiben möchte, hat im April dieses Jahres eine Klage gegen die acht Spieler, den kanadischen Hockeyverband und die CHL eingereicht. Die Parteien einigten sich aussergerichtlich. Hockey Canada zahlte der Frau eine Abfindung in Millionenhöhe.
Seither hat der Fall grosse Wellen geschlagen. Der Boss des kanadischen Verbands musste vor der Regierung in Ottawa zur Befragung antraben. Diverse Sponsoren kündigten an, die Partnerschaft mit Hockey Canada zu beenden, sofern der Verband nicht beginne, die kulturellen Probleme im Eishockey zu bekämpfen.
In der Folge ist noch ein älterer Fall aufgetaucht. Auch 2003 soll es rund um die U20-Nationalmannschaft Kanadas ebenfalls zu sexuellem Missbrauch gekommen sein. Die Polizei von Halifax teilte mit, nach einem entsprechenden Hinweis Ende letzter Woche Ermittlungen aufgenommen zu haben.
An einer Gala des kanadischen Hockeyverbands am 19. Juni 2018, bei der auch die Mitglieder der weltmeisterlichen U20-Nationalmannschaft geehrt worden sind, hat die damals 20-jährige Frau einen Hockeyspieler kennengelernt. Mit ihm und einigen seiner Kollegen feierte sie einen Abend lang, ehe sie mit einem von ihnen in ein Hotelzimmer verschwand und dort einvernehmlichen Geschlechtsverkehr hatte.
Die Frau war dabei gemäss eigenen Aussagen stark betrunken. Danach sollen sieben weitere junge Eishockeyspieler das Zimmer betreten haben. Der erste Beschuldigte soll diese ohne das Einverständnis der Frau eingeladen haben. In der Folge sei sie stundenlangem sexuellem Missbrauch ausgesetzt gewesen und zu Oral- und Vaginalverkehr gezwungen worden. Die Spieler hätten sie unter Druck gesetzt, als sie versuchte, das Zimmer zu verlassen. Und am Ende hätten sie die Frau gezwungen zu duschen, und dann eine Videoaufnahme zu machen, in der sie aussagt, sie sei nüchtern gewesen und habe für die sexuellen Handlungen eingewilligt.
Im April 2022 reichte das mutmassliche Opfer beim Ontario Superior Court in London eine Klage gegen die acht Spieler, den kanadischen Eishockeyverband und die CHL ein. Nur etwas mehr als einen Monat später einigten sich die Parteien aussergerichtlich. Der Verband zahlte eine Abfindung in Millionenhöhe.
Das Interesse der Öffentlichkeit war geweckt. Die kanadische Regierung lud die Verantwortlichen des Verbands zu einer Befragung ein. Dabei ging es auch darum, ob Hockey Canada staatliche Gelder zur Zahlung der Abfindung verwendet hatte, was die Verantwortlichen verneinten.
Im Laufe der Befragung und den Wochen darauf kamen weitere Details und Versäumnisse von Verbandsseite ans Licht. Etwa, dass die Teilnahme der Spieler an der internen Untersuchung zum Fall freiwillig gewesen war. Oder dass der Verband einen Fonds betreibt, der eigens dazu gedacht ist, unversicherte Vorfälle, wie etwa Schmerzensgeldzahlungen nach sexuellem Missbrauch, zu decken. Finanziert wird der Fonds mit Lizenzgebühren von Spielerinnen und Spielern aus dem ganzen Land.
A very unhappy Scotiabank takes out full page ad in Globe to say it is pausing its sponsorship of Hockey Canada over the way it handled allegations of player assault. Money will instead go to other programs and a charity backing women victims of gender-based violence #hockey pic.twitter.com/a10oMzR015
— David Ljunggren (@reutersLjungg) June 28, 2022
Die kanadische Regierung kündigte an, keine staatlichen Unterstützungsgelder (bislang 7,8 Millionen Dollar jährlich) mehr an Hockey Canada zu zahlen. Namhafte Sponsoren wie Scotiabank, Canadian Tire und Tim Hortons pausierten die Zusammenarbeit mit dem Verband. Sowohl der Verband als auch die Polizei von London, Ontario, kündigten in der Folge an, den Fall von 2018 neu aufzurollen.
2003 fand die U20-Weltmeisterschaft in Halifax, Kanada, statt. Nun soll ein Video aufgetaucht sein, das rund sechs Spieler der damaligen U20-Nationalmannschaft Kanadas beim sexuellen Missbrauch einer regungslosen Frau zeigt. Drei verschiedene Quellen bestätigten gegenüber Investigativ-Journalist Rick Westhead, dass dieses Video existiere und der Missbrauch so stattgefunden habe.
Die Polizei von Halifax teilte mit, dass eine Untersuchung gegen die Mannschaft von 2003 gestartet wurde. Man nehme diesen Vorfall sehr ernst und werde eine gründliche Untersuchung durchführen, hiess es von Seiten der Polizei.
Die zwei jüngsten Fälle rund um die kanadischen U20-Nationalteams von 2018 und 2003 sind zwei von vielen ähnlichen Fällen, die im nordamerikanischen Eishockey in den letzten Jahren bekannt wurden. Aktuell laufen auch Gerichtsverfahren wegen angeblichen sexuellen Missbrauchs gegen den früheren Vancouver-Canucks-Stürmer Jake Virtanen.
Source tells me QMJHL President Gilles Courteau & league's insurer may be asked during testimony next Wed. about Victoriaville players Nicholas Daigle & Massimo Siciliano, who are charged w/ sexually assaulting a woman in a hotel in June 2021. Players' next court date is Aug. 4.
— Rick Westhead (@rwesthead) July 22, 2022
Mit Nicolas Daigle und Massimo Siciliano stehen zudem zwei weitere kanadische Nachwuchsspieler wegen sexueller Nötigung einer Frau in einem Hotelzimmer vor Gericht.
Der Image-Schaden des kanadischen Hockey-Verbands ist riesig. Während der ersten Befragung vor dem kanadischen Parlament in Ottawa wurde bekannt, dass Hockey Canada jährlich mit mehreren Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs konfrontiert wird. Es hagelt Kritik dazu, wie der Verband bislang mit solchen Vorfällen umgegangen ist. Der konservative Parlamentarier John Nater verlangt vom Verband, öffentlich zu machen, wie viele solcher Anschuldigungen in der Vergangenheit aufgetaucht seien und wie viele Schmerzensgeldzahlungen Hockey Canada getätigt habe.
MP John Nater: "We’re talking about Canada’s elite national team and to hear allegations like this is just disgusting."@JohnNaterMP says he wants Hockey Canada to disclose how many historical complaints have been made and how many "quiet payments" have been made. https://t.co/ExNRki11nR
— Rick Westhead (@rwesthead) July 22, 2022
Es sei äusserst beunruhigend, dass der Verband es offenbar als wichtiger empfinde, einen Fonds aufzubauen, um Schmerzensgelder zu zahlen, als die kulturellen Probleme innerhalb des Sports anzugehen, sagte Parlamentarier Chris Bittle.
Am Dienstag und Mittwoch berät der Ausschuss für das kanadische Kulturerbe im Parlament von Ottawa erneut über die Rolle des Verbands im Fall von 2018. Auch die Verantwortlichen von Hockey Canada wurden abermals zu einer Befragung vorgeladen.
Premierminister Justin Trudeau sagte unlängst: «Es ist aktuell sehr schwierig für Kanadierinnen und Kanadier, Vertrauen in irgendjemanden bei Hockey Canada zu haben.» Und es müsse noch viel mehr passieren, damit der Verband das Vertrauen der Eltern des Landes wieder zurückgewinne.
content warning//sexual violence@Steve_Dangle @AdamWylde and @JesseBlake continue to talk about Hockey Canada on the latest #SDP and the international embarrassment of the organization
— sdpn (@sdpnsports) July 24, 2022
🎧: https://t.co/wUTXn6qB6H
📺: https://t.co/UZQ8SNchEL pic.twitter.com/HgB2HorHtf
Gewisse Stimmen in Kanada gehen gar so weit zu fordern, dass der Verband komplett aufgelöst und neu organisiert werden soll. So oder so werden die kommenden Tage prägend für den grössten nationalen Hockey-Verband der Welt.
A woman referred to in court documents as "E.M." claimed she was repeatedly assaulted by 8 players while intoxicated in a hotel room following a Hockey Canada Foundation gala and golf event in London, Ont., in June of 2018. https://t.co/BwUbvlCsQx
— Rick Westhead (@rwesthead) May 26, 2022
Here is my statement regarding the ongoing Hockey Canada investigation: pic.twitter.com/bE3WnuxyLU
— vmete98 (@vmete98) June 30, 2022