Wenn du vor einigen Jahren einem NHL-Fan gesagt hättest, dass bald ein Spieler mehr Tore auf dem Konto haben wird als Wayne Gretzky, hätte er wohl nur müde gelächelt. «The Great One», wie Gretzky in Nordamerika oft genannt wird, hatte mit seinen 894 Toren in den 1980er- und 1990er-Jahren schliesslich einen «Rekord für die Ewigkeit» aufgestellt.
Doch die Ewigkeit endet jetzt. Alexander Ovechkin, der russische Starstürmer der Washington Capitals, hat soeben das 894. Tor seiner NHL-Karriere erzielt und ist mit Gretzky gleichgezogen. Schon am Sonntag könnte er alleiniger Rekordhalter werden. Das zeigt, wie unfassbar gut der mittlerweile 39-Jährige war und auch immer noch ist.
Eigentlich hatte wenig dafür gesprochen, dass ein Spieler irgendwann auch nur in die Nähe von Gretzkys Rekord kommt. Vielleicht wäre Mario Lemieux ein Kandidat gewesen, hätten ihm nicht eine Krebserkrankung und diverse Verletzungen einen fetten Strich durch die Rechnung gemacht. Ansonsten kam selbst der «ewige» Jaromir Jagr, der die NHL erst mit 46 Jahren verliess, nicht einmal in die Nähe der Bestmarke von #99.
Auch bei Ovechkin sprach wenig dafür, ja gar vieles dagegen, dass er dereinst Gretzkys Rekord brechen könnte. Als der Russe 2004 als Nummer 1 von den Washington Capitals gedraftet wurde, war zwar klar, dass er ein herausragender Sniper ist. Doch die NHL war zu diesem Zeitpunkt gerade am langsamen Ende der «Dead-Puck-Era» – noch nie war es in der besten Eishockey-Liga der Welt schwieriger, Tore zu schiessen. Die Ausrüstungen der Torhüter waren deutlich grösser und breiter als zu den Zeiten Gretzkys. Die Teams priorisierten defensive und taktische Disziplin über allem anderen.
Zudem ist Ovechkins Karriere auch geprägt von ausgefallenen Spielen. Nicht, weil der Russe verletzungsanfällig wäre, sondern aufgrund von äusseren Faktoren. Als Ovis NHL-Laufbahn im Herbst 2004 hätte beginnen sollen, fiel die gesamte Spielzeit wegen eines Lockouts aus. 2012 war es die halbe Saison, die ebenfalls wegen eines Streiks ins Wasser fiel. Und 2019/20 und 2020/21 war die Regular Season jeweils wegen der Covid-19-Pandemie verkürzt. Umso beeindruckender ist es, dass Ovechkin Gretzkys Rekord nun trotzdem egalisiert hat.
Geschafft hat der Russe das auch dank seiner Langlebigkeit. In seiner nun schon 20 Jahre dauernden NHL-Karriere hat er nur wenige Spiele wegen Verletzungen oder Krankheiten verpasst. Dabei ist Ovi beileibe kein Modell-Athlet – zumindest was die Ernährung angeht.
Vor jedem Spiel isst der Russe Chicken Parmigiana von Mamma Lucia's – ein Pastagericht mit Tomatensauce und einem panierten, mit Käse überbackenen Pouletschnitzel. Auf der Spielerbank während der Partien ist er bekannt dafür, Pepsi zu trinken. Und als Snack für zwischendurch mag er Flaming Hot Cheetos und Sandwiches von Subway.
Alex Ovechkin's drink of choice during games may surprise you🥤
— SportsCenter (@SportsCenter) December 11, 2021
📺: Penguins-Captials, ESPN+ pic.twitter.com/ZU5qSh0OfU
Der neue Rekordhalter ist aber alles andere als unumstritten – vor allem wegen seiner Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. Ovechkin hat sich nie vom russischen Angriffskrieg in der Ukraine distanziert. Als der Krieg begann, sagte er nur, er sei kein Politiker, aber «Putin ist mein Präsident». Später fügte er hinzu: «Bitte keinen Krieg mehr. Es spielt keine Rolle, wer im Krieg ist – Russland, die Ukraine oder andere Länder.»
Dass Ovi das russische Staatsoberhaupt schon länger unterstützt, ist gut dokumentiert. 2017 gründete er das Putin-Team, um diesem bei der Wiederwahl 2018 zu helfen. Das Profilbild des NHL-Stürmers auf Instagram zeigt ihn immer noch gemeinsam mit Putin. Die Erklärungsversuche, dass der 39-Jährige das Profilbild nicht ändere, um seine Familie in Russland zu schützen, greift zu kurz. Daria Kasatkina, die russische Tennisspielerin, die seit kurzem für Australien aufläuft, hat ebenfalls Familie, die noch in Russland lebt und Putin und seinen Krieg trotzdem lautstark kritisiert.
Dass die NHL Ovechkins Rekordjagd als «The Gr8 Chase» über Monate abfeierte, stiess deshalb vielen Beobachtern sauer auf. Lautstarke Kritiker sind unter anderem die tschechische Goalie-Legende Dominik Hasek und der kanadische Eishockey-Kommentator Paul Romanuk. Letzterer sagte: «Der Eishockey-Fan in mir bewundert Ovechkins Leistungen als Spieler. Aber ich habe keinen Respekt vor diesem Mann, seinen politischen Ansichten und vor den Leuten, mit denen er sich zusammentut.»
My message to ice hockey fans and especially to those who value human life above an athlete’s career.
— Dominik Hasek (@hasek_dominik) March 27, 2025
Maybe this or next month Wayne Gretzky’s all-time @NHL goal record will be equaled and broken, and a Russian citizen will become its new owner. Under normal circumstances, it…
Viele Kanadier dürften diesbezüglich ziemlich im Clinch sein. Einerseits gibt es im Mutterland des Eishockeys eine grosse ukrainische Auswanderergemeinschaft. Andererseits hat bei ihnen auch Wayne Gretzky in den vergangenen Monaten viel an Kredit verloren. Dies, weil er sich dem US-Präsidenten Donald Trump anbiedert, obwohl dieser Kanada mit der Annexion zum 51. US-Bundesstaat droht.
Der Liga und Ovechkin dürfte das alles am Ende ziemlich egal sein. Sie haben ihren grossen Moment zelebrieren können und die Ovi-Party dauert noch länger an. Schliesslich kann der Russe jetzt den Rekord auch noch brechen und weiter ausbauen. Bleibt nur noch die Frage: Ist Ovechkins Marke, wenn er seine NHL-Karriere beendet, dann anders als jene von Gretzky tatsächlich eine für die Ewigkeit?