Auf dem Eis sind beide unerschrocken und voller Selbstvertrauen – daneben präsentieren sie sich zurückhaltend, ihnen ist die Unerfahrenheit anzumerken. Muggli antwortet im Gespräch mit Keystone-SDA auf die Frage, welchen Stellenwert die U20-WM für ihn habe: «Zuerst einmal muss ich mir einen Platz erkämpfen.» Dass er sowieso dabei sei, hört er nicht gerne. «Es fängt immer bei null an. Es spielt keine Rolle, was vorher war.»
Diese Aussage ist aller Ehren wert. Denn U20-Nationaltrainer Marcel Jenni kann es sich schlichtweg nicht leisten, auf einen Spieler wie Muggli zu verzichten. Mit welcher Stilsicherheit er in der National League bereits agiert, ist imponierend. Dabei war Muggli im Sommer in die erste Mannschaft des EV Zug integriert worden mit dem Plan, im Training Erfahrungen auf diesem Niveau sammeln zu können. Trainer Dan Tangnes hatte nicht vor, ihn regelmässig einzusetzen.
Muggli beeindruckte aber dermassen, dass er vor dem Einrücken ins Camp der U20-Nationalmannschaft in 25 von 29 Partien der Zuger in der höchsten Liga berücksichtigt wurde. Im Durchschnitt stand er während 11:50 Minuten auf dem Eis, während derer er nicht nur defensiv überzeugte. Auch der offensive Output kann sich mit zwei Toren und sieben Assists sehen lassen. Der Puck, mit dem er seinen ersten Treffer in der National League erzielt hat, befindet sich nach wie vor im Necessaire.
Er habe schon etwas Angewöhnungszeit gebraucht, sagt Muggli. «Das Tempo nimmst du allerdings sehr schnell an. Dieses ist in den Trainings fast noch höher als in den Spielen.» Hilfreich ist auch, dass es Tangnes egal ist, wenn er einen Fehler macht, solange er etwas probiert. Das grosse Vertrauen lässt Muggli frei aufspielen. Zudem versuche er auszublenden, wer sein Gegner sei. Als grösste Herausforderung in der National League bezeichnet er die Zweikämpfe in den Ecken.
Seine Unerschrockenheit führt Muggli auch darauf zurück, dass er zwei ältere Brüder hat, die ebenfalls vom Eishockey-Virus befallen sind. «Ich habe immer gegen sie Strassenhockey gespielt. Von daher bin ich es mir gewohnt, mich mit grösseren und stärkeren Gegnern zu messen.» Der 20-jährige Tim, der mittlere der drei Brüder, spielt ebenfalls bei Zug in der National League, der 22-jährige Gian ist nun Schiedsrichter.
What a story! Leon Muggli schiesst sein erstes NL-Tor und den zweiten Assist liefert Bruder Tim.#NationalLeague I #IchbinFan I @official_evz pic.twitter.com/M6QJvoCinh
— MySports (@MySports_CH) November 4, 2023
Tim war der Erste, der mit Eishockey anfing. Dass Leon ihm folgte, ist ein Glücksfall für das Schweizer Eishockey. «Es macht so viel Spass, ihn zu sehen», sagt Zugs schwedischer Verteidiger Lukas Bengtsson. «Er nimmt nichts für selbstverständlich, ist neugierig, pusht sich selber, arbeitet jeden Tag hart. Ich glaube, er hat gute Chancen, eines Tages in der NHL zu spielen, wenn er so weitermacht.»
An Beachtung von NHL-Scouts mangelt es jedenfalls nicht, was auch für Daniil Ustinkov gilt. Beide interessiert das Draft-Ranking allerdings nicht, sie leben vielmehr im Moment. Ustinkov, der bereits mit 16 Jahren in der höchsten Liga debütiert hat, kommt bei den ZSC Lions in dieser Saison ebenfalls regelmässig in der National League zum Zug. Er bringt es auf 17 Einsätze mit einer durchschnittlichen Eiszeit von 7:51 Minuten.
Um dort zu bestehen, musste er seinen Spielstil ändern, hielt er doch bei den Junioren die Scheibe oft zu lang. Ohnehin ist er ein Spieler, der Neues rasch umsetzt; er verfügt über einen guten Eishockey-IQ. ZSC-Trainer Marc Crawford pusht und fordert ihn, was Ustinkov sehr schätzt: «Er meint es nur gut mit mir.»
Ustinkov kam in Russland zur Welt und wuchs dort bis zum fünften Lebensjahr auf, ehe die Familie in die Schweiz zog. Er war wegen seiner älteren Schwester, die mit Eiskunstlauf begonnen hatte, früh regelmässig in der Eishalle, was dazu führte, dass er noch in Moskau die Eishockey-Schule besuchte. Kaum in der Schweiz, schloss er sich den ZSC Lions an.
Mit 15 Jahren erhielt Ustinkov den Schweizer Pass. In Russland hat er noch Grosseltern, und zu Hause spricht er nach wie vor Russisch, er fühlt sich aber mehr als Schweizer. Ordnung ist allerdings nicht so seine Sache. Bis im Sommer besuchte er die United School, nun ist er auf der Suche nach einer Online-Schule, da es sich aufgrund des Stundenplans nicht mehr mit dem Sport vereinbaren liess. Einen Abschluss zu haben ist ihm «sehr wichtig, da man nie weiss, was passiert».
Einen Profivertrag besitzt er wie Leon Muggli noch nicht, beide werden pro Spiel entschädigt, was sich bald ändern wird. ZSC-Routinier Christian Marti sagt über Ustinkov: «Am Anfang hatte er etwas Mühe, aber er spielt immer besser. Er kann definitiv gut werden. Sein Talent allein wird ihm jedoch nicht viel nützen. Nun liegt es an ihm, ob er Kritik aufnimmt und weiter an sich arbeitet.»
Wie auch immer dürften Muggli und Ustinkov, die hie und da zusammen Golf spielen, noch für einige Schlagzeilen sorgen – am besten schon an der U20-WM in Göteborg. Die Schweizer treffen in der Vorrunde in der Gruppe B auf die Slowakei (27. Dezember, 12.00 Uhr), die USA (28. Dezember, 17.00 Uhr), Aufsteiger Norwegen (30. Dezember, 17.00 Uhr) und Tschechien (31. Dezember, 17.00 Uhr). Die ersten vier Mannschaften erreichen die Viertelfinals, die wie stets das Ziel sind.
Für Trainer Marcel Jenni ist die Qualifikation dafür alles andere als ein Selbstläufer. «Die Slowaken sowie Tschechen sind uns bezüglich der Breite in dem Alter einiges voraus, und die Norweger befinden sich, was die Qualität der Mannschaft betrifft, auf Augenhöhe mit uns. Es ist nicht so, dass wir sie locker schlagen, wie das in der Schweiz die Meinung ist.»
Die USA sind gegen die Schweiz ohnehin der Favorit. Dennoch strotzt Jenni vor Optimismus. «Im November (beim Fünf-Nationen-Turnier) waren wir noch komplett überfordert und ging alles viel zu schnell. Die Gruppe hat jedoch enorme Fortschritte gemacht. Wir sind eine mutige Mannschaft, die jede Herausforderung annimmt und sich nicht versteckt. Ein grosses Herz kann vieles kompensieren.» (ram/sda)