
Schieds- und Linienrichter bei der Bank der ZSC Lions.Bild: keystone
Eismeister Zaugg
Chaos und Missmanagement gefährden ein erstklassiges Produkt. Die National League desavouiert ihre Schiedsrichter in einer Art und Weise, die es weltweit in einer ernstzunehmenden Eishockeykultur noch nie gegeben hat.
28.01.2023, 15:4029.01.2023, 14:37
Der Fehlentscheid beim Zürcher Derby vom Mittwoch – nach minutenlanger Videokonsultation wird das irreguläre 1:0 der ZSC Lions gegen Kloten gegeben – erschüttert die Liga in den Grundfesten.
Die Liga selbst hat nun ohne jede Not auf ihrer offiziellen Website ausführlich und mit Videosequenz illustriert den Fehlentscheid unter dem Titel «Das 1:0 hätte nicht zählen dürfen» angeprangert. Mit der unmissverständlichen Schlussbemerkung: «Der Treffer hätte nach dem Videoreview annulliert werden müssen.»
Die umstrittene Szene im Video.
So sind den Schiedsrichtern die Hosen von einer Liga – also von der Institution, deren Pflicht es ist, die Integrität und Autorität der Schiedsrichter zu schützen – noch nie in der Geschichte (seit 1908) heruntergelassen worden.
Für einen VAR-Room ist angeblich kein Geld da
Die Liga desavouiert also ihre eigenen Schiedsrichter. Das ist umso schlimmer, weil diese gerade in diesem Fall mehr «Opfer» als «Täter» sind. Die Unparteiischen sind durch eine von den Klubmanagern aufgezwungene, absurde, von den internationalen Normen abweichende Regelinterpretation in eine unhaltbare Situation manövriert worden. Investitionen, um wenigstens die Arbeitsbedingungen zu verbessern (wie ein VAR-Room) lehnen die Klubs ab. Sie benötigen jeden Franken für Spielerlöhne.
Dass Fehlentscheide intern aufgearbeitet werden, ist selbstverständlich. Das gehört zur Leistungskultur. Dass die interne, für die Klubs bestimmte Aufarbeitung der Schiedsrichterabteilung von der Liga ohne ausdrückliche Rück- und Absprache ins Netz gestellt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, ist weltweit einmalig. Die Unabhängigkeit und der Schutz der Schiedsrichter haben in jeder ernstzunehmenden Liga der Welt oberste Priorität.
Eine öffentliche Demontage der Schiedsrichter ruiniert auf Dauer die Kultur einer Liga. Erst recht, wenn es nicht um ungenügende Leistungen geht. Sondern um unzumutbare, zu hundert Prozent von den Klubs zu verantwortende Bedingungen für die Arbeit der Schiedsrichter wie in diesem Fall aus dem Zürcher Derby.
Dazu kommt ein weiterer gravierender Verstoss der Liga gegen die Integrität der Schiedsrichter. Der Informationsaustausch der Schiedsrichter bei der Beurteilung von Fünfminuten-Ausschlüssen ist entgegen der wiederholten ausdrücklichen Bitte der Schiedsrichterabteilung in TV-Übertragungen zu hören.
Brunners messerscharfe Kritik
Es gibt nicht nur eine Unabhängigkeit und Unantastbarkeit der Schiedsrichter, die auf dem Eis durch Regeln geschützt wird. Es gibt diese Unabhängigkeit auch neben dem Eis. Diesen Schutz neben dem Eis haben unsere Schiedsrichter verloren.
Dazu kommen weitere Vorfälle, die es nur in «Busch-Ligen» gibt. Jede ernstzunehmende Liga der Welt untersagt öffentliche Kritik an den Schiedsrichtern durch Spieler und Trainer. Bei uns wird mit dem Hinweis auf Meinungsfreiheit inzwischen alles toleriert, wie zuletzt die völlig überzogene Kritik von Damien Brunner an der Offside-Video-Überwachung. Ein Spieler, der sich mit Kritik auf Kosten und Glaubwürdigkeit der Liga (also des Produktes Eishockey, das ihn nährt) profiliert, wird in jeder ernstzunehmenden Liga gebüsst und allenfalls gesperrt.
Zur Führungslosigkeit der Liga passt die Schuldenwirtschaft von Lausanne (u. a. Löhne von international hoch respektierten Trainern nicht bezahlt), die der Reputation unserer Liga international schadet.
Talente fliehen aus der Schweiz
Eine Folge der Führungslosigkeit ist auch die Aufstockung der Liga auf heute 14 Teams. Während im Fussball auch während der Pandemie die bestehende Auf-/Abstiegsregelung gültig war, haben die Eishockeyklubs durchgesetzt, dass auf den Abstieg verzichtet wird. Dafür mag es gute Gründe gegeben haben. Aber gleichzeitig ist der Aufstieg beibehalten worden. Was zur Folge hat, dass nun die zweithöchste Liga in eine Existenzkrise geraten ist und die höchste Liga nach übereinstimmenden Meinungen eigentlich wieder von 14 auf 12 Teams reduziert werden müsste. Inzwischen gerät die gesamte Nachwuchsausbildung aus den Fugen und die besten Talente fliehen im Juniorenalter nach Skandinavien und Nordamerika.
Die National League ist sportlich attraktiv, ausgeglichen und eine der besten der Welt. Das Problem: Die Liga wird nicht geführt. Der kluge Opportunist Denis Vaucher verwaltet die Liga wie ein auf Wiederwahl bedachter Politiker, beugt sich wie ein Halm im Wind jedem Lüftchen, das aus einem Klubmanagerbüro weht.
Vaucher und das Pilatus-Prinzip
Es sind die Klubmanager, die inzwischen mal so, mal so ihre eigenen Interessen auf Kosten des Gesamtwohls der Liga nach Belieben durchsetzen können. Was sich auch in der Erhöhung von vier auf sechs Ausländer gezeigt hat. Die Klubs konkurrenzieren sich wirtschaftlich und sportlich intensiv. Erst recht bei der aktuellen Ausgeglichenheit. Da ist eine starke, glaubwürdige und durchsetzungsstarke Führung der Liga von entscheidender Bedeutung.
Das von Denis Vaucher virtuos zelebrierte Pilatus-Prinzip – die Hände in Unschuld waschen und darauf hinweisen, dass es zwar nicht richtig sei, dass er es anders haben möchte, dass es die anderen (die Klubmanager) halt so wollen, dass er ja nur ein Angestellter der Liga sei und dass er keine Einflussmöglichkeit habe – ist verhängnisvoll. Zur Erklärung: Der römische Statthalter Pilatus hat zum Zeichen seiner Unschuld nach dem Todesurteil an Jesus ein Reinigungsritual durchgeführt (die Hände gewaschen), um zu zeigen, dass dieses Todesurteil seiner Ansicht nach nicht nötig wäre, nicht seiner eigenen Entscheidung, sondern Sachzwängen geschuldet sei und somit nicht seine Schuld sein könne. Wobei Denis Vaucher nach allem, was wir über die Zeit der Römer in Palästina wissen, in der Liga eine ungleich grössere Gestaltungkraft hätte als damals Statthalter Pilatus.

Ligaboss Denis Vaucher (rechts) mit Jan Kovar, dem MVP der letzten Playoffs.Bild: keystone
Am Mittwoch treffen sich die Liga-Manager zu einer Sitzung. Dabei geht es auch um die unhaltbaren Zustände der Arbeitsbedingungen für die Schiedsrichter. Noch kann verhindert werden, dass die Liga führungslos mit einem Videochaos in die vielleicht besten Playoffs der Geschichte taumelt.
Es geht um die Glaubwürdigkeit und damit letztlich um die Qualität und den Erfolg der Liga. Glaubwürdigkeit ist im Sport noch wichtiger als Geld.
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quelle: keystone / ennio leanza
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