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Eismeister Zaugg: Alles spricht bei Biel für dramatisches Scheitern, aber…

Biels Gaetan Haas, Top Scorer Mike Kuenzle und Luca Cunti, von rechts, zeigen Enttaeuschung nach der Niederlage im vierten Eishockey Playoff-Viertelfinalspiel der National League zwischen dem EHC Biel ...
Enttäuschte Gesichter beim EHC Biel nach der erneuten Niederlage.Bild: keystone
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Verlieren ohne Sündenböcke: Alles spricht bei Biel für dramatisches Scheitern, aber…

Die ZSC Lions gewinnen in Biel 1:0 und nun steht dieser Viertelfinal 2:2. Für Biel gilt: Wir stehen für Drama, wir können nicht anders.
30.03.2022, 12:5731.03.2022, 06:02
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Zu den einfachsten und je nach Sichtweise freudigsten Pflichten der sportlichen Historiographinnen und Historiographen ist die Benennung von Sündenböcken nach Niederlagen. Erst recht, weil ja böses Schreiben leichter von der Hand geht. Aber für einmal ist es nicht so. Weil es beim Verlierer keine Sündenböcke gibt. Keine Versager.

In 123 Minuten erzielen die Bieler gegen die ZSC Lions sage und schreibe neun Tore. Aus 65 statistisch erfassten Abschlussversuchen. Sie fliegen zeitweise übers Eis und erzielen, ja zelebrieren die Tore mit leichter Hand. Mit spielerischer Leichtigkeit. Zwei Spiele, zwei Siege: 5:4 in Zürich, 4:3 n.V. daheim. ZSC-Torhüter Jakub Kovar ein Lottergoalie? Der mehrfache Weltmeister-Trainer Rikard Grönborg ratlos? Sind die «bösen Geister» des Hallenstadions für die letzten Partien vor dem Umzug in den neuen Hockeytempel zurückgekehrt? So scheint es. Biel beginnt auf der Startbahn zum Flug in den Halbfinal abzuheben. Kühne Tagträume nach zwei rauschenden Hockey-Nächten. Biel Meister? Pourquoi pas?

Und nun 149 Minuten ohne ein einziges Torerlebnis. Aus 68 Torschüssen. Zwei 0:1-Niederlagen. ZSC-Torhüter Jakub Kovar ein Held. Der nächste Ari Sulander? Rikard Grönborg der beste Taktiker Europas? Die bösen «Hallenstadion-Geister» gebannt. So scheint es.

Zuerichs Torhueter Jakub Kovar, rechts, liegt auf dem Eis vor Der Bieler PostFinance Top Scorer Luca Hischier, links, im zweiten Eishockey Playoff-Viertelfinalspiel der National League zwischen dem EH ...
Jakub Kovar ist seit über zwei Spielen ohne Gegentor.Bild: keystone

Was ist passiert? Wer hat bei Biel versagt? Trainer Antti Törmänen? Nein. Seine Umstellungen sind der medizinischen Tageslage geschuldet. Die falsche Taktik? Nein. Das Spiel ist gut strukturiert, die Intensität hoch.

Der Grund für eine der erstaunlichsten Wenden unserer Playoffgeschichte (seit 1986) ist der Steigerung des Gegners und der Besonderheit der Bieler Hockeykultur geschuldet. Zu Biel gehört dramatische Rettung oder dramatisches Scheitern. Unvergessen, wie sich die Bieler noch unter Kevin Schläpfer zweimal in der Liga-Qualifikation gegen Lausanne erst im 7. Spiel retten. Inzwischen ist aus dem EHC Biel ein Spitzenteam geworden. Unvergessen, wie die Bieler 2019 im 6. Spiel den Einzug in den Final mit einem 0:1 gegen den SC Bern verpassen. Für Biel gilt: Wir stehen für Drama. Wir können nicht anders.

Nacheinander suchen Mike Künzle und Captain Gaëtan Haas nach dem dienstäglichen 0:1 nach Erklärungen. Mike Künzle, ein Titan aus Zürich (193 cm/95 kg) und nun schon im vierten Jahr in Biel, hat in den zwei ersten Partien dreimal getroffen. Und in den Spielen Nummer drei und vier nicht mehr. Er hat keine Antwort. Das ist logisch. Wüsste er die Antwort, hätte er Tore erzielt. Er sagt das, was in Zeiten der Playoffs in solchen Situationen zu sagen ist: Nach vorne schauen, gut erholen. Dazu die üblichen Küchenrezepte fürs Torschiessen.

Zuerichs Torhueter Jakub Kovar, links, kaempft um den Puck gegen Biels Mike Kuenzle, rechts, im ersten Eishockey Playoff-Viertelfinalspiel der National League zwischen den ZSC Lions und EHC Biel-Bienn ...
Auch Mike Künzle bringt die Scheibe nicht mehr rein.Bild: keystone

Nur einmal korrespondieren Worte und Körpersprache nicht ganz: Als er sagt, das Selbstvertrauen sei nach wie vor intakt. Ein wenig wirkt er schon ratlos. Da kommt Biels Verwaltungsrat Ueli Schwarz um die Ecke und strebt gemessenen Schrittes Richtung Kabine. Der grosse, weitgereiste, erfahrene TV-Experte, eine freundliche, gut erzogene Version von Don Cherry, hat den Kopf gesenkt und ist in tiefem Nachdenken versunken. So hätte der grosse Albert Anker, der berühmteste Künstler in der Geschichte des Berner Seelandes Ueli Schwarz als Symbol für Ratlosigkeit gemalt.

Captain Gaëtan Haas mahnt ohne die ritterähnliche Ausrüstung nicht an einen der Besten in einem so rauen Spiel. Er hat eine angenehme, leise, fast melancholische Art, feinen Humor und mahnt an den Drummer einer Rockband, der viel Zeit im Fitnessraum verbringt. Er ist im Sommer nach vier Jahren in der Fremde – in Bern und Edmonton – heimgekehrt nach Biel. Seine Rückkehr steht für Biels meisterliche Ambitionen. Er personifiziert Biels Hoffnungen.

Gaëtan Haas bringt es auf den Punkt: Einfach so fortfahren. Dann werden die Tore wieder fallen. So einfach ist es. Und doch so schwierig.

Auf den wichtigsten Faktor in dieser Serie haben die Bieler ja ohnehin keinen Einfluss. Der wichtigste Faktor ist die Auferstehung der ZSC Lions. Diese Auferstehung verdanken die Zürcher nicht einem Nachlassen der Bieler. Sondern ihrer Leistungssteigerung.

Zuerichs Willy Riedi, 2. von rechts, bedankt sich bei seinem Torhueter Jakub Kovar, rechts, nach der Schlussirene im vierten Eishockey Playoff-Viertelfinalspiel der National League zwischen dem EHC Bi ...
Die ZSC Lions haben sich massiv gesteigert.Bild: keystone

Mit ziemlicher Sicherheit hat noch nie eine Mannschaft in so kurzer Zeit eine so tiefgreifende taktische Umstellung geschafft. Für Biels leidenschaftliche Offensiv-Romantiker ist diese Wandlung von «Pausenplatz-Hockey» zu nahezu fehlerlosem defensiven Schachspiel fatal: Raum und Zeit für Auslösung, Aufbau und Abschluss fehlen und auch das Powerplay funktioniert nicht mehr. Im zweiten und nun in der dritten Partie ist Hockey mehr gearbeitet als gespielt worden. Die Zürcher kompensieren den verletzungsbedingten Ausfall ihres besten Einzelspielers (Denis Malgin) im Laufe des dritten Spiels mit System, Disziplin und taktischer Intelligenz. Dazu passt: Das bereits entscheidende 1:0 durch Maxim Noreau wird im Powerplay mit der Präzision von Landvermessern herausgespielt.

Die Highlights der Partie.Video: YouTube/MySports

Aber eigentlich ist ja jede Analyse ein wenig Besserwisserei mit der Gnade, zu wissen, wie es herausgekommen ist. Die Bieler hätten die dritte Partie in Zürich gewinnen können. Und im vierten Spiel waren sie bei mehreren Gelegenheiten – unter anderem trifft Toni Rajala beim Stande von 0:0 die Torumrandung (35. Min.) – dem Führungstreffer nahe.

Geht nun Biel wie schon 2019 (im Halbfinal gegen den SCB) erneut mit einer Mannschaft, die eigentlich gut genug ist für den Titelgewinn, in einem Drama unter? In einer Serie mit zahllosen «Hätte» und «Könnte»? Ist tragisches Scheitern in der DNA der Bieler Hockeykultur programmiert?

So scheint es. Es ist die einzige Erklärung. Denn hockeytechnisch und auch sonst müssen sich die Bieler nichts vorwerfen lassen. Sie haben im dritten und vierten Spiel alles versucht und es hat nicht gereicht. Und für die ZSC Lions könnte der Fehlstart mit zwei Niederlagen tatsächlich ein Traumstart gewesen sein, der sie auf den richtigen taktischen Weg zurückgebracht hat.

Alles spricht bei Biel für dramatisches Scheitern und bei den ZSC Lions für eine meisterliche Wende. Aber vielleicht erweist sich ja diese Schlussfolgerung schon morgen im nächsten Spiel in Zürich als Irrtum.

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19 Kommentare
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Liebu
30.03.2022 13:51registriert Oktober 2020
Hat zwar nichts mit dieser Serie zu tun, aber ich musste trotzdem schmunzeln als ich diesen Satz las:

Zu den einfachsten und je nach Sichtweise freudigsten Pflichten der sportlichen Historiographinnen und Historiographen ist die Benennung von Sündenböcken nach Niederlagen.

Um auf eine andere Serie abzuzielen, muss ich sagen, das ist auch gar nicht nötig, wenn das der Coach persönlich im TV übernimmt. 🤷‍♂️
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