Eigentlich müssten sich unsere Sportchefs um die Rückkehr von Mark Streit bemühen. Theoretisch zumindest. Sein Vertrag läuft aus. Der ehemalige SCB-Junior hat mehr NHL-Partien bestritten (über 800) und mehr Geld mit Eishockey verdient als jeder andere Schweizer. Inklusive Handgeld bei Vertragsunterzeichnung («Signing Bonus») mehr als 50 Millionen Dollar brutto. Er ist einer der grössten Schweizer Spieler aller Zeiten.
Aber Mark Streit könnte sich in der NLA von heute nicht mehr wunschgemäss durchsetzen. Er wäre wahrscheinlich höchstens in Ambri und Langnau die unumstrittene offensive und defensive Nummer 1 der Schweizer Verteidiger.
Mark Streit ist nicht so talentiert wie Roman Josi. Aber mit einem beispiellosen Trainingsaufwand – auch im Sommer – hat er alles dem Traum NHL untergeordnet und es geschafft. Seine Berufseinstellung bleibt für jede künftige Spielergeneration vorbildlich. Es gibt bis heute nur noch einen Schweizer Spieler, der aus seinem Talent über einen so langen Zeitraum so viel gemacht hat wie Mark Streit: Martin Gerber.
Dass Mark Streit bei Pittsburgh im Stanley-Cup-Final keine Rolle spielt, hat keine gravierenden Auswirkungen auf seine Chancen auf einen neuen Vertrag für die nächste Saison. Er sagt, dass er weiterspielen will. Sein Agent Pat Brisson, einer der einflussreichsten der NHL, wird für ihn nächste Saison einen neuen Arbeitgeber in der NHL finden.
Mark Streit ist «unrestricted free agent». Er kann ohne Einschränkungen frei den Klub wählen, der wiederum keine Kompensation an den bisherigen Klub zu leisten hat. Vier Millionen Dollar wie diese Saison sind nicht mehr möglich. Aber übereinstimmend sagen mehrere NHL-Agenten, dass sein Marktwert gerade wegen der neuen NHL-Organisation Las Vegas (mit den zusätzlichen Arbeitsplätzen für nächste Saison) immer noch zwischen einer und zwei Millionen liegt und sogar ein Zweijahresvertrag nicht gänzlich unmöglich ist. Es wäre die zehnte Saison in Serie mit mehr als einer Million Dollar Salär.
Diese Saison kamen neben Mark Streit in der NHL insgesamt zwölf Verteidiger regelmässig zum Zuge, die 35 oder älter sind. Tatsächlich wird Mark Streit, wenn er einen neuen Vertrag bekommt, nächste Saison voraussichtlich der zweitälteste NHL-Verteidiger sein. Er wird im Dezember 40. Nur noch Zdeno Chara ist älter.
Wobei er hockeytechnisch noch nicht so alt ist. Er hat seine NHL-Karriere erst 2005 im Alter von 28 Jahren in Montréal begonnen. Rund acht Saisons später als eigentlich üblich. Er hat also noch viel weniger Hockey-Meilen auf dem Tacho als seine Alterskollegen. Er hat in den letzten sechs Jahren nur 36 von 458 Qualifikationsspielen verpasst.
Erfahrene Verteidiger haben in der NHL auch nach dem 30. Geburtstag eine Zukunft und können mit etwas Glück eine so lange Karriere wie in der Lauf- und Tempoliga NLA machen. Wer über die Jahre das richtige Zweikampfverhalten gelernt hat, kann sich im Karriere-Herbst auf den schmäleren Spielfeldern defensiv eher besser behaupten als in der NLA. Der Vergleich ist etwas weit hergeholt, zeigt aber, was gemeint ist: Ein in die Jahre gekommener NHL-Verteidiger kann sich ähnlich gut behaupten wie ein «Lehnstuhl-Libero» in den Zeiten, als der Fussball noch weniger dynamisch als heute war.
Es gibt einen statistischen Hinweis auf den polemischen Hinweis auf defensive Schwierigkeiten auf dem grossen Eisfeld. Bei den WM-Turnieren von 2007, 2009, 2012 und 2015 hatte Mark Streit mit der Schweiz Minus-Bilanzen. Roman Josi immerhin 2010, 2013 und 2015 eine Plus- und 2012 eine ausgeglichene WM-Bilanz.
In der NLA hätte Mark Streit heute bei der im Vergleich zu Nordamerika «offenen» und defensiv oft liederlichen Spielweise Mühe mit dem Tempo (nicht mit der Intensität). Er könnte die hohen Erwartungen, die er nun mal mit seinem grossen Namen wecken würde, nicht mehr erfüllen. Die Fans wären unzufrieden, wenn er sich auf solide Defensivarbeit konzentrieren würde. Er müsste offensive Risiken eingehen. Mit einer Rückkehr in die Schweiz im Karriere-Herbst könnte er nur verlieren. Zumal in unserer Sportkultur der Respekt vor in der Vergangenheit erbrachten Leistungen weniger gross ist als in Nordamerika.
Oder wäre ein Rücktritt eine Option? Schliesslich hat er so viel verdient, dass er bis zu seinem Lebensende finanziell ausgesorgt hat. Nein. Mark Streit ist einer der grössten Schweizer Spieler aller Zeiten geworden, weil Eishockey seine Leidenschaft ist. Geld ist eine angenehme Nebenerscheinung dieser Leidenschaft. Aber Geld war bei ihm, wie bei allen grossen Spielern, noch nie die wichtigste Motivation.
Wenn sich einer einen Status erarbeitet hat, seiner Leidenschaft nachzugehen, so lange er kann und so lange wie möglich das tun will, was er am liebsten macht – nämlich Eishockey spielen – , dann Mark Streit. Erst recht, wenn er gute Aussichten hat, es in der NHL, der wichtigsten Liga der Welt, zu tun.
Aber die NLA ist nicht mehr seine Welt.