Kurz zur Erklärung eine Rekapitulation. Wer die Hintergründe schon kennt, kann diesen Abschnitt überspringen. Die Sportchefs der 14 NL-Klubs bilden ein beschlussfähiges Gremium (GM-Meeting) für alle sportlichen Abläufe ausser Modusfragen. Sie haben im Sommer 2023 das Sounding Board kreiert, das darüber entscheiden darf, ob ein Vergehen gegen die Schiedsrichter, das auf dem Eis übersehen oder nur mit zwei Minuten geahndet worden ist, an den Einzelrichter weitergeleitet werden soll.
Dieses Dreier-Gremium hat entschieden, dass Gavin Bayreuthers Check in den Rücken von Linienrichter Dario Fuchs im vierten Spiel in Langnau kein Vergehen ist. Dabei haben Marc Reichert (Vertreter der Spielergewerkschaft) und Ryan Gardner (Player Safety Officer) den Schiedsrichter-Vertreter Philipp Rytz sowohl beim Entscheid als auch bei der Wiedererwägung mit 2:1 überstimmt.
Weil der Teufel nie schläft und der liebe Hockey-Gott jeden Morgen geweckt werden muss, hat Gavin Bayreuther nun im fünften Spiel in Lausanne mit dem 3:1 ein entscheidendes Tor gegen die Langnauer erzielt. Zyniker reden von den «Bayreuther-Festspielen» – in boshafter Anlehnung an die weltberühmten «Bayreuther-Festspiele» mit den Aufführungen der grossen Wagner-Dramen.
Ryan Gardner sitzt ja nicht nur im Sounding Board. Er ist auch der Safety Player Officer, der mit seiner Fachbeurteilung darüber entscheidet, ob nach einem Restausschluss dem Einzelrichter eine zusätzliche Sperre beantragt werden soll.
In der 38. Minute der fünften Viertelfinal-Partie Lausanne gegen Langnau – es steht 3:1, die Messe ist noch nicht gelesen – wird Harri Pesonen unter die Dusche geschickt. Langnaus Captain erwischt Lausannes Théo Rochette mit einem Check gegen den Kopf. Ohne böse Absicht. Und Théo Rochette trägt durch ungeschicktes Verhalten ein Mitverschulden. Aber es geht nicht nur um die Absicht und das Mitverschulden. Es geht in erster Linie um die Tat.
Ein Restausschluss landet automatisch auf dem Schreibtisch des Einzelrichters. Der Player Safety Officer kann in einem solchen Fall durch seine Fachbeurteilung beim Einzelrichter die Eröffnung eines Verfahrens beantragen und damit den Weg zu einer Sperre des Sünders öffnen. In der Regel ist das auch der Fall.
Hier soll niemandem etwas unterstellt werden. Da seien die Hockey-Götter und alle Rechtsanwälte davor. Aber unter normalen Umständen hätte Ryan Gardner mit ziemlicher Sicherheit beim Einzelrichter erfolgreich ein Verfahren beantragt und die Folge wäre möglicherweise eine oder zwei Spielsperren gewesen. Langnau hätte am Sonntag beim alles entscheidenden Hosenlupf auf einen seiner wichtigsten Spieler verzichten müssen.
Nun aber ist die Fünfminuten-Strafe von Harri Pesonen etwas überraschend im Tarifverfahren mit einer Busse abgetan worden. In Langnau atmen Sportchef Pascal Müller, Trainer Thierry Paterlini, die Spieler und die Fans ob der unverhofften Milde der Hockey-Justiz auf.
Der Chronist darf schreiben, was nur unter dem siebenfachen Siegel der Verschwiegenheit gesagt und tief in den Herzen der Trainer, Sportchefs, Verwaltungsräte, Präsidenten, Sponsoren und Experten gedacht wird und niemand sieht, weil ja Herzen keine Fenster haben.
Der Chronist lehnt sich also ganz entgegen seinen sonstigen Gepflogenheiten weit aus dem Fenster und orakelt mit einem gerüttelten Mass an Boshaftigkeit: Ryan Gardner hat die Hosen voll.
Der Volkszorn und das Gelächter der ganzen Hockey-Welt über seinen «Narrenentscheid» zum Freispruch von Gavin Bayreuther – den er mit seiner Stimme zusammen mit Marc Reichert erst ermöglichte – hat ihn womöglich davon abgehalten, nun auch noch mit Leidenschaft und Vehemenz seinen Beitrag zu einer Sperre ausgerechnet gegen Langnaus Leitwolf für das entscheidende Spiel vom Sonntag zu leisten. Ironie der Hockey-Geschichte, wiederum boshaft formuliert: Langnau profitiert vom «Bayreuther-Skandalentscheid», den Gardner zusammen mit Marc Reichert zu verantworten hat.
Womit wir beim Kern der Sache sind – und das ist nicht boshaft und nicht polemisch: Die Frage ist berechtigt, ob Ryan Gardner als Player Safety Officer noch tragbar sein kann. Er ist durch eigenes Verschulden «angreifbar» geworden. Ein Fehlverhalten im juristischen Sinne hat er sich nicht zuschulden kommen lassen. Da ist er ein Ehrenmann vom Scheitel bis zur Sohle. Ohne jede Einschränkung.
Aber für ihn als Player Safety Officer gilt das Prinzip, das einst für die Beamten im alten Preussen unter König Friedrich II. («der alte Fritz») ein ehernes Gesetz war: Es genügt nicht, absolut korrekt und unbestechlich zu sein. Es ist unerlässlich, auch alles zu unterlassen, was den Eindruck erwecken könnte, man sei nicht korrekt und unbestechlich.
Ryan Gardner ist absolut korrekt und unbestechlich. Aber den Verdacht, er könnte es eventuell und unter Umständen und vielleicht nicht sein, wird er nach dem unglückseligen «Fall Bayreuther» nicht mehr los. Selbst wenn er eine Sperre gegen Harri Pesonen beim Einzelrichter mit Leidenschaft und Vehemenz beantragt hat oder hätte – die berechtigte oder unberechtigte Annahme, dass er es nicht getan hat oder nicht getan haben könnte, bleibt in der Luft hängen wie Schwefelgeruch. In der Juristensprache auf den Punkt gebracht: Ryan Gardner ist befangen.
Ende der Polemik, die nicht nur eine Polemik ist.
Schade, da unnötig....