Es sind die operettenhaften Voraussetzungen für eine Überraschung. Weissrusslands Nationaltrainer Dave Lewis wird vor der Partie gegen die Schweiz gefeuert und durch den bisherigen Assistenten Sergei Puschkow ersetzt. Der «Lukaschenko-Effekt» (so genannt, weil in Weissrussland die wichtigen Hockey-Entscheidungen vom Staatsoberhaupt kommen) sorgt für einen Energieschub. Und auf der anderen Seite der Favorit Schweiz, der die Partie womöglich nicht ganz so ernst nimmt.
Die Überraschung ist ausgeblieben. Am Ende steht ein nie gefährdeter Sieg der Schweizer. Sie haben den «Kleinen» (Weissrussland) im Stile der Grossen besiegt. Die Grossen siegen gegen die «Kleinen» auch im Werktagsgewand. Offensiv sind wir bei einer WM erstmals so gut, dass gegen einen «kleinen» Gegner alle defensiven Nachlässigkeiten kompensiert werden können.
Am Anfang waren die Schweizer schon ein bisschen nachlässig. Aber nie verunsichert. Auch nicht nach dem vorübergehenden 1:2-Rückstand im Startdrittel. Sie haben die Selbstsicherheit, die Sieger auszeichnet, gegen die fleissigen Weissrussen nie verloren. Bereits nach dem 3:2 durch Joël Vermin 100 Sekunden vor der ersten Pause ist vollendet, was von allem Anfang an nie in Frage stand: der Sieg der Schweizer. Die Überlegenheit war so gross (45:24 Torschüsse), dass wohl nicht einmal der Hockeygott im Tor der Weissrussen die Niederlage verhindert hätte.
Joel Vermin scores with 15 seconds left in the second period, his second of the night. Karnaukhov made a nice pad save but left his five-hole open for the rebound goal, with Switzerland taking the 3-2 lead. #IIHFWorlds pic.twitter.com/SinMqPX6Nk
— Steven Ellis (@StevenEllisNHL) 9. Mai 2018
NHL-Stürmer Timo Meier hat sich bereits ins Team eingefügt. Mit einem Tor (zum 5:2) und zwei Assists (zum 2:2 und zum 3:2) hat er im 2. Sturm neben Joël Vermin und Sven Andrighetto in seinem ersten Länderspiel viel zum Erfolg beigetragen.
Die Schweiz hat nun 9 Punkte. Das kann unter günstigen Umständen bereits fürs Viertelfinale reichen. Sonst benötigen wir halt im letzten Spiel am Dienstag (12:15 Uhr) noch einen Sieg gegen Frankreich. Die Rechnerei gehört der guten Ordnung halber nun dazu, ist aber in diesem Fall keine ernsthafte Wissenschaft. Sondern Spielerei. Wenn nicht noch die steinerne kleine Meerjungfrau im Hafen von Kopenhagen ertrinkt, wird die Schweiz die Viertelfinals erreichen.
Erkenntnisse und Erleuchtungen gibt es aus dem sicheren Pflichtsieg gegen den 11. der Weltrangliste keine. Eine Antwort auf die grosse, wichtige Frage werden wir erst in den nächsten beiden Partien gegen Russland am Samstag (20:15 Uhr) und am Sonntag gegen Schweden (20.15 Uhr) erhalten. Diese Frage lautet: Wer ist unsere Nummer 1 im Tor?
Wir haben seit dem Wiederaufstieg von 1998 nur ein einziges Viertelfinale gewonnen: 2013 in Schweden. Nach einem 2:1 gegen Tschechien rückten wir ins Halbfinale vor. Martin Gerber hielt 33 Schüsse. Er war die Schlüsselfigur auf dem Weg ins Halbfinale.
Weissrussland hätten wir auch mit unserer Nummer drei (Gilles Senn) besiegt. Der Torhüter war in dieser Partie kein entscheidender Faktor. Aber im Viertelfinale muss unser hinterster Mann die Differenz machen. 2013 hatten wir mit Reto Berra und Martin Gerber zwei gleichwertige, formidable Torhüter. Reto Berra hat damals die WM 2013 mit einer Fangquote von 96,72 Prozent beendet (die höchste eines Schweizer WM-Goalies), Martin Gerber mit 92,31 Prozent. Nationaltrainer Sean Simpson konnte bei der Torhüterwahl fürs Viertelfinale eine Münze werfen.
Hier in Dänemark ist es nicht so einfach. Die Fangquote von Leonardo Genoni – er spielte gegen Österreich (3:2 n.P) und Tschechien (4:5 n.P) beträgt 85,11 Prozent. Reto Berra – er stand gegen die Slowakei (2:0) und nun Weissrussland (5:2) im Tor – steht bei 95,92 Prozent. Alles klar?
Nein. Noch nicht. Diese Prozent-Statistik sollten wir nicht überbewerten. Im wilden Spektakel gegen Tschechien war Leonardo Genoni im letzten Drittel und in der Verlängerung viel, viel besser, als es die Zahlen vermuten liessen. Und Reto Berras Einsatz gegen Weissrussland ist eigentlich ohne Aussagekraft. Die zwei Gegentreffer sind der Nachlässigkeit seiner Verteidiger geschuldet. Joël Genazzi war nicht ganz bei der Sache und hat die Partie mit der miserabelsten Minus-Bilanz aller Schweizer beendet (-2).
#SUIvsBLR And just like that, it's 1-1!#IIHFWorlds pic.twitter.com/fQJWPLuKno
— IIHF (@IIHFHockey) 9. Mai 2018
Reto Berra wirkte bisher stilsicherer, dominanter, charismatischer als Leonardo Genoni. Er war bei einem Titelturnier seit dem WM-Halbfinale von 2013 (3:0 gegen die USA) nie mehr so gut wie jetzt. Die Nummer 1 also?
Ob er das wirklich ist, wird sich erst bei einem Einsatz in den nächsten Partien gegen Russland oder Schweden zeigen. Gegen einen Titanen also. Bewährt er sich da, dann ist er der Goalie, der uns ins Halbfinale hexen kann – nach dem Grundsatz: Sage mir, wie Reto Berra in Form ist, und ich sage dir, ob die Schweiz um eine Medaille spielen wird.
Die grosse Kunst eines Coaches ist es, zu «spüren», welcher Torhüter «heiss» ist. Patrick Fischer ist gefordert.