Ach, was für wehmütige Erinnerungen: Noch zu Beginn der 1980er Jahre rockt der EHC Arosa unser Hockey. Von der nationalen Meisterschaft gibt es nur ganz selten Bilder. Aus Langnau beispielsweise keine. Die Legende geht – oder besser die uremmentalische Verschwörungstheorie blüht –, der Emmentaler Hausberg Napf verunmögliche die Übertragung der Signale nach Leutschenbach.
Von den Heldentaten des EHC Arosa berichtet bis 1984 Chasper Stupan für Radio Beromünster. Mit einer wunderbaren Stimme und einer einmaligen Kombination aus Bergromantik, Leidenschaft und Hockey-Sachverstand. Im Kopfkino machen wir uns die Bilder über den EHC Arosa. Solche Bilder sind wirkungsmächtiger als die besten Live-Übertragungen beim Sport-Farbfernsehen MySports. Und wir lieben die blau-gelben Farben und die Arosa-Sonne auf Jerseys, Kappen, Halstüchern und Pullovern. Der EHC Arosa ist so populär wie der HC Davos.
All das mag ein Grund sein, warum die Arosa-Romantik im Hockey immer noch so wirkungsmächtig ist. Der EHC Arosa ist am Samstag in Huttwil zu Gast. Zu den Partien in der MyHockey League eilen – wenn nicht gerade der Lokalrivale Langenthal kommt – höchstens und eher selten etwas mehr als 400 Männer, Frauen und Kinder in den Hockeytempel Campus Perspektiven. Aber nun sind es trotz Wintereinbruch 683.
Wahre, doppelte Nostalgie: tiefer Winter schon im November – was wir gefühlt seit den 1980er Jahren, der letzten Blütezeit der Aroser Hockeykultur, nicht mehr erlebt haben – und Arosa kommt! Als die Bündner in den frühen 1980er Jahren das nationale Hockey dominieren, wird Hockey in Huttwil noch mit «Schraubengampfern» (Kufen, die an Lederschuhe angeschraubt werden) auf Natureis gespielt. Und jetzt sind wir auf Augenhöhe! Im Publikum tragen viele die Strickmütze mit der Aroser Sonne.
Eigentlich hat sich die Aroser Hockeykultur ja gar nicht so sehr verändert. Die Aroser spielen mutig, leidenschaftlich, schnell und bisweilen wild. So wie wir uns «Bergler-Hockey» vorstellen. So wie es schon früher war. 1986 ist der EHC Arosa aus wirtschaftlichen Gründen in die höchste Amateurliga (1. Liga) abgestiegen und inzwischen im besten Wortsinn ein Ausbildungsclub geworden. 18 Spieler sind nicht älter als 22.
Trainer Rolf Schrepfer (51) ist sowieso ein Hockey-Romantiker. Er hatte einst als bissiger Leitwolf bei den Meisterteams der ZSC Lions (2000, 2001) und beim SCB (2004) Kultstatus. Er arbeitet bereits im vierten Jahr als Trainer in Arosa. Natürlich wäre er gerne weiter oben im Profihockey tätig. Da könnte er auch mehr verdienen und müsste etwas weniger arbeiten:
So kommt es, dass einer, der Charisma, Leidenschaft und Kompetenz für höhere Aufgaben hätte, halt Trainer in der höchsten Amateurliga bleibt. Er mag sich darüber weiter nicht beklagen und die Arbeit mache ihm ja Spass. «Weil wir ein Ausbildungsclub sind und die talentiertesten Spieler weiterziehen, müssen wir jedes Jahr die halbe Mannschaft auswechseln. Das hat den Vorteil, dass ich jedes Jahr ungefähr das Gleiche erzählen kann …»
Rolf Schrepfer sagt, Arosa sei eigentlich der perfekte Klub für einen talentierten jungen Spieler, der sich weiterentwickeln will. «Wir haben eine sehr gute Infrastruktur und das Leben in Arosa hat für junge Leute einen besonderen Reiz. Erwachsenenhockey in der MyHockey League bringt einen Spieler einfach weiter als die höchste Juniorenliga.» Er hoffe, dass der Verwaltungsrat das Aufstiegsgesuch einreichen werde. «Im Sport geht es darum, ein grosses Ziel zu erreichen. Der Aufstieg ist ein reizvolles sportliches Ziel und Chur beweist ja gerade, dass es möglich ist, in der zweithöchsten Liga als Ausbildungsclub zu bestehen.»
Könnte Arosa ein zweites Chur werden? Chur dominierte letzte Saison die MyHockey League. Dazu ist Arosa nicht in der Lage. Aber unter Schrepfer halten sich die Bündner auch nach vielen Abgängen in der Spitzengruppe der Liga. In einem spektakulären, schnellen, phasenweisen wilden und dramatischen Spiel besiegt Arosa die Huttwiler 4:2.
Und nun hat Hockey in Huttwil zu einem politischen Erdbeben, zu einer der grössten Sensationen in der Geschichte des Kantons Bern geführt. Das Städtchen mit gut 5000 Bewohnenden im Herzen der Schweiz ist, was die Lebensqualität angeht, immer noch ein wenig ein «helvetisches Disneyland». Seit der Gründung der modernen Schweiz (1848) fest in bürgerlicher Hand.
Obwohl es in Huttwil früher viele Eisenbahner (Eisenbahnerinnen gab es früher noch keine) und heute noch ein Proletariat (Industriearbeiterinnen und -arbeiter) gibt, sind alle Versuche der SP gescheitert, das Gemeindepräsidium zu erobern. Die politische Kultur ist kapitalistisch-bäuerlich geprägt. Ein «roter» König? Undenkbar. Unmöglich.
Aber nun ist ausgerechnet am Wochenende mit dem Arosa-Gastspiel die politische Sensation passiert. Die lokalen SVP-Strategen sind erschüttert. Adrian Wüthrich, ein SP-Politiker mit nationaler Ausstrahlung (u. a. Präsident von Travaille Suisse, dem Dachverband der Arbeitnehmenden), hat im «Schlussgang», in der Stichwahl ums Gemeindepräsidium, den siegesgewissen SVP-Kandidaten Marcel Sommer 983:822 besiegt. Der «rote Adrian» ist im SVP-Herzland Huttwil das erste SP-Stadtoberhaupt der Geschichte. Historisch.
Dieses Erdbeben hat sehr viel mit Hockey zu tun. Im Herbst kam es zu einer emotionalen Abstimmung im Rahmen einer Gemeindeversammlung. Es ging um einen jährlichen Zustupf von 290'000 Franken für die Eisaufbereitung im örtlichen Hockey-Tempel. Adrian Wüthrich gehörte, wohl wissend, dass er so junge Wähler mobilisieren kann, zu den prominentesten Befürwortern dieser Investition öffentlicher Gelder in die Sportinfrastruktur.
Marcel Sommer hingegen war der prominenteste Gegner. Er liess im Namen des Gemeinderates wissen, dass im Falle einer Zustimmung die Steuern erhöht werden müssten. Wohl wissend, dass er so die konservativ-bäuerliche Wählerschaft hinter sich bringen konnte. Als Bürogeneral einer Lokalbank und treffsicherer Wettkampfschütze war er der Posterboy der SVP-Anhänger.
Erst das Bekenntnis zu Hockey in Huttwil hat Adrian Wüthrich den historischen Sieg eingetragen. Als bekennender Hockeyfan war er natürlich auch beim Spiel gegen Arosa im Stadion und trotz der 2:4-Niederlage bestens gelaunt: Er ahnte wohl: Wenn Hockey-Romantik mit Arosa so zu mobilisieren vermag, wenn mehr als 600 bei tiefem Winterwetter für ein Hockeyspiel die warme Stube verlassen, dann werden genug davon an die Urne gehen, um ihm zum Gemeindepräsidium zu verhelfen. Der «rote Adrian» ist eigentlich der «Eis-Adrian».
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
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