Die kurioseste Situation, die es je für einen Hockey-Nationaltrainer gegeben hat: Patrick Fischer wird für gute Arbeit bestraft. Gute Arbeit? Nach der achten Niederlage in Serie? So ist es.
Unter Patrick Fischer haben die Schweizer gelernt, den Besten der Welt auf Augenhöhe zu begegnen. Mit ziemlicher Sicherheit hat die Schweiz zuletzt in den 1950er Jahren auf höchstem internationalem Niveau so dynamisches, spektakuläres und meist unterhaltsames Hockey zelebriert. Das ist auch das Verdienst des Nationaltrainers. Die Mannschaft trägt seine spielerische Handschrift. Die Schweizer haben ihren ganz eigenen, spektakulären Stil entwickelt. Ein wenig sind sie die Brasilianer des internationalen Hockeys geworden (gemeint ist das brasilianische WM-Team von 1982).
Aber so hat sich der Nationaltrainer in eine heikle Situation manövriert. Die dramatische Verlängerungsniederlage gestern gegen Finnland (3:4 n.V) hat die ganze Problematik wieder einmal offenbart.
Die Schweizer sind in der Euro Hockey Tour gegen Finnland, Schweden und Tschechien in jeder Partie Aussenseiter. Weil sie aus ihrem beschränkten Potenzial sehr viel herausholen, spielen sie trotzdem optisch auf Augenhöhe. Die Niederlagen sind zwar hin und wieder kläglich, in der Regel aber ehrenvoll und bisweilen – wie nun zuletzt in Zürich gegen Tschechien (2:3 n.V) und Finnland – höchst dramatisch.
Die Kritik bleibt daher moderat. Es gibt so viele «wenn» und «aber». So manches «hätte» und «könnte». Immer wieder gibt es schöne Geschichte rund um die Niederlagen zu erzählen. Wie zuletzt die von Calvin Thürkauf (26). Luganos Leitwolf hat gegen Finnland zweimal zum Ausgleich getroffen. Da darf man doch zufrieden sein. Da sollte man nicht zu streng urteilen. Es gibt ach so viele gute Gründe, warum alles so bleiben soll wie es ist. Daher ist gegen eine Verlängerung mit Patrick Fischer bis zur WM 2026 ja auch nichts einzuwenden.
Das Problem, das allerdings immer grösser wird: Siegen ist auch eine Gewohnheitssache. Verlieren leider ebenso. In kritischen Phasen setzen sich nicht die talentiertesten durch. Sondern die «bissigsten». Will heissen: Jene, die keine Ausreden akzeptieren, weil auch im Umfeld keine Ausreden geduldet werden. Jene, die wissen, wann die Zeit gekommen ist, die keine Fehler verzeiht. Siegermentalität heisst das. Und das ist es, was die Schweizer immer mehr verlieren: Die Fähigkeit, dann ihr bestes Hockey abzurufen und Fehler zu vermeiden, wenn es wirklich zählt.
Bei schönem spielerischem Wetter, wenn die Gegner noch daran sind, ihre Teams zu ordnen – in WM-Vorrunden – zeigen wir eine spielerische Herrlichkeit, die Jahr für Jahr zu grössten Hoffnungen Anlass gibt. Um dann, wenn es zählt, immer und immer und immer und immer wieder zu verlieren. Seit 2018 jeden Viertelfinal. Inzwischen haben die Schweizer 2023 achtmal in Serie verloren.
Die Tschechen, Schweden oder Finnen können es sich leisten, auf der Euro Hockey Tour zu experimentieren. Sie müssen zwar bei den Titelturnieren ab und an auch Enttäuschungen verkraften. Weltmeister kann ja nur einer werden. Aber sie wissen, wie man wichtige Spiele gewinnt. Aus Gewohnheit. Die Schweizer hingegen haben das Siegen verlernt. Sie sollten ihre Gewohnheiten ändern und in jeder Partie nur noch ein Ziel haben: Gewinnen. Ohne «wenn» und «aber». Das muss wieder die DNA des Nationalteams werden.
Die Partie am Sonntag gegen Finnland war ein gefühlter WM-Viertelfinal. Patrick Fischer hatte energisch eine Reaktion gefordert. Wiedergutmachung. Also ein Sieg. Und tatsächlich verstanden seine Spieler die Botschaft. Es war gegen mittelmässige Finnen die bisher beste Partie der Saison. Mit starken Reaktionen auf ein 0:2 und 2:3. Aber am Ende steht erneut eine Niederlage, die inzwischen typisch geworden ist für diese Mannschaft: Eine Strafe wegen zu vielen Spielern auf dem Eis ermöglicht den Finnen in der Verlängerung den Sieg mit einem Powerplaytor. Da gibt es nichts schönzureden oder zu trösten. Da gibt es nur schärfste interne Kritik. Wer so verliert, hat versagt. Punkt.
Unserem Hockey geht es gut. Die Meisterschaft ist ausgeglichen. Das Geschäft brummt. Unsere Liga ist eine der besten der Welt. Die Erhöhung der Anzahl Ausländer hat (noch) keinen direkten Einfluss aufs Nationalteam: Die besten Schweizer Spieler haben ihren Platz in den Klubteams und werden eher stärker gefordert. Die erhöhte Anzahl Ausländer (sechs statt vier pro Team) taugt nicht als Ausrede für die Niederlagen des Nationalteams.
Eine Abstiegsgefahr bei der WM gibt es inzwischen nicht mehr. Um es etwas salopp zu sagen: Die Schweizer sind spielerisch so gut und so talentiert, dass sie im Notfall am Telefon in den Viertelfinal gecoacht werden könnten. Also sollten wir zufrieden sein, dass wir so gut geworden sind und das Glas halbvoll und nicht halbleer sehen und nicht nörgeln. Und daran denken, wo wir noch vor 30 Jahren waren. Oder? So kann man es auch sehen. Und so wird es auch gesehen.
Die Zeichen stehen in Patrick Fischers Verbands-Umfeld auf Harmonie. Kritik ist nicht erwünscht. Die Gefahr ist erheblich, dass sich auch der neue Verbandspräsident Stefan Schärer in dieser Wohlfühloase einrichtet. Genügsamkeit auf hohem Niveau wird mehr und mehr zur DNA der Verbands-Sportabteilung und steht in immer schärferem Kontrast zu den hohen Zielsetzungen (WM-Halbfinal). Das ist sehr schade.
Die Schweizer haben nämlich genug Talent, um bei der WM um eine Medaille zu spielen. Sie sind jedoch drauf und dran, das Siegen zu verlernen und sich an Niederlagen zu gewöhnen. Aber bereits im November und Dezember muss beginnen, was leuchten soll bei der WM.
Vielleicht muss man halt einfach mal akzeptieren, dass die CH nicht in die Top4 gehört. Unsere Liga ist nicht dank der guten Schweizer so attraktiv, sondern dank der Schweden, Finnen und Tschechen.