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SC Bern: Wenn verlorener Anstand schlimmer ist als eine Niederlage

SC Bern PostFinance Top Scorer Christopher DiDomenico waehrend dem Eishockey-Pre-Playoff-Spiel 2 der National League zwischen dem EHC Kloten und dem SC Bern am Donnerstag, 9. Maerz 2023, in Kloten. (P ...
Feuerkopf: Berns Topskorer Chris DiDomenico.Bild: keystone
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Wenn verlorener Anstand schlimmer ist als eine Niederlage

Der SC Bern hat in Kloten ein Spiel 1:4 verloren. Das kann passieren. Aber der SC Bern hat in Kloten auch den hockeytechnischen Anstand verloren. Das darf den Bernern nicht mehr passieren.
10.03.2023, 06:4310.03.2023, 17:11
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Wie tief darf der SC Bern eigentlich sinken? Es geht nicht um die fachliche Analyse dieser 1:4-Niederlage in Kloten. Nicht um statistische Details. Nicht um die Anzahl Torchancen. Nicht um Angriffsauslösungen oder Defensivverhalten. Es geht um etwas anderes: um den verlorenen hockeytechnischen Anstand.

Anstand im Hockey besteht darin, dass Spieler und Trainer wissen, inwieweit man zu weit gehen darf. Hockey gehört zu den wenigen Sportarten, die den Körperangriff im Rahmen der Reglemente tolerieren. Einschüchterung gewürzt mit Provokationen ist ein zentraler Teil dieses rauen, intensiven Spiels. Erst recht in den Playoffs. Zyniker sagen sogar, Playoff-Hockey sei die Fortsetzung des Hockeys mit anderen Mitteln.

Einschüchterung mit Gespür und Verstand

Wenn der SCB die Chance bekommt, mit zwei Siegen gegen Kloten – gegen den Aufsteiger! – den Viertelfinal zu erreichen und die Gemüter zu beruhigen, dann gehört es dazu, ab und an ein bisschen zu weit zu gehen. Darüber wird sich niemand beklagen. In den grossen, meisterlichen Zeiten sind die Berner als «Big Bad Bears» – wenn erforderlich – ein bisschen zu weit gegangen. Aber mit Gespür und Verstand. Sie wussten immer, wie weit sie zu weit gehen durften. So funktioniert Einschüchterung. Meisterliche Einschüchterung.

EHC Kloten Stuermer Marc Marchon pruegelt sich mit SC Bern Verteidiger Roman Loeffel waehrend dem Eishockey-Pre-Playoff-Spiel 2 der National League zwischen dem EHC Kloten und dem SC Bern am Donnersta ...
Loeffel knöpft sich Marchon vor.Bild: keystone

Beim 5:1 zum Auftakt in Bern war es am Dienstag nicht einmal notwendig, zu weit zu gehen. Am Donnerstag in Kloten aber war es notwendig. Die Berner verloren, weil sie nicht wussten, wie weit sie zu weit gehen durften: Sie verloren den hockeytechnischen Anstand. Die Art und Weise, wie sich beispielsweise Chris DiDomenico oder in der Schlussphase Tristan Scherwey aufgeführt haben, dieses Ausleben der Frustration darf ein SCB-Trainer nicht mehr tolerieren.

Ausgecoacht

Ja, der grosse SCB hat gegen den klug gecoachten Aufsteiger die Fassung und das Spiel verloren. Klotens Jeff Tomlinson hatte aus der Niederlage im ersten Spiel die Lehren gezogen. Berns Toni Söderholm war nicht dazu in der Lage, aus dem Sieg seines Teams die richtigen Erkenntnisse zu gewinnen.

Auf wenige Tage komprimiert ist in diesen Pre-Playoffs zu sehen, was dem SC Bern zwischen September und März die Saison immer wieder verhagelt hat: die Unfähigkeit, Leistungen richtig einzuordnen. Ein paar Siege provozieren Überheblichkeit und Arroganz. Die dann unweigerlich folgenden Niederlagen führen nicht zu Selbsterkenntnis. Sondern zu Ausreden. Im Management, beim Trainer und logischerweise auch bei den Spielern.

Der SCB hatte in Kloten anfänglich alles im Griff. Die Entscheidung führt zu Beginn des Mitteldrittels ein Ellenbogencheck von Chris DiDomenico in den Rücken des braven, harmlosen Flurin Randegger herbei, der während der Qualifikation gerade mal zehn Zwei-Minuten-Strafen abgesessen hatte. Ein Check ohne jede Notwendigkeit. Kloten nützt den Ausschluss des Kanadiers in der 24. Minute zum 1:0 und zum 2:0. Von diesem Zeitpunkt an beschert der grosse SCB den Fans des Aufsteigers einen wunderbaren Abend. Die Berner lassen sich vorführen wie der Siegermuni in der Arena des Eidgenössischen Schwingfestes.

Der Sieger Lebendpreis, Muni Magnus wird praesentiert, in der Schwingerarena im 2. Gang am Eidgenoessischen Schwing- und Aelplerfest (ESAF) in Pratteln, am Samstag, 27. August 2022. (KEYSTONE/Urs Flue ...
Muni Magnus, der Siegerpreis des ESAF 2022 in Pratteln.Bild: keystone

Kein «Titanen-Bonus» mehr?

Nun mögen wir einwenden, dieser Entscheid der Schiedsrichter sei streng gewesen. Aber die Ursache für diese Strafe – nach Regelbuch dürfen es 5 Minuten sein – ist der verlorene Anstand: die Unfähigkeit von Chris DiDomenico, zu erkennen, wie weit er zu weit gehen darf. Aber auch die Unfähigkeit des Coaches, seinen besten Skorer zu disziplinieren.

Dazu eine polemische Anmerkung: Natürlich sind die Schiedsrichter neutral. Und doch: Wenn die Schiedsrichter den SCB-Topskorer so streng bestrafen, dann müssen sich der Coach, der Sportchef und der Manager intern fragen: Wie kann es sein, dass der SCB selbst in einer so wichtigen Partie gegen den Aufsteiger keinen «Titanen-Bonus» mehr hat? Ende der polemischen Anmerkung.

Ob der SCB am Samstag mit einem Sieg gegen Kloten den Viertelfinal gegen Biel erreicht und anschliessend mindestens bis in den Halbfinal kommt, ist keine Frage des Talentes und der Taktik. Es ist nur eine Frage der Disziplinierung von Chris DiDomenico. Eine Frage der Führung also.

Schon Gotthelf warnte

Aber es ist halt für den Coach nicht einfach, einen Spieler zu disziplinieren, dem erlaubt worden ist, während der entscheidenden Phase der Qualifikation den Vertrag vorzeitig aufzulösen, ausgerechnet mit Fribourg-Gottéron zu verhandeln und einen neuen Vertrag abzuschliessen.

Schon unser aller Gotthelf hat vor mehr als 150 Jahren vor solcher Meisterlosigkeit ausdrücklich gewarnt: «… auch müssen gar oft unter der Meisterlosigkeit eines Hausgenossen, eines Kindes oder einer Katze alle leiden und Verdruss ausstehen. Das macht nicht gutes Blut.» Wir können anfügen: Das macht nicht gutes Blut und eine Niederlage in Kloten.

P.S.: Die ganze Polemik dreht sich um einen SCB, der gut genug ist, um bis in den Final zu kommen.

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107 Kommentare
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Mario 66
10.03.2023 07:36registriert November 2015
Ein chronist, dessen namen mir gerade entfallen ist, hat letzthin dido als musterprofi bezeichnet. Aber vielleicht meinte er damit ja auch nur dass dido ein profi darin ist, immer wieder in gleiche schädliche muster zu verfallen
1903
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Clark Kent
10.03.2023 07:09registriert Januar 2014
Bern, Bern, Bern etc. Vielleicht war aber Kloten auch einfach nur gut? Insbesondere das Weltklasse-Coaching von Jeff Tomlinson.
17022
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winglet55
10.03.2023 07:25registriert März 2016
Es ist aber auch den Schiedsrichtern zu danken, dass die Titanen Bonusse (hoffentlich & endgültig ) der Vergangenheit angehören.
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