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Ambri – wenn der Bierbecher der letzten Eishockey-Romantiker runterfällt

Daniele Grassi and swedish player Jakob Lilja, from left, in action during the first ice training for the upcoming season 2023/24 with his Team HC Ambri-Piotta at the Gottardo Arena in Amun momento du ...
Ambri rockt schon im August – und schüttet das Bier des Chronisten aus.Bild: keystone
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Ambri – wenn der Bierbecher der letzten Romantiker runterfällt

Ambri hat mit André Heim seinen besten Schweizer Center verloren. Aber vielleicht die Entdeckung der Saison gefunden.
26.08.2023, 15:3526.08.2023, 16:12
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Wo finden wir im heissesten August seit Menschengedenken die letzten Hockeyromantiker? Zweifelsfrei im luzernischen Sursee. Dort treten während der letzten Woche des Monats nicht weniger als sieben hochkarätige Teams auf. Davos, Ambri, Zug, Servette, Lulea aus Schweden sowie Mountfield und Litvinov aus Tschechien. Es geht um den Lehner Cup. Sozusagen ein Flachland-Spengler Cup der Armen. Veranstalter ist nicht der berühmte HC Davos, sondern der etwas weniger berühmte EHC Sursee (2. Liga). Das Prinzip ist das gleiche. Es soll ein wenig in der Klubkasse klingeln. Beim Spengler Cup sind es mehrere Millionen. Beim EHC Sursee sind sie froh, wenn es einen Zustupf von vielleicht 20'000 Franken für die Nachwuchsabteilung gibt.

Vom Stadion aus ist das Strandbad am Sempachersee fussläufig erreichbar. Also dürfen wir sagen: Wer Ende August in Sursee trotzdem zum Hockey geht, ist ein echter Hockey-Romantiker. So nah dran wie hier ist der Romantiker selten. Es ist möglich, die Spiele unten gleich hinter dem Plexiglas zu verfolgen. Näher geht nicht. Der Vorteil beim durstigen Wetter: Der Bier-Becher kann auf der Kante hinter dem Plexiglas abgestellt werden. Schauen und Trinken. Wie anderorts in der VIP-Loge.

bierbecher
So nah ist Klaus Zaugg an der Action in Sursee.Bild: watson

Am Mittwoch haben Zug (5:2) und am Donnerstag Meister Servette (6:3) das tschechische Spitzenteam Mountfield aus Königgrätz demontiert. Demontiert ist das richtige Wort. Zug und der Meister sind in der Startphase ein wenig nachlässig. Beide geraten 0:1 in Rückstand. Aber dann genügt eine kleine Tempoverschärfung für die Wende. Spielerisch phasenweise brillante Szenen garniert mit allerlei technischen Kunststücken. Zug und Servette sind taktisch und spielerisch eine Nummer grösser. Es geht ohne Rumpelhockey. Der Bierbecher hinter dem Plexiglas bleibt stehen.

Am Freitag kommt Ambri. Hoppla. Kein August-Hockey. Tempo, Energie. Um es etwas salopp zu sagen: So wie die armen Leute etwas länger arbeiten müssen, um gleich viel zu verdienen wie die Reichen, so muss Ambri halt ein bisschen weitere Wege laufen und mehr Dampf im Maschinenraum machen, um spielerisch bessere, reichere Teams zu bodigen. Wie beim Spengler Cup. Dort ist Ambri ja Titelverteidiger. Wie beim Lehner Cup. Auch hier ist Ambri Titelverteidiger. So geht es gegen Lulea gleich zur Sache. Erst in der Schlussphase werden die Kräfte etwas nachlassen. Wie Trainer Luca Cereda befürchtet hat. «Wir haben in den letzten Tagen sehr hart trainiert.» So gibt es zum Schluss – wie es sich für Ambri gehört – ein wenig Drama. Die Schweden verkürzen vorübergehend auf 2:1. Am Ende steht es 3:1. Unter den knapp 700 Fans wird «La Montanara» intoniert.

Nun ist es bei Partien, die nicht live im Farbfernsehen übertragen werden, für den Chronisten sehr einfach, zu behaupten, Ambri sei rasanter zur Sache gegangen als Zug oder Servette. Niveau und Intensität zu beurteilen, liegt ganz in der Fantasie des Betrachters. Aber es gibt einen Wahrheitstest. Während der Partie von Ambri bleibt der Getränkebecher hinter dem Plexiglas nicht stehen.

Das Wetter ist durstig, der Chronist stellt nach der ersten Pause den schön gefüllten Becher an den gewohnten Ort hinter dem Plexiglas. Kurz darauf rumpelt es gewaltig. Das Plexiglas wird so stark erschüttert, dass der Becher herunterfliegt und das Getränk über die schönen Sonntagshosen verschüttet wird. Der Beweis: Ambri rockt schon im August.

Ambris Testspiele sind überaus interessant. Sie geben erstmals eine Antwort auf die Frage, wie und ob Trainer Luca Cereda seinen besten Schweizer Center (André Heim wechselt nach Nordamerika) und seinen torgefährlichsten Flügel (Filip Chlapik) zu ersetzen vermag. Und da eröffnen sich womöglich interessante Perspektiven.

Andre Heim, hockeyeur aux St. Louis Blues pose pour un portrait apres son entrainement lors d'une rencontre avec les medias ce vendredi 25 aout 2023 au Mont-sur-Lausanne. (KEYSTONE/Valentin Flaur ...
André Heim ist nach Nordamerika gewechselt.Bild: keystone

Der Mann, der möglicherweise den Getränkebecher runtergerumpelt hat, ist eigentlich kein Titan (180 cm/82 kg). Manix Landry hat noch kaum intensiven Bartwuchs. Er wird am 23. November erst 21. Aber wir sollten nicht ausschliessen, dass er in den Schuhen von André Heim stehen kann, dass er vielleicht Ambris Entdeckung der Saison wird. Der amerikanisch-kanadische Doppelbürger hat eine Schweizer Lizenz. Weil sein Vater Eric einst für Lausanne, Basel, Bern und zuletzt Ambri stürmte und der kleine Manix seine erste Lizenz in der Schweiz gelöst hat.

So kommt es, dass Paolo Duca auf dem Transferwühltisch womöglich eine Rolex gefunden hat. Wobei: Er hat Eric Landry vor drei Jahren als Cheftrainer fürs Farmteam (Ticino Rockets) angestellt und ihn jetzt zum Assistenten von Luca Cereda gemacht. Da wäre es schon etwas kurios, wenn Landry junior nicht nach Ambri gekommen wäre.

Manix Landry hat zuvor in der Schweiz noch kein Erwachsenenhockey gespielt. Die letzten fünf Jahre stürmte er auf höchster nordamerikanischer Juniorenstufe in der Quebec Major Junior Hockey League (QMJHL) und produzierte in 267 Partien 154 Punkte. Im «NHL Draft Black Book», einem fast 600 Seiten dicken Wälzer lesen wir in der Ausgabe 2021 auf den Seiten 219 und 220 höchstes Lob über Manix Landry. Die Scouts bezeichnen ihn als einen der smartesten und schnellsten Zweiweg-Center der QMJHL. Zentral für unsere Liga und das Lauf- und Energiehockey Ambris sind seine läuferischen Fähigkeiten. Die werden von den Scouts ganz besonders gerühmt. («He can get to his top speed very quickly with 2 or 3 strides. He has long, compact, powerful strides and knows to challenge defenseman wide with that good topspeed. He also uses that great acceleration efficiently»). An anderer Stelle lesen wir: «Landry forechecks, backchecks and attacks with energy». Bis der Bierbecher in Sursee fällt. Kein Wunder, hat sich Arizona die Rechte im Draft 2021 gesichert (Nr. 139).

Luca Cereda sagt, Manix Landry habe das Potenzial, André Heim zu ersetzen. Er rühmt nicht nur das Talent des jungen Nordamerikaners. «Er hat eine ganz ähnliche Art wie André Heim. Er hat etwas von seiner Leidenschaft und Wissbegierde, auch er will alles wissen und alles herausholen, um besser zu werden.» Manix Landry ist zwar sieben Zentimeter kleiner und noch zehn Kilo leichter. Aber er kann im Laufe der Saison mindestens eine Westentaschen-Ausgabe von André Heim werden.

Der Spieler Manix Landry (links) und HC Ambri Piotta Praesident Filippo Lombardi, anlaesslich der Praesentation der Mannschaft von Ambri, am Sonntag, 6. August 2023, in Ambri. (KEYSTONE/Ti-Press/ Fran ...
Manix Landry soll das Tessiner Publikum begeistern.Bild: keystone

Und wer ersetzt Filip Chlapik? Der launische Zauberflügel hat als «Zwilling» von Michael Spacek letzte Saison 24 Tore erzielt. Aber das Heimweh war stärker als der weiterlaufende Vertrag. Er ist in seine Heimat zurückgekehrt. Nun muss Luca Cereda einen neuen «Zwilling» für seinen besten Spielmacher finden. Und auch da zeichnet sich eine interessante Lösung ab: Nando Eggenberger (23), das verkannte Talent aus Davos, das auch bei den Lakers nicht glücklich geworden ist, stürmte in Sursee versuchsweise neben Michael Spacek oder dem neuen Kanadier Laurent Dauphin (28). Im Powerplay hat er einen Puck im Stile von Nino Niederreiter versenkt. Und Luca Cereda schwärmt: «Sein Potenzial ist unglaublich. Der Vergleich mit Nino Niederreiter passt.»

Wohin die Reise für Ambri diese Saison gehen wird, ist offen. Aber die gute Nachricht aus Sursee: Die Hoffnung ist berechtigt, dass es gelingt, die Lücken zu füllen, die André Heim und Filip Chlapik hinterlassen haben.

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6 Kommentare
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McCourt15
26.08.2023 17:04registriert November 2021
Bin da weniger optimistisch. Letztes Jahr hat Ambri in Sursee den EVZ demontiert, nur um danach eine durchwachsene Saison zu zeigen. Ja, Turniere kann Ambri, Meisterschaft naja. Lasse mich aber gerne überraschen. Übrigens Danke dem EHC Sursee für die Orga dieses gemütlichen Anlasses.
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Amarillo
26.08.2023 20:25registriert Mai 2020
Da werden sich die Titanen aus Kloten aber anstrengen müssen, wenn Ambri so viel Dampf im Maschinenraum macht. Sonst werden sie noch überholt.
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