«Nachladen» ist schwer. 2014 und 2019 ist es nicht gelungen, die Final-Qualifikation zu bestätigen. 2014 erreichte «Silberschmid» Sean Simpson nicht einmal mehr den Viertelfinal, versilberte aber seinen WM-Ruhm von 2013 mit einem Trainervertrag in der KHL. 2019 waren die Hockeygötter nicht mit Patrick Fischer: Sekundenbruchteile vor Schluss glichen die Kanadier im Viertelfinal aus und siegte in der Verlängerung.
Aufenthalte in der Höhenluft der Weltspitze sind nie einfach. Schon gar nicht bei einer Ausgeglichenheit mit acht Teams, die in der Neuzeit bei Titelturnieren mindestens den Final erreicht haben. Gelingt es nun erstmals, zweimal hintereinander bei einer WM den Viertelfinal zu überstehen?
Nach der Auftaktniederlage gegen Weltmeister Tschechien (4:5 n. V.) besiegten die Schweizer Dänemark 5:2 (1:0, 2:2, 2:0). Sie sind bei der WM im dänischen Herning auf Kurs. Aber ist diese Mannschaft halbfinal- oder gar finalfähig?
Nationaltrainer Patrick Fischer macht nach den zwei Partien mit sechs Dritteln und einer Verlängerungs-Episode eine Rechnung auf: «Viereinhalb Drittel waren wir gut, eineinhalb Drittel noch nicht.» Seine Hauptkritik: Das Spiel müsse geradliniger werden.
Wer sucht, findet durchaus Mängel im Spiel der Schweizer. Sie sind allerdings weitgehend der Unberechenbarkeit dieses Spiels und nicht taktischen, technischen oder sonstigen Unzulänglichkeiten zuzuordnen. Die Schweizer gehören inzwischen zu den Titanen des Welteishockeys und dürfen in der ersten Turnierphase Millionäre aus der NHL als unverzichtbare Verstärkungen ins Team integrieren. Drei bis vier Spiele dauert es schon, bis die ideale Zusammensetzung gefunden und das Finetuning abgeschlossen ist.
Entscheidend bei einer ersten Beurteilung ist nicht allein die Wahrheit oben auf der Resultatanzeige. Aussagekräftiger ist die Art und Weise, wie die Mannschaft auftritt. Dieses Gesamtbild setzt sich aus einzelnen Szenen zusammen, die nicht immer von den TV-Kameras erfasst und in Zeitlupenwiederholungen publikumswirksam aufgearbeitet werden.
Zwei Szenen aus dem Spiel gegen Dänemark (5:2) sagen über die Verfassung der Mannschaft schon fast alles. Sven Andrighetto kann den Puck im Powerplay an der blauen Linie nicht kontrollieren. Oscar Moelgaard entwischt und bezwingt Stéphane Charlin zum 1:1. Bedeutet diese Unkonzentriertheit, dass die favorisierten Schweizer gegen Dänemark nicht richtig bei der Sache waren? Dass das Powerplay nicht funktioniert? Oder offenbart sich da gar eine Larifari-Einstellung? Nein.
Nicht diese Szene ist typisch für den Auftritt der Schweizer gegen einen vom Publikum aufgestachelten, taktisch klug eingestellten Aussenseiter. Sondern eine in der Schlussphase. Wieder mit Sven Andrighetto. Kurz zusammengefasst: Der ZSC-Meisterstürmer hilft hinten aus, wird in der eigenen Zone von einem Stock im Gesicht getroffen. Dann bricht auch noch sein Stock. Er lässt sich nicht beirren, bekommt von der Bank ein neues Werkzeug, wirft sich wieder ins Getümmel, blockiert einen Schuss und hilft, den Vorsprung (zu diesem Zeitpunkt steht es 4:2) über die Zeit zu retten.
Einer der offensiv brillantesten Spieler ist sich nicht zu schade, hinten auszuhelfen. Das ist typisch für diese Mannschaft. Nicht der Konzentrationsfehler, der zum 1:1 geführt hatte.
Es mag noch spielerische Unzulänglichkeiten geben. Aber die Einstellung stimmt. Das ist die entscheidende Voraussetzung, um im Laufe der restlichen fünf Gruppenspiele besser zu werden und dann im Viertelfinal parat zu sein.
Auf die Szene in der Schlussphase angesprochen, sagt Andrighetto, er habe das noch so gerne gemacht, um der Mannschaft zu helfen. Wie jeder andere auch. Das ist eine der Qualitäten von Nationaltrainer Patrick Fischer: Eine Gruppe von starken Spielerpersönlichkeiten zu einer «coolen Bande» zu formen. Jeder gibt sein Ego vor der Kabinentüre ab.
Fast alles passt. Aber eine Frage ist nach wie vor nicht beantwortet. Sie muss immer und immer und immer wieder gestellt werden. Fast so wie einst im alten Rom, als Senator Cato über Jahre jede seiner Wortmeldungen, unabhängig vom Inhalt stets mit der gleichen Bemerkung beendete: «… im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss.» Er tat das so penetrant, dass der Ausspruch mehr als tausend Jahre später sogar in Asterix-Comics wieder auftaucht. Der Untergang Karthagos war entscheidend für den Aufstieg Roms zur Weltmacht.
Ob die Schweiz über den Viertelfinal hinaus oder gar in den Final kommen kann, hängt nun mal vom Torhüter ab. Deshalb also die penetrante Anmerkung zum letzten Mann des Teams («… im Übrigen ist der Chronist der Meinung, dass wir den nächsten Genoni brauchen»).
Die Partie gegen Dänemark war der erste Auftritt von Stéphane Charlin (24) auf der grossen WM-Bühne. Des Mannes also, dem die Nachfolge von Leonardo Genoni zugetraut wird. Es war für ihn eine denkbar schwierige Aufgabe: Die Schweizer klar überlegen (35:15 Torschüsse). Das bedeutet: Wenig Arbeit und doch konzentriert bleiben. Die zwei Treffer (die zur kurzzeitigen 2:1-Führung der Dänen führen) sind unhaltbar. In der Schlussphase macht er den Laden dicht. Es bleibt bei diesen zwei Gegentoren. Ist er also der nächste Leonardo Genoni?
Diese Frage lässt sich nach diesem Spiel immer noch nicht beantworten. Sie muss erneut gestellt werden. Es wäre eine Boshaftigkeit sondergleichen der Hockey-Götter, wenn es während dieser WM keine Antwort auf diese Frage geben sollte. Weil Leonardo Genoni nicht mehr die Silber-Form von 2018 oder 2024 und Stéphane Charlin noch nicht WM-Silberformat hat.
Abgesehen von der nach wie vor ungelösten Goaliefrage hat dieses WM-Team spielerisch, taktisch und auch sonst Silberformat.
Die Silbermedallie geht an den ersten Verlierer.
Die ist konstruiert von Klaus Zaugg und ehrlich gesagt ziemlich langweilig nach all den Wüthrich, Reideborn und Charlin Texten seit letztem September.
Gegen die USA wissen wir mehr wo das Team steht, und in der KO Phase ist es einfach so, dass man KO gehen kann.
Doch alles in allem ist es ein relativ kurzes Turnier, da geht's um min. zwei gute Goalies und die Stimmung im Team.
Die Mannschaft ist sicher final fähig, es stellt sich einfach die Frage, was die Gegner dagegen haben.