Was für eine Ironie: Ein hochstehendes Spiel zwischen taktischen Musterschülern wird durch eine Strafe entschieden, die sich eigentlich eher nachlässige, undisziplinierte Mannschaften einhandeln: Die ZSC Lions kassieren zwei Minuten wegen zu vielen Spielern auf dem Eis. Servette nützt diesen Ausschluss zum entscheidenden 2:1 (48.).
ZSC-Trainer Rikard Grönborg wird deswegen nach dem Spiel seine Gelassenheit nicht verlieren: So etwas könne passieren. Bully verloren, Schuss abgelenkt, 2:1. Er war mit der Leistung seiner Mannschaft zufrieden, der «Game Plan» sei umgesetzt worden.
Es ist angerichtet für ein Drama. «Wenn Servette je Meister werden will, dann diese Saison.» Das sagte Chris McSorley bereits vor dem Start der Playoffs. Der Kanadier hat diese Mannschaft noch vor seiner Verabschiedung in Genf als Sportdirektor zusammengestellt und auch das ausländische Personal rekrutiert.
Kann dieses Servette Meister werden? Die Frage ist erst einmal, ob die Genfer in diesem Halbfinal gegen die ZSC Lions tatsächlich bestehen können. Auf einen Meister aus der Romandie warten wir ja schon seit fast einem halben Jahrhundert. Seit La Chaux-de-Fonds im Frühjahr 1973 als letzter rein welscher Klub den Titel geholt hat.
Servette ist nicht das neue La Chaux-de-Fonds. Servette ist besser. Die Genfer verbinden die frankofonen Qualitäten Technik und Tempo – mit denen einst La Chaux-de-Fonds im Übermass gesegnet war – mit den eher alemannischen Tugenden Kraft, Disziplin und guter Organisation. Welsches Hockey mit Zähnen. Im Viertelfinal ist Gottéron, mindestens so talentiert, in erster Linie an Servettes Entschlossenheit, Standfestigkeit und Disziplin gescheitert.
Lausanne hatte die ZSC Lions im Viertelfinal auch mit Härte herausgefordert. Aber mit einer destruktiven Rauheit, die letztlich in den Untergang führte.
Warum haben die ZSC Lions diese erste Partie verloren? Servette war eine Spur aktiver. Was sich im Torschussverhältnis (30:22) statistisch belegen lässt. Aber zwingend war diese Überlegenheit keineswegs.
Die Differenz ist so gering, dass wir hinterher auch genügend Argumente gefunden hätten, um einen Sieg der Zürcher begründen zu können.
Wir müssen schon in Details gehen, um eine Erklärung zu finden. Beispielsweise die Unterlegenheit bei den Bullys (23:35), die den Zürchern zu schaffen machte. Rikard Grönborg wies die Schiedsrichter während der Partie mehrmals auf Schlaumeiereien der Genfer bei den Anspielen hin.
Letztlich hat ein Mann die Differenz gemacht: Verteidigungsminister Henrik Tömmernes (30). Der Schwede ist der ruhige, robuste und smarte Organisator des Spiels. Ihm gelingen im Powerplay das 1:0 und das 2:1. Inzwischen ist er sogar Topskorer dieser Playoffs (6 Spiele/9 Punkte) und keiner kommt auf so viel Eiszeit (27:06 Minuten pro Spiel).
Ein Verteidiger wie Henrik Tömmernes macht eher die Differenz als ein Stürmer. So gesehen wirkte sich das Fehlen des kanadischen Verteidigers Maxim Noreau bei den ZSC Lions stärker aus als die Absenz von Denis Hollenstein.
Die ZSC Lions sind dank der Tiefe ihres Kaders nach wie vor konkurrenzfähig. Nach dem zermürbenden Viertelfinal gegen Lausanne fehlen ihnen inzwischen acht Stammspieler. Darunter vier Ausländer (Noreau, Krüger, Rautiainen, Pettersson). Sie könnten nach dem Wechsel von Pius Suter in die NHL fünf Ausländer einsetzen. Zum Halbfinalauftakt waren nur noch drei einsatzfähig (Roe, Hayes, Lasch).
Mit guter Organisation lassen sich solche Absenzen einigermassen kompensieren. Die Zürcher haben bei fünf gegen fünf kein Tor kassiert. Aber wenn so viel Talent und Erfahrung fehlen, wird es schwierig, gegen einen defensiv so guten Gegner Tore zu erzielen.
Zu den Besonderheiten dieser Serie gehört das Duell der Torhüter. Daniel Manzato gegen Ludovic Waeber. Beide sind bei Gottéron ausgebildet worden, beide sind bei Gottéron nicht zum Zuge gekommen.
Ludovic Waeber (24) hat diese Saison Lukas Flüeler (32) als Nummer 1 verdrängt. Daniel Manzato ist im Januar 37 geworden und wird nächste Saison die Nummer zwei in Bern. Er spielte einst in den nordamerikanischen Farmteam-Ligen und nun kommt er nach einer Tour de Suisse mit Stationen u.a. in Kloten, Ambri, Basel, Rapperswil-Jona und Lugano wegen der Verletzung von Gauthier Descloux (24) unverhofft zum letzten Hurra seiner Karriere.
Daniel Manzato hat in drei Partien nur ein Tor zugelassen und ist mit einer Fangquote von 98,80 Prozent statistisch der beste Torhüter der Playoffs 2021. Vor Ludovic Waeber (95,33 %). Leonardo Genonis Statistik (91,91 %) ist vergleichsweise bescheiden.
Auch wenn solche Zahlen nicht die letzte Wahrheit sind: Gottérons Sportchef und Trainer Christian Dubé wird sich seine Gedanken über die seltsamen Gänge und Läufe des Hockeylebens machen: Sein Torhüter Reto Berra hat die schwächsten Werte (88,20 %) aller im Laufe dieser Playoffs schon eingesetzten letzten Männer.
Daniel Manzato und Ludovic Waeber dürften zusammengerechnet nicht einmal halb so viel verdienen wie Reto Berra. Wenn mit den Talern geläutet wird, mögen sich zwar alle Türen öffnen. Aber nicht alle Tore werden dichtgemacht.
Was ich besonders schön finde: Unter McSorley waren Spiele gegen Genf immer eine Tortur, bei uns als "Genfer Chneblete" bezeichnet. Kein Spielsystem, kein Aufbau, sondern einfach nur rumgehacke und jeden Raum zufahren. Inzwischen kann Genf plötzlich auch selbst Hockey spielen und das ist wirklich cool anzusehen.