Warum ist in Basel die Hockeykultur untergegangen? Das ist und bleibt ein ungelöstes Rätsel. Eine kurze Rekapitulation: Nach einer Blütezeit in den 1950er Jahren mit einem 2. Platz («Vizemeister») 1952 ist Basels Eishockey in die Bedeutungslosigkeit versunken. Auch nach 2002 ist die nachhaltige Aufforstung der Hockeykultur in einer neuen Arena nicht gelungen.
Grosse Namen (u. a. Paul-André Cadieux, Kent Ruhnke, Ueli Schwarz) brachten die Basler zwar vorübergehend in die höchste Liga zurück und 2006 sogar in die Playoffs. Aber im Schnitt kamen nie viel mehr als 3000 Fans. Im Frühjahr 2008 stiegen die Basler aus der NLA ab und am 7. Juli 2014 gingen die Lichter in einem Konkurs in der NLB ganz aus. Mit dem vom Konkurs nicht betroffenen EHC Basel/Kleinhüningen begann der Neuaufbau in der 1. Liga, damals die höchste Amateurliga. Im Frühjahr 2022 sind die Basler mit dem Aufstieg in die Swiss League wieder im Profigeschäft.
Eine Episode mag illustrieren, wie schwierig es ist, in Basel Hockey populär zu machen: Der Stürmer Stefan Tschannen gehörte zum letzten NLA-Team. Als er sich bei Gelegenheit beim Nachbar vorstellte, sei es zu folgendem Dialog gekommen. Auf die Antwort, er sei Hockeyprofi, kam die Frage: «Wo denn?» «In Basel natürlich.» «Ach so, ich wusste gar nicht, dass wir in Basel ein Hockeyteam haben.»
Nun nimmt Basel einen neuen Anlauf. Mit Geschäftsführer Olivier Schäublin und seit dieser Saison mit der charismatischsten Persönlichkeit der Basler Hockeykultur seit Emil Handschin: mit Sportchef Kevin Schläpfer. Als Neuling kam Basel letzte Saison auf den 6. Rang. Nach dem 10:2 gegen die Bellinzona Rockets sind die Basler nun in die Spitzengruppe der Liga (3.) aufgerückt. Aber es wird nicht einfach, diese Position zu halten: Es folgen fünf Auswärtspartien gegen La Chaux-de-Fonds, Thurgau, Martigny, Visp und GC.
Gelingt die Wiederbelebung der Basler Hockeykultur? Zumindest gibt es Hoffnung. Anders als beim letzten Versuch, der zwar bis in die höchste Liga führte, aber vor neun Jahren im Konkurs endete, ist nun etwas zu spüren, das eigentlich nicht zur DNA der Basler passt: Bescheidenheit in beinahe rührender Form. Echte Hockey-Romantik. Dadurch wird der EHC so etwas wie ein «kulturelles Gegenmodell» des darbenden FC Basel.
Immerhin 1627 Fans sind zur Partie gegen die Bellinzona Rockets gekommen. Es ist ein unattraktives Spiel. Das von Ambri und Langnau finanzierte Farmteam ist hoffnungsloser Tabellenletzter. Und doch ist die Unterhaltung vorzüglich. Wenn schon klar ist, wer gewinnen wird, dann soll wenigstens spielerisches Spektakel geboten werden. Im Stil der Harlem Globetrotters wird dem Publikum Kurzweil geboten.
Der etwas hüftsteife Verteidiger Lucas Bachofner stürmt gar auf den Aussenbahnen und offenbart erstaunliche spielerische Qualitäten. Der Kanadier Jakob Stukel sammelt sechs Skorerpunkte (4 Tore). Sein Agent staunt erst über die vielen freien Räume in der gegnerischen Abwehr («A walk in the Park.») und denkt schon an die Möglichkeit einer Zukunft seines Klienten in der höchsten Liga. Aber Sportchef Kevin Schläpfer sieht den 26-jährigen Kanadier noch nicht als den nächsten Jonathan Ang und spricht ihm höhere Tauglichkeit ab. Wohlweislich. Er möchte ihn behalten.
Diese Partie ist letztlich ein sportliches Muster ohne Wert und sagt doch etwas über die Qualität der neuen Basler Hockey-Renaissance. Zum ersten Mal in der Neuzeit sind die Anstrengungen von sympathischer Bescheidenheit und Realismus geprägt und sogar mit einer Prise Romantik gewürzt. Zur Romantik gehört, dass die Spieler nach der Partie in der Stadion-Beiz vorbeischauen. Wie Torhüter Fabio Haller (31), der Aufstiegsheld von 2022. Für einmal muss der Zürcher sich nach einem Sieg auch freundlichen Spott gefallen lassen: zwei Gegentreffer gegen diese Rockets! Come on. Das Torschussverhältnis betrug 43:21.
Die Frage ist natürlich, ob der Hockeyclub von der FCB-Krise profitieren kann. Geschäftsführer Olivier Schäublin verneint, sieht aber eine kleine Chance auf dem Sponsorenmarkt: «Es ist nicht ausgeschlossen, dass wir als Alternative zum FCB entdeckt werden.» Was er nicht sagt, aber im Kern gemeint ist: Die der Basler Fussballkultur schon ein wenig innewohnende Arroganz könnte dieses oder jenes Unternehmen dazu bewegen, den Hockeyklub mal näher zu betrachten. So gesehen könnte das Hockey-Erfolgsrezept tatsächlich heissen: Wir sind ein kultureller Gegenentwurf zum FCB. So etwas wie die Hockey-Antwort auf den FC St.Pauli. Der Zufluss an Sponsorengeldern ist aktuell mit einer Million bescheiden. Der EHC Basel operiert mit einem Budget von insgesamt nicht ganz drei Millionen und der Büroapparat ist mit nicht einmal ganz vierhundert Stellenprozent bescheiden.
Zur Bescheidenheit gehört Geduld. Olivier Schäublin sagt, das Ziel sei es, in drei bis fünf Jahren das Budget auf fünf Millionen aufzustocken und ein Spitzenteam in der Swiss League zu sein. «Wenn wir diese Basis erarbeiten können, dann werden wir uns die Grundsatzfrage stellen müssen: Wollen wir noch einmal einen Anlauf in die höchste Liga nehmen? Ein Aufstieg macht nur Sinn, wenn wir die Unternehmen im Grossraum Basel dazu bringen, ins Hockey zu investieren, und ein Budget von mehr als zehn Millionen stemmen können.» Das bedeutet konkret: Ein Aufstieg in die National League kann nur ein Thema sein, wenn rund viermal mehr Geld zur Verfügung steht als heute. Beim letzten Abenteuer in der höchsten Liga (2007/08) hatte Basel ein Budget von rund 8 Millionen zur Verfügung.
Kevin Schläpfer obliegt es, die sportlichen Voraussetzungen zu erarbeiten. Er ist mit der ihm eigenen Begeisterungsfähigkeit am Werk. Dazu gehört die Arbeit an der Basis. Der Ausbau der Nachwuchsabteilung. Die ist mit rund 120 Junioren noch zu schmal. Nur bis zur Altersstufe U15 sind die Basler in den höchsten Juniorenligen präsent, gehören dort aber zu den Besten. Mittelfristig ist eine Verdoppelung der Anzahl an Nachwuchsspielern realistisch.
Die finanziellen Schwierigkeiten der Swiss League und die Aufstockung von vier auf sechs Ausländer in der höchsten Liga kommen den Baslern entgegen: Die Anzahl der jungen Talente steigt, die über die Swiss League eine Profi-Karriere anstreben. Kevin Schläpfer sagt: «Junge Spieler kommen inzwischen für sehr wenig Geld, wenn wir gute Voraussetzungen zur sportlichen Weiterentwicklung bieten.» Die Saläre in diesem Bereich seien schon fast ins Bodenlose gefallen.
Ein gut vernetzter Sportchef wie Kevin Schläpfer kann in Basel mit beschränkten finanziellen Mitteln durch geschickte Transfers tatsächlich ein Spitzenteam für die zweithöchste Liga zusammenstellen und sich auch von der Abhängigkeit eines Partnerteams (zurzeit der SCB) lösen. Die sportlichen Voraussetzungen für junge Spieler sind sehr gut. Aber der Schritt nach oben macht nur mit vollen Geldspeichern Sinn. Kevin Schläpfer sagt es so: «Mit jungen Spielern können wir weit kommen. Aber um in der höchsten Liga bestehen zu können, sind dann Transfers notwendig, die Geld kosten.»
Das also ist die kluge Strategie: In der Swiss League eine sportliche und wirtschaftliche Basis für ein Spitzenteam erarbeiten und die Geldgeber davon überzeugen, so viel ins Hockey zu investieren, dass ein Aufstieg in die National League Sinn macht. Kevin Schläpfer hat bereits mit Biel die Rückkehr in die höchste Liga erlebt und entscheidend mitgeprägt. Er ist Realist: «Ein Vergleich mit Biel ist gar nicht möglich. Dort ist der EHCB der wichtigste Klub in der Stadt. In Basel wird das immer der FCB sein.» Er sieht dennoch eine Chance. «Aber nur, wenn wir Voraussetzungen schaffen, die Geldgeber davon überzeugen, dass es sich lohnt, ins Hockey zu investieren.»
In Basel ist alles vorhanden, um diese Voraussetzungen zu erarbeiten.
P.S. Kevin Schläpfer ist überall dort, wo er bisher Sportchef war, früher oder später auch Trainer geworden. In Basel steht die Position von Trainer Eric Himelfarb (noch) nicht zur Debatte …