Vor zehn Jahren knackte die höchste Liga zum ersten Mal die Grenze von zwei Millionen: 2012/13 war diese «magische» Zahl noch knapp verpasst worden (1'986'093 Fans/6620 im Schnitt). Doch ein Jahr später ist es so weit: 2'061'618 Fans (6872 pro Partie) wollten die 300 Qualifikationsspiele sehen. 2015/16 kamen dann zum ersten Mal pro Qualifikations-Spiel mehr als 7000 Zusehende (7026).
Nun werden alle Rekorde gebrochen: Noch ist die Qualifikation nicht zu Ende (324 von 364 Partien sind gespielt) und bereits ist die Zwei-Millionen-Marke übertroffen und der Schnitt pro Partie (7'113) ist so hoch wie noch nie. Hockey rockt: In der letzten Runde waren diese Woche die Spiele in Zug (gegen Gottéron), in Langnau (gegen Ajoie) und in Zürich (gegen den SCB) ausverkauft. Die Aufstockung auf 14 Teams mit der Erhöhung der Anzahl Spiele von 300 auf 364 hat nicht zu einer «Verwässerung» geführt. Im Gegenteil.
Wie ist dieser Boom nach dem pandemiebedingten Einbruch (2020/21) möglich? Der enorme Publikumsaufmarsch ist erstaunlich in einer Zeit, in der die Konkurrenz in der Unterhaltungs- und Freizeitindustrie so gross ist wie noch nie in der Geschichte. Fünf Gründe sind ausschlaggebend.
Komfort und Fassungsvermögen der Stadien sind auf dem höchsten Stand der Geschichte. In Zürich, Zug, Ambri, Lausanne, Pruntrut, Fribourg, Langnau oder Davos stehen nigelnagelneue oder umfassend sanierte Hockey-Tempel und bis auf die Arenen in Lugano und Genf sind alle Stadien in diesem Jahrhundert renoviert worden.
Die Liga ist so ausgeglichen wie noch nie. Ausser Ajoie dürfen sich in der Tabelle nach wie vor alle etwas erhoffen: Qualifikationssieg, direkte Playoffs, Play-In oder vorzeitiger Liga-Erhalt. Und selbst als Schlusslicht ist Ajoie keine uninteressante graue Maus: Soeben haben die Jurassier in Langnau das Stadion bis auf den letzten Platz gefüllt und die Partie war spannend, dramatisch und höchst unterhaltsam (Langnau siegte 3:2 n.V.)
Die Liga funktioniert. Das Niveau der Schiedsrichter ist solide, die Gerichtsbarkeit arbeitet verlässlich, die Infrastruktur (Video) funktioniert, der Modus passt und die Fans sind anständig. Kein Vergleich zu unserer Operetten-Liga im Fussball, die sich mit VAR-Entscheiden regelmässig lächerlich macht, das Gewaltproblem nicht in den Griff bekommt und vom sportlichen Niveau her zu den schwächsten in Europa gehört. Meister Servette gehört in der Liga nicht zur Spitzengruppe und steht im Final der Champions League. Vom Endspiel im wichtigsten Klubwettbewerb sind Schweizer Klubs im Fussball weiter entfernt als eine 1. August-Rakete vom Mars.
Die Qualität des Hockeys ist hoch wie noch nie. Dem dürften Puritaner, Trainer und Experten widersprechen. Aber es geht nicht um taktische Disziplin, Intensität oder Präzision. Sondern darum, ob das Publikum gut unterhalten wird. Die National League gilt neben der NHL zu Recht als spektakulärste Liga: Nicht so taktisch und durchstrukturiert wie die obersten Spielklassen in Finnland und Schweden, dafür mit viel mehr Freiräumen für Fehler, taktischen Ungehorsam, defensive Hasardeure und spielerische Schillerfalter. Einige davon sind Weltmeister und Olympiasieger. Seit dem kriegsbedingten Wegfall der KHL spielen die besten Skandinavier, die es nicht in die NHL geschafft haben, in der Schweiz.
Eine ganz besondere Situation auf dem TV-Markt. Nach wie vor gilt: Ein Sport, der nicht regelmässig im öffentlich-rechtlichen Fernsehen übertragen wird, existiert eigentlich nicht: Ich komme live im Leutschenbach-Fernsehen, also bin ich. Zwar hat SRF alle Live-Rechte der Qualifikation und der Playoffs verloren. Die Dramen im Kampf um Playoff-Qualifikation, Titel und Ligaerhalt finden in unserem öffentlich-rechtlichen Fernsehen bereits im zweiten Jahr live nicht mehr statt. Aber SRF überträgt alle Länderspiele (inkl. WM), dazu die wichtigen Partien der Champions League und – natürlich – den Spengler Cup.
Damit bleibt Hockey fürs Publikum auch im staatstragenden Fernsehen sichtbar und behält seine Wichtigkeit und Position im Markt. Zugleich werden im Bezahlfernsehen sämtliche Spiele live übertragen plus regelmässig einzelne Partien von frei empfangbaren privaten TV-Stationen in allen drei Sprachregionen live gezeigt. Auch wenn präzise Zahlen nicht verfügbar sind, so dürfen wir davon ausgehen, dass die Gesamtsumme der Hockey-TV-Konsumenten so hoch ist wie noch nie.
Diese umfassende TV-Präsenz auf allen Kanälen ist ein Erfolgsgeheimnis der boomenden höchsten Liga und führt dazu, dass noch nie so viele Männer, Frauen und Kinder Hockey entweder im Stadion oder vor den Bildschirmen verfolgen. Kommt dazu, dass die vom SRF produzierten TV-Bilder – SRF hat zwar die Live-Rechte an der Meisterschaft verloren, den Produktionsauftrag aber behalten – von höchster Qualität sind.
Zumindest bis zum Ablauf der aktuellen TV-Verträge in drei Jahren und bis zur Rückkehr der KHL in die Hockey-Gemeinschaft dürfte diese Entwicklung weitergehen. Der Boom bedeutet nicht, dass in unserem Hockey alles zum Besten steht. Aber das ist sowieso nie der Fall: Gerade Hockey zeichnet sich auch neben dem Eis durch eine Dynamik aus, die keinen Stillstand duldet, immer wieder zu Veränderungen führt und Fehlentwicklungen korrigiert. Deshalb ist unser Hockey, noch vor 40 Jahren auf Operetten-Niveau, inzwischen auf Klub- wie auf Nationalmannschafts-Ebene international konkurrenzfähig geworden. Wir können davon ausgehen, dass der Ausländer-Unfug (die Erhöhung von 4 auf 6) mittelfristig wieder korrigiert und der Unterbau (Swiss League, MyHockey League) mit der Auf/Abstiegsregelung neu strukturiert werden.
Wieso weerden die Zuschauer-Zahlen am TV wohl nicht publiziert? Weil sie nicht berauschend sind.
Unsere Liga ist sicher tipptopp. Sie so hochzujubeln erscheint mir jedoch vermessen.
Und btw: Unsere Fussball-Opperettenliga hat immer noch einen fast doppelt so hohen Zuschauerschnitt wie die "bombastische" Eishockeyliga. Nur so als Info. Ich habe fertig.